"Wir müssen mit den Verhältnissen umgehen"

Interview mit Jürgen Liminski
Veröffentlicht: 
Deutschlandradio, 13.06.2009
Thema: 
SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich zum Ausgang der Wahlen im Iran

Er sei überrascht über den großen Vorsprung des Amtsinhabers Mahmud Ahmadinedschad, räumt der SPD-Politiker Rolf Mützenich ein. Dennoch legitimiere die Wahl den iranischen Präsidenten für eine weitere Amtszeit. "Wir wären klug beraten, zu schauen, ob es gemeinsame Interessen gibt", sagte Mützenich.

Jürgen Liminski: Im Studio ist der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich, guten Morgen, Herr Mützenich!

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Liminski!

Liminski: Herr Mützenich, wie beurteilen Sie die ersten Ergebisse?

Mützenich: Nun, ich muss sagen, ich bin schon überrascht, dass das Wahlergebnis für Ahmadinedschad offensichtlich so gut sein soll, wie es behauptet wird, weil ja die Wahlbeteiligung eher auf ein knappes Rennen hingewiesen hat, und ich glaube schon - und Herr Pick hat das ja nun aus Teheran sehr anschaulich geschildert -, dass das Ergebnis mindestens knapper sein müsste, als es offiziell bisher verlautbart wird.

Liminski: Glauben Sie, dass diese Wahlen auch gefälscht wurden?

Mützenich: Ich glaube, dass die Einflussnahme relativ groß war, nicht nur in den letzten Tagen, sondern in den letzten Monaten. Ahmadinedschad ist über das Land gereist, wie wir gehört und wie wir auch gesehen haben, und er hat natürlich versucht, Wählergruppen an sich zu binden mit unterschiedlichen Methoden. Und auf der anderen Seite muss man natürlich sehen: Wahlen sind immer relativ frei, es werden Kandidaten sehr bewusst auch ausgewählt, das ist ein wichtiges Faktum, auf der anderen Seite muss man aber auch anerkennen: Wahlen sind ein Instrument der Legitimation, nicht nur in den Wahlen zum Parlament, zum Präsidenten, sondern auch an anderer Stelle.

Liminski: Wir haben es im Iran mit parallelen Strukturen zu tun, einmal die normalen staatlichen, zu denen auch der Präsident gehört, und dann die religiösen, die den staatlichen de facto übergeordnet sind. Was für eine Macht hat der Präsident eigentlich, was kann er verändern?

Mützenich: Nun, die Macht des Präsidenten formell ist eingeschränkt, auf der anderen Seite hat Ahmadinedschad es geschafft, mit den Gruppen, die ihn unterstützen, einen stärkeren Einfluss auf die Institutionen zu nehmen, teilweise ist ja auch davon gesprochen worden, dass es durchaus eine unterschiedliche Wahrnehmung in den einzelnen Lagern gibt, das heißt, religiöse Gruppen sich nicht unmittelbar mehr an Ahmadinedschad gehalten fühlen, weil sie glauben eher auch, dass das eher in ihren Aufgabenfeld arbeitet, also - es gibt dort Auseinandersetzungen, aber es sind insbesondere Auseinandersetzungen innerhalb der wirtschaftlichen Pfründe, die natürlich auch im Iran eine Rolle spielen. Und da hat Ahmadinedschad es offensichtlich geschafft in den letzten Jahren, für sich und für seine Anhänger etwas zu erreichen.

Liminski: Die wirtschaftliche Situation ist aber nicht rosig. Kann es sein, dass die Hardliner durch die Not zu einer anderen Politik doch noch gezwungen werden?

Mützenich: Ich glaube schon. Insbesondere dann, wenn Ahmadinedschad tatsächlich bestätigt werden sollte, wird die Herausforderung für ihn sein, die sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Landes zu erweitern, das heißt auf der anderen Seite: Dafür braucht er Außenkontakte. Und ich glaube, der Wahlkampf - das muss man ja nun mal einfach feststellen - ist nicht um das iranische Atomprogramm geführt worden, sondern ist um die sozialen und wirtschaftlichen Belange des Einzelnen stattgefunden, und da wird sich eben zeigen, ob die Inflation eingeschränkt werden kann, ob eben insbesondere - darauf haben Sie ja hingewiesen - für die jungen Menschen Perspektiven, Arbeitsplätze, Bildung et cetera geschaffen werden kann. Das sind alles Herausforderungen in den nächsten Jahren, die dann ein Präsident und seine Regierung auch zu bestehen haben.

Liminski: Aber Reformen wird es ja wohl nur geben, wenn die entscheidenden Leute das wollen. Wer sind die entscheidenden Leute im Iran, wie schätzen Sie das ein?

Mützenich: Ich glaube, dass die entscheidenden Leute natürlich der Revolutionsführer Chamenei zum jetzigen Zeitpunkt ist, auf der anderen Seite aber auch Gruppen im Inneren des Systems, wo ich glaube, dass auch teilweise Rafsandschani zum Beispiel noch mit dazugehört, aber natürlich spielen die religiösen Stiftungen eine Rolle. Letztlich wird es aber dennoch darauf ankommen, ob überhaupt die gesellschaftliche Entwicklung, die jungen Menschen in dieses System integriert werden können, und ich glaube, da zeigen sich schon Zerfallsprozesse. Man muss ja sehen auch zum Beispiel die Frage des Drogenkonsums aufgrund der Perspektivlosigkeit in den großen Städten hat zugenommen, die Frage der Arbeitslosigkeit. Alles das sind Dinge, die natürlich - egal, wie innerlich das System gefestigt scheint - auch es zu nicht nur Frustrationen in der Gesellschaft kommt, sondern möglicherweise auch zu Auseinandersetzungen.

Liminski: Rechnen Sie mit einem Zerfall des Systems?

Mützenich: Nein, das tue ich nicht, zum jetzigen Zeitpunkt scheint mir das System als solches - was ja versucht, auch sehr stark die nationale Karte zu spielen - auch im regionalen Umfeld sehr stark, und das scheint mir nicht der Fall zu sein, auch im Wahlkampf war es ja offensichtlich nicht so sehr eine Frage, wie sich der Iran im regionalen Umfeld aufstellt, sondern wie insbesondere die Fragen von sozialem Fortschritt ausgestaltet werden können und wie groß insbesondere auch die Freiheitsrechte werden. Deswegen muss man schon sehen, ich hatte mir erhofft gehabt, dass insbesondere durch die hohe Wahlbeteiligung aber eben auch der Frage, wie die Stellung der Frau in der Gesellschaft innerhalb von bestimmten Grenzen sind, sich vielleicht dann doch für die Reformkräfte etwas Stärkeres herauskristallisieren würde, als es anscheinend der Fall ist.

Liminski: Wie soll sich denn nun Deutschland, wie Europa zu dem neuen alten Präsidenten verhalten?

Mützenich: Ich denke, wir sollten jetzt erst mal die nächsten Tage noch mal abwarten, wie die inneren Verhältnisse sich entwickeln. Sie hatten ja auch gefragt, ob es möglicherweise noch zu Friktionen innerhalb der Städte des Staates vielleicht insgesamt kommen könnte, andererseits müssen wir mit den Verhältnissen umgehen und wir müssen wissen, dass der Präsident nicht der alleinige Entscheidungsträger im Hinblick auf die Frage des Atomprogramms ist, und ich glaube, wir wären klug beraten, zu schauen, ob es gemeinsame Interessen gibt. Afghanistan ist immer angesprochen worden, die Situation im Irak, aber auf der anderen Seite muss der Iran auch wissen: Jetzt gibt es nach den stattgefundenen Wahlen keinen Grund mehr, die ausgestreckte Hand von Obama nicht auch mit einer richtigen Antwort zu reagieren und auch zu beantworten. Das erhoffe ich mir natürlich schon.

Liminski: Glauben Sie denn, dass eine nukleare Bewaffnung Irans verhindert werden kann?

Mützenich: Das muss es, weil ich glaube, dass dies nur zu einer weiteren Auseinandersetzung führt. Wir müssen ja auf der anderen Seite sehen, in Israel ist die neue Regierung sehr stark auf die iranische Herausforderung fixiert. Alle Gespräche, die Liebermann oder der Ministerpräsident Netanjahu geführt haben, waren an erster Stelle aus Sicht Israels, die Bedrohung durch den Iran, und wir können überhaupt nicht zulassen, dass das Atomprogramm zu militärischen Zwecken im Iran missbraucht wird. Umso mehr war es gut gewesen, dass Präsident Obama vom Beginn seiner Amtszeit auch neue Beziehungen zum Iran zugesagt hat, wenn sich auch hier die Seite bewegt, und ich glaube, dies müssen wir jetzt umso stärker einfordern. Und die Hardliner im Iran können sich nicht mehr hinter den Wahlen verstecken, sie müssen jetzt klare Antworten auf die Angebote geben, und insbesondere der amerikanische Präsident hat gesagt, dass die friedliche Nutzung der Kernenergie ohne Zweifel auch dem Iran zugestanden werden muss. Es kommt insbesondere auf die Inspektionsmöglichkeiten und Überprüfungsmöglichkeiten an.

Liminski: Es bleibt beim alten Regime, nach den Wahlen im Iran war das eine erste Einschätzung von dem SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich. Besten Dank für das Gespräch hier im Studio!

Mützenich: Vielen Dank für die Einladung!