Ukraine nach dem Kompromiss: "Situation ist zerbrechlich"

Interview mit Thomas Schaaf
Veröffentlicht: 
WDR 5, 22.02.2014
Thema: 
Die Ukraine braucht jetzt dringender denn je Vermittler von außen. Das meint der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich. Im Morgenecho-Interview fordert er, auch den Kontakt zu Russland zu halten.

Thomas Schaaf: Die Lage in Kiew ist - unsere Nachrichten haben es soeben berichtet - ist sehr angespannt und längst nicht alles Oppositionelle fühlen sich dem gestern ausgehandelten Kompromiss verpflichtet. Auf dem zentralen Maidan Platz in Kiew führen Extremisten das große Wort. Unsere Korrespondenten berichten auch, die Staatsführung zeige deutliche Auslösungserscheinungen. Rolf Mützenich ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Mützenich!

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Schaaf!

Schaaf: Herr Mützenich, wie bewerten Sie die Lage zur Stunde?

Mützenich: Nun, das was man von hier hören und beobachten kann, ist sie zerbrechlich. Auf der anderen Seite scheint der Kompromiss doch so breit in unterschiedliche Gruppen, in unterschiedliche Lager zu reichen, dass wir auch hoffen können, dass sich die Lage auch in den nächsten Tagen weiter stabilisiert und auf dieser Grundlage dieser schwer herbeigeführte Kompromiss auch hält.

Schaaf: Aber was ist, wenn die das wahr machen? Die haben ja ein Ultimatum gestellt, die Extremisten in Kiew, wenn Präsident Janukowitsch nicht bis 10 Uhr zurück getreten ist, dann wollen sie den Präsidentenpalast stürmen.

Mützenich: In der Tat, das ist ein neues Ultimatum. Wir haben schon genügend Ultimaten in den letzten Tagen dort gehabt. Auf der anderen Seite höre ich auch, dass es besonnene Kräfte auch in diesen Bereichen gibt, die die Demonstranten davon abhalten wollen. Und möglicherweise tritt die Polizei ja auch ganz anders auf als in den letzten Tagen, wo es ja auch gezielte Schüsse auf Demonstranten gegeben hat. Wir haben das gehört und wir haben das gelesen.

Schaaf: Tatsache ist aber, die Vermittler sind jetzt wieder weg, die Kontrahenten  wieder mit sich allein. Wer kann überhaupt kontrollieren, ob diese Vereinbarungen überhaupt umgesetzt und überhaupt durchgesetzt werden?

Mützenich: Auf jeden Fall sind ja auch noch die Vertreter der Länder in Kiew, die an diesen Verhandlungen teilgenommen habe. Die Botschafter stehen auch weiterhin für Vermittlungsbemühungen bereit. Sie waren an den Verhandlungen ja letztlich auch beteiligt gewesen. Der Europarat spielt eine wichtige Rolle und wir haben ja auch die OSZE, die auch Vertreter in der Stadt hat. Ich habe gelesen, dass Janukowitsch auch Kiew verlassen hat. Auf der einen Seite ist das möglicherweise in Hinweis darauf, dass er an einem Kongress seiner Partei teilnehmen will, auf der anderen Seite schafft das vielleicht auch eine Beruhigung der Situation. Das werden wir einfach in den nächsten Stunden sehen, sie ist sehr zerbrechlich, sehr fragil.

Schaaf: Kann das auch bedeuten, dass die drei Außenminister nochmal ran müssen in Kiew?

Mützenich: Das ist nicht ausgeschlossen. Frank-Walter Steinmeier hat die Dienste der drei Außenminister, letztlich aber auch anderer Institutionen, auch angeboten. Und wir müssen ja auch sehen, auch Russland war beteiligt, die eigentlich vorher immer sehr gesagt haben, wir können hier von außen überhaupt nicht in diese Situation eingreifen. Auch Russland hat erkannt, dass die Sicherheitssituation, dass die Fragilität des politischen Systems hier mit dazu beigetragen hat, dass auf jeden Fall auch von außen auch Vermittler in diesen Prozess haben eingreifen müssen. Und es ist gut, dass es gestern gelungen ist, zu diesem Übereinkommen zu kommen, nach schwierigen Verhältnissen, aber auf der anderen Seite aber auch nach schrecklichen Bildern, die wir aus Kiew ,aber auch aus anderen Städten gesehen hatten.

Schaaf: Ohne jetzt zynisch werden zu wollen, aber im Blick auf diesen eben erst gestern ausgehandelten Kompromiss, auf die Rolle der EU im Falle Ukraine. Dieser, sagen wir mal, Etappenerfolg gestern, zeigt der der EU selbst, was bewegt werden kann, wenn Europa außen- und sicherheitspolitisch tatsächlich gemeinsam handelt?

Mützenich: Insbesondere dann, wenn auch die wichtigen Länder im Auftrag der Europäischen Union hier hin gehen, sich auch als Konfliktvermittler anbieten. Das war ja nicht nur in den letzten Tagen haben wir  Konfliktvermittlung angeboten, sondern auch Lady Ashton für die Europäische Union war da gewesen, auch, mit dem Rückhalt der Europäischen Union, aber offensichtlich haben erst die letzten Tage dazu beigetragen, dass die Rahmenbedingen dafür eben geworden sind. Und das hat natürlich auch etwas mit der veränderten Haltung Russlands zu tun.

Schaaf: Ja. Russland war von dem Punkt an eingebunden gestern Nacht, als Präsident Putin bereit war, einen Sondervermittler nach Kiew zu schicken. Wird das auch für die EU die Devise für die nächsten Tage sein müssen: Nichts ohne oder gegen Russland?

Mützenich: Wir brauchen zumindest den Kontakt zu Russland.  Das haben wir gesehen und das will auch das Land. Und auf der anderen Seite müssen wir auch genau auf die Protestbewegung schauen, die ja nicht nur in Kiew aktiv ist, sondern sich mittlerweile über das ganze Land ausgebreitet hat. Hier geht es nicht nur allein um Gegensätze in diesem riesigen Land, sondern hier geht es letztlich eben darum, dass eben viele Menschen eine gute Regierungsführung einfordern, sowohl vom Präsidenten, von der Regierung, aber letztlich eben auch was die örtlichen politischen Vertreter in den jeweiligen Städten vor Ort machen. Die Korruption ist einer der höchsten auf der ganzen Welt und wir sehen eben, dass hier das politische System eben nicht nur angegriffen ist, sondern eben auch die wirtschaftliche Basis.

Schaaf: Könnte das auch im Hinblick auf andere Länder vor dem Hintergrund des geopolitischen Ringens in der EU und Russland möglicherweise vor Zerreißproben stehen? Man könnte an Moldawien, an Georgien denken. Könnte das im Hinblick darauf auch ein Lehrstück sein, der Fall Ukraine.

Mützenich: Ich glaube, jede Situation ist anders. Und wie haben ja auch sogenannte "eingefrorene Konflikte", die sie gerade angesprochen haben, wo auch in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder der Versuch gemacht worden ist, mit Kontakten in den Ländern natürlich, aber auch mit Russland hier zu einem gemeinsamen Vorgehen zu kommen. Das kann möglicherweise jetzt auch nach der Situation in der Ukraine eben ein Motiv sein, dass wir uns bemühen müssen, noch stärker an dieser Stelle zu arbeiten. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen, wir brauchen auch jetzt aus diesem Momentum heraus eine Verständigung innerhalb der Europäischen Union darüber, wie auch mit Russland umzugehen ist. Wir haben ganz unterschiedliche Interessen. Nehmen Sie zum Beispiel Ungarn: 85% der Gaslieferungen kommen aus Russland über die Ukraine. Das sind Verletzlichkeiten, die wir auch auf jeden Fall auch offen besprechen müssen.

Schaaf: Der Fall Ukraine, die Rolle der EU und Russlands, dazu war das im Morgenecho Rolf Mützenich, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag, ich danke Ihnen.