"Überhaupt nicht angemessen"

Interview mit Steffi Neu
Veröffentlicht: 
WDR2, 17.06.2013
Thema: 
Wie kann die Politik Druck auf Ministerpräsident Erdogan ausüben? Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, äußerte sich auf WDR 2 über das Engagement des Bundestags und der EU.

EU und Bundesregierung hätten bereits vor Wochen versucht, mit der türkischen Regierung in Kontakt zu treten, um sie zu einem anderen Umgang mit der Protestbewegung und den Demonstranten zu bewegen - offensichtlich ohne Erfolg, so Mützenich im Gespräch mit WDR 2 Moderatorin Steffi Neu. Am Sonntag (16.06.2013) hatte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas gegen Tausende Menschen eingesetzt, die auf den zentralen Taksim-Platz gelangen wollten. Den Gezi-Park in der Nähe des Taksim-Platzes hatte Erdogan räumen lassen.

Falsches Zeichen in der Region

In der Einschätzung des gewaltsamen Vorgehens sei man sich im Bundestag weitgehend einig: "Es besteht große Übereinstimmung darin, dass die Reaktionen des türkischen Ministerpräsidenten überhaupt nicht angemessen sind." Er sei nicht in der Lage gewesen, ein richtiges Zeichen auch in der Region zu setzen, wie mit friedlichen Demonstrationen umzugehen sei, so Rolf Mützenich im WDR 2 Gespräch. Der einzige Dissens einzelner Parlamentarier über Parteigrenzen hinweg sei lediglich, was die EU im Hinblick auf Beitrittsgespräche tue.

Menschenrechtsstandards einhalten

"Solche Angebote, wie zum Beispiel möglicherweise in die europäische Union zu kommen, sind ein langer Prozess. Und sie werden an Standards gemessen, die zur Zeit die Türkei nicht einhält", so der Außenpolitik-Experte. Es gehe aber in erster Linie nicht um die Frage "EU-Mitglied oder nicht", die Türkei sei im Europarat, und da habe man sich verpflichtet, gewisse Menschenrechtsstandards einzuhalten. Nun müsse man alles tun, damit die Situation nicht weiter eskaliere. Mit dem Bürgerkrieg im angrenzenden Syrien seien auch Rückwirkungen auf die Türkei nicht auszuschließen.

Interview im Wortlaut:

Steffi Neu: Das macht uns doch Angst, was da gerade in der Türkei passiert. Am Wochenende ist die türkische Polizei wieder hart gegen Demonstranten vorgegangen, mit Wasserwerfern und Tränengas, ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder. Bei Facebook und Twitter sind diese Ausschreitungen ein großes Thema. Es gibt mittlerweile auch einen offenen Brief von deutschen Kulturschaffenden an die Bundeskanzlerin, darunter Jan-Josef Liefers, Fatih Akin, sie solle die türkische Regierung dazu bewegen, die Gewalt gegen die Bevölkerung sofort zu beenden.
Rolf Mützenich ist außenpolitischer Sprecher der SPD. Herr Mützenich, damit haben die Kulturschaffenden schon mehr getan als die EU, oder?

Rolf Mützenich: Ich glaube, die EU hat schon versucht, nach den Berichten, die wir bekommen haben, auch schon vor Wochen mit der türkischen Regierung in Kontakt zu treten, um die friedlichen Demonstranten auch zu respektieren und nicht dieses Vorgehen, was wir jetzt in den jüngsten Stunden gesehen haben, an den Tag zu legen. Genauso wie die Bundesregierung und in der vergangenen Woche hatten wir dazu eine aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag.

Neu: Ja, sagen Sie wie wird denn dieses Thema diskutiert unter den Parlamentariern? Vermutlich mit parteiübergreifender Einigkeit, oder?

Mützenich: Es besteht große Übereinstimmung darin, dass die Reaktionen des türkischen Ministerpräsidenten überhaupt nicht angemessen sind. Er eben nicht in der Lage gewesen ist, insbesondere ein richtiges Zeichen auch in der Region zu setzen, um mit friedlichen Demonstrationen angemessen umzugehen. Ich glaube, der einzige Dissens zwischen einzelnen Parlamentariern über die Fraktionsgrenzen hinaus ist sozusagen, was kann die EU im Hinblick auf die Beitrittsgespräche in Zukunft tun.

Neu: Genau, die Türkei und die EU wollen ja noch engere Freunde werden und - um da bei den neuen Medien zu bleiben - diese Freundschaftsanfrage würde vermutlich jetzt abgelehnt, oder?

Mützenich: Das sind auf jeden Fall Maßstäbe, die überhaupt nicht akzeptiert werden können. Aber ich will auch nochmal deutlich machen: es geht ja erst mal gar nicht darum man in der Europäischen Union ist, oder nicht. Wir kritisieren zum Beispiel auf der einen Seite Ungarn und Rumänien als Mitglieder der Europäischen Union, wie hier mit Minderheiten umgegangen wird, aber kritisieren wir natürlich auch Länder wie die Türkei, die Mitglied im Europarat sind und die sich eben auch verpflichtet haben, bestimmte Menschenrechtsstandards einzuhalten. Das ist erst einmal unabhängig davon. Solche Angebote, möglichweise in die Europäische Union zu kommen, sind ein langer Prozess und sie werden an Standards gemessen, die die Türkei zur Zeit eben nicht einhält.

Neu: Dann schätzen Sie mal ein, wie das jetzt weitergeht?

Mützenich: Ich hoffe nicht, dass die Situation weiter eskaliert. ich bin tief enttäuscht darüber, dass der türkische Ministerpräsident eigentlich vor wenigen Tagen versucht hat, zumindest dann offensichtlich angeblich, dann zu deeskalieren. Er hat sein Wort nicht eingehalten, deswegen ist en Schauen in die nächsten Tage ganz schwierig. wir müssen alles dafür tun, dass die Situation wieder friedlicher wird und nicht weiter eskaliert, denn wir sind in einer Region, die ja ohnehin, -  Grenze zu Syrien -  von einem Bürgerkrieg drangsaliert wird, wo mit Sicherheit auch die Türkei ihre Rückwirkungen haben wird.

Neu: Sagt Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion über die Situation in der Türkei und das Engagement der EU. Herzlichen Dank Ihnen, schönen Tag.

Mützenich: Ihnen auch! Vielen Dank, Frau Neu!