„Die Syrien-Friedensgespräche in Genf“

Interview mit Julia Kastein
Veröffentlicht: 
MDR Inforadio, 01.02.2016

Julia Kastein: In Genf beginnen sie heute also offiziell: Die Friedensverhandlungen für Syrien. Und immerhin sind ja inzwischen auch alle Verhandlungsparteien eingetroffen. An einem Tisch sitzen werden sie aber nicht. Dafür liegen die Positionen viel zu weit auseinander. Stattdessen werden die UN-Diplomaten zwischen den Parteien hin- und herpendeln und zu vermitteln versuchen. Wie groß ist die Chance, dass jetzt im dritten Anlauf ein Fahrplan entstehen kann für den Frieden und – ganz aktuell – die Not der Menschen in Syrien schnell gelindert wird? Darüber sprechen wir jetzt mit dem SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich. Schönen guten Morgen, Herr Mützenich.

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Kastein.

Kastein: Ich grüße Sie. Herr Mützenich, immerhin sind ja jetzt alle Verhandlungsparteien tatsächlich angekommen in Genf. Das war ja auch nicht ganz sicher am Wochenende, ob es dazu kommt. Ist das vielleicht schon der größte Erfolg oder wie groß ist Ihre Hoffnung heute früh, dass sich da diese Woche was bewegt Richtung Frieden in Syrien?

Mützenich: Es ist zumindest ein Zeichen, dass es durchaus eben Gruppen gibt, die den Verhandlungstisch wählen wollen, um den Konflikt in Syrien - insbesondere auch politisch - zu bearbeiten. Aber das ist jetzt nur der Beginn. Das ist ja das dritte Mal, dass verschiedene Verhandlungspartner zusammenkommen, und da liegt eine Menge Arbeit vor uns.

Kastein: Und die syrische Opposition hat ja nun auch jede Menge Vorbedingungen gestellt: Stopp der Bombardierungen ziviler Ziele, ein Ende der Blockade, Hilfskonvoys sollen durchgelassen werden, sie wollen, dass gefangene Oppositionelle freigelassen werden. Ist das alles legitim oder fehlt es da dann doch am Verhandlungswillen, Herr Mützenich?

Mützenich: Diese sogenannte Opposition tut Recht daran, weil das sind ja auch Bedingungen, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen [als] Apelle auch in einer Sicherheitsratsresolution gemacht haben, die aber von vielen kämpfenden Parteien - darunter eben auch Teile der sogenannten Opposition - nicht eingehalten werden. In den letzten Monaten sehen wir mehr und mehr, dass Städte ausgehungert werden und dazu gehört das Regime, aber auch andere kämpfende Gruppen.

Kastein: Nun ist ja in Genf der IS gar nicht mit dabei, Herr Mützenich. Aber der spielt ja trotzdem eine entscheidende Rolle in dieser sehr schwierigen Gemengelage. Der hat das mit dem blutigen Anschlag gestern mit Dutzenden Toten ja auch wieder schrecklich eindrucksvoll demonstriert. Solange der IS in Syrien wütet, kann es doch gar keinen Frieden geben.

Mützenich: In der Tat, aber dies ist eine Situation, die wir auch im Irak sehen. Deswegen ist es auch notwendig, den IS insbesondere auch mit militärischen Maßnahmen die territorialen Möglichkeiten, die er sich bisher geschaffen hat, wieder zu nehmen. Der IS wird nicht eingeladen, denn er ist ja auch gar nicht bereit, letztlich zu verhandeln. Wir haben aber eine sehr unterschiedliche Situation. Der IS im Irak zum Beispiel besteht aus Baath-Kadern, in Syrien hauptsächlich aus ausländischen Kämpfern. Und hier wird es wahrscheinlich keine Verhandlungslösung geben, aber wir müssen die Kräfte stärker unterstützen, die offensichtlich auch Waffen in dieses Gebiet geliefert haben gegenüber sunnitischen Arabern. Und dazu gehört teilweise auch der IS dazu.

Kastein: Aber solange der IS da weitermacht, hat da die Assad-Regierung nicht immer den Vorwand, dass man weiter gegen den Terror kämpfen muss und insofern sich eben gar nicht wirklich auf Verhandlungen einlässt?

Mützenich: Sie hat einen Vorwand, aber sie hat diesen Vorwand ja mit geschaffen, denn sie hat teilweise in bestimmten Zeitabschnitten dieses Krieges auch letztlich mit dem IS kooperiert. Und letztlich ist das Assad-Regime eben eine kämpfende Partei und das große Problem für uns auf der diplomatischen Ebene ist, dass es mehr und mehr zu einem Stellvertreterkrieg gekommen ist und wir sehen ja auch, wie leicht der eskalieren kann beim Abschuss des russischen Flugzeugs durch das türkische Militär.

Kastein: Und da hat sich ja die Situation am Wochenende noch mal ein bisschen verschärft, weil die Türken sich beklagt haben, die Russen hätten wieder ihren Luftraum verletzt. Wie ernst nehmen Sie das? Wie groß ist Ihre Sorge, dass auch da der Konflikt eskalieren könnte?

Wir haben große Sorgen und das muss auch insbesondere den handelnden Akteuren der Türkei, aber auch letztlich Russland klar sein, dass hier ein Eskalationspotenzial vorhanden ist, was möglicherweise noch große Weiterungen hat. Umso froher sind wir auch, dass es erst mal zu diesen Gesprächen gekommen ist. Und ich sehe durchaus auch Kooperationsbereitschaft zwischen den USA und Russland, das ist ganz entscheidend.

Kastein: Herr Mützenich, nun hat ja Deutschland in der Flüchtlingskrise ein sehr großes Interesse daran, dass es Frieden gibt in Syrien. Die Kanzlerin hat am Wochenende noch mal gesagt, sie erwarte, dass die syrischen Flüchtlinge zurückgehen. Ihr Flüchtlingsstatus sei ja schließlich befristet auf drei Jahre. Das heißt, da gibt es irgendwie eine Frist tatsächlich. Wie groß ist ihre Hoffnung, dass tatsächlich in drei Jahren die Situation in Syrien so sein wird, dass die Flüchtlinge zurückkehren können?

Mützenich: Ich bin skeptisch. Diese drei Jahre beziehen sich ja auf die Genfer Flüchtlingskonvention, das ist sozusagen auch ein gesetztes Datum. Aber davon darf man auch die Verhandlungen nicht abhängig machen. Was wir aber tun müssen – und deswegen ja auch die Londoner Geberkonferenz – wir müssen alles erreichen, insbesondere die Binnenflüchtlinge - ja sieben bis acht Millionen allein in Syrien - humanitär zu versorgen, umschlossene Städte auch letztlich zu öffnen. Und ich glaube, wenn wir das überhaupt mal zu einem Thema machen und vielleicht sogar auch zu einer Vereinbarung kommen, wäre schon eine Menge getan, auf dem man auch politisch würde aufbauen können. Eine Waffenruhe muss her und insbesondere die humanitäre Versorgung der Zivilbevölkerung.