"Mit Staatsräson ist nicht Kritiklosigkeit gemeint"
Rolf Mützenich, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, sieht im Krieg zwischen Israel und der palästinensischen Hamas den UN-Sicherheitsrat gefordert.
Katja Tichomirowa: Herr Mützenich, was bleiben dem Ausland nach der gescheiterten Nahost-Mission von US-Außenminister Kerry noch für Optionen?
Rolf Mützenich: Anstatt einer unverbindlichen Erklärung muss der Sicherheitsrat jetzt eine sofortige Waffenruhe fordern. Die hohe Zahl ziviler Opfer, die Zerstörungen der öffentlichen Infrastruktur im Gazastreifen sowie die Fortsetzung der Angriffe auf Israel sind durch nichts zu rechtfertigen.
Tichomirowa: Wie könnte der Sicherheitsrat die Konfliktparteien zum Einlenken bewegen?
Mützenich: Die vorgegebenen Kriegsziele dürfen das humanitäre Kriegsvölkerrecht nicht weiter aushöhlen, ohnehin gibt es keine militärische Lösung für den Konflikt. Die Hamas und die israelische Regierung müssen sich darüber im Klaren sein, dass ihr Vorgehen von der internationalen Strafgerichtsbarkeit verfolgt werden wird.
Tichomirowa: Steht die deutsche Staatsräson der Kritik am Vorgehen Israels entgegen?
Mützenich: Die Bundesregierungen haben durchaus versucht, Einfluss zu nehmen. Gemeinsam mit den Regierungen Frankreichs und Großbritanniens hatten wir eine Erklärung zum israelischen Siedlungsbau in den Sicherheitsrat eingebracht. Auch die Aussetzung der Lieferung eines weiteren deutschen U-Boots an Israel war ein deutliches Zeichen. Was die Bundeskanzlerin mit Staatsräson meinte, ist möglicherweise auch falsch verstanden worden. Kritiklosigkeit am Vorgehen der israelischen Regierung war es nicht.
Tichomirowa: Haben die USA ihre Einflussmöglichkeiten im Nahen Osten verloren?
Mützenich: Die Möglichkeiten der USA, auf verschiedene Krisen allein einzuwirken, sind zurückgegangen. Das gilt besonders für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Deshalb muss man Außenminister Kerry umso mehr danken, der sich monatelang bemüht hat, auch weil sich kein anderer Vermittler angeboten hat. Die sehr deutliche Zurückweisung Kerrys von Seiten der israelischen Regierung deutet für mich darauf hin, dass es eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit über den weiteren Umgang mit palästinensischen Organisationen gibt.
Tichomirowa: Ist die gemeinsame Regierung von Fatah und Hamas gescheitert?
Mützenich: Die israelische Regierung wäre ? offensichtlich im Gegensatz zur Obama-Administration ? niemals zu einer Anerkennung bereit gewesen. Die brutale Ermordung der israelischen Jugendlichen im Westjordanland hat sie in dieser Haltung bestärkt.
Tichomirowa: Wer hat noch Einfluss auf die Hamas?
Mützenich: Ich zweifele, ob es derzeit überhaupt noch Regierungsvertreter aus der Türkei oder Katar gibt, die unmittelbar Einfluss nehmen können. Der militärische Arm der Hamas bestimmt derzeit das Geschehen. Offenbar haben die das Sagen, die einem Ende mit Schrecken den Vorzug geben, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten.