SPD will deutsche Waffenexporte zum Wahlkampfthema machen

Interview mit Lars Haferkamp
Veröffentlicht: 
Vorwärts, 09.08.2013
Thema: 
Deutsche Waffenlieferungen in den Nahen Osten

Lars Haferkamp: Herr Mützenich, Deutschland ist zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt nach den USA und Russland aufgestiegen. Ist das eine gute oder schlechte Nachricht?

Rolf Mützenich: Für Krauss-Maffei Wegmann, Rheinmetall und andere betroffene Firmen ist dies sicher eine gute Nachricht, für die "Friedensmacht" Deutschland eine schlechte - zumal ein Großteil der Waffenlieferungen in Kriegs- oder Krisengebiete geht. Auf der einen Seite propagiert der Außenminister Abrüstung und Rüstungskontrolle als Kernziele deutscher Außenpolitik, gleichzeitig rüstet Deutschland die Krisenregion Naher Osten massiv auf. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat dem internationalen Ansehen Deutschlands mit ihrer zügellosen Rüstungsexportpolitik Schaden zugefügt. Deutsche Außenpolitik unter Schwarz-Gelb beschränkt sich zunehmend auf Außenwirtschaftsförderung.

Haferkamp: Im Jahr 2012 haben sich die deutschen Rüstungsexporte in den Nahen Osten verdoppelt, nach Saudi-Arabien sogar verneunfacht. Warum unterstützt diese Bundesregierung ausgerechnet Riad so massiv, eine der letzten absoluten Monarchien der Welt, die nachweislich in zahlreichen Ländern Islamismus und Terrorismus finanziert und die Demokratie im eigenen Land sowie in den Nachbarländern unterdrückt?

Mützenich: Die Bundesregierung betrachtet Saudi-Arabien offenbar als Stabilitätsfaktor und Partner im Kampf gegen den Terrorismus, welcher jedoch nachweislich aus Saudi-Arabien mit finanziert wird. Man weiß deshalb nicht, ob man diese Haltung blauäugig oder zynisch nennen soll. Vermutlich ist es eine fatale Mischung aus beidem. Offensichtlich hat die Bundesregierung mit der deutschen Rüstungsindustrie einen stillschweigenden Deal geschlossen, nachdem die - nicht zuletzt als Folge der Eurokrise und der Bundeswehrreform - sinkenden staatlichen Aufträge durch weniger Beschränkungen für Rüstungsexporte wieder wett gemacht werden können. Das heißt: Diese Bundesregierung handelt in Fragen von Rüstungsexporten eben nicht strategisch sondern oportunistisch - ohne die gefährlichen sicherheitspolitischen Konsequenzen ihrer Rüstungsexportpolitik zu bedenken.

Haferkamp: Was ist eigentlich aus dem Grundsatz deutscher Rüstungsexportpolitik geworden, in Krisengebiete möglichst keine Waffen zu exportieren?

Mützenich: Der gilt nicht mehr oder nur noch eingeschränkt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist offensichtlich dazu übergegangen, fehlende kluge Außen- und Sicherheitspolitik durch die verantwortungslose Ausweitung von Rüstungsexporten zu kompensieren. Die seit 2000 bestehenden, von Rot-Grün beschlossenen "Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" werden von der Regierung Merkel systematisch umgangen. Die bisherige, weitgehend restriktive Rüstungsexportpolitik wird zunehmend von einer politischen überlagert. Dazu gehören Waffenlieferungen an vermeintliche "Stabilitätspartner", respektive an Regierungen, die bereit sind, gegen unliebsame "Terroristengruppierungen" vorzugehen.

Haferkamp: Welche Konsequenzen fordert die SPD von der Bundesregierung?

Mützenich: Die SPD hat der Bundesregierung in dieser Wahlperiode immer wieder angeboten, kurzfristig eine parteiübergreifenden Regelung im Bundestag zu erarbeiten und zu verabschieden, nach der Rüstungsexporte nur noch restriktiv und vor allem in einem transparenten Verfahren durchgeführt werden dürfen. Wir haben unter anderem die Einrichtung eines parlamentarischen Gremiums vorgeschlagen, das vierteljährlich - und in dringenden Fällen zeitnah - von der Regierung über größere Waffengeschäfte informiert wird und zudem gegenüber der Bundesregierung und dem Bundessicherheitsrat Empfehlungen aussprechen können soll. Dieses Angebot haben die Koalitionsfraktionen leider ignoriert und damit die Chance verpasst, mit dem Thema politisch verantwortungsvoll umzugehen.
 
Haferkamp: Wird das ein Thema im Bundestagswahlkampf?

Mützenich: Ja, denn es ist ein Thema, bei dem man die Unterschiede zur Politik dieser Bundesregierung deutlich herausarbeiten kann.
 
Haferkamp: Was würde sich bei den Rüstungsexporten unter einer rot-grünen Bundesregierung ändern?

Mützenich: Die Ausweitung von Rüstungsexporten aus wirtschaftlichen Gründen als Ersatz für eine vorausschauende Außenpolitik ist ein Irrweg. Die derzeitige Praxis bei der Frage der Rüstungsexporte ist zudem intransparent und vordemokratisch. Wir brauchen ein verbindliches und transparenteres Rüstungsexportgesetz, in dem festgelegt wird, welche Kriterien für Länder gelten, die deutsche Waffen erhalten. Es ist das erklärte Ziel einer künftigen rot-grünen Regierung die Praxis der Rüstungsexportvergabe restriktiver und transparenter zu gestalten. Wir fordern, dass künftig bei Rüstungsexporten wieder die seit 2000 geltenden Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung, das Außenwirtschaftsgesetz und das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen - ebenso wie der EU-Verhaltenskodex zu Rüstungsexporten - eingehalten werden. Wir wollen, dass der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung spätestens drei Monate nach dem jeweiligen Berichtsjahr übergeben und der Deutsche Bundestag frühzeitig in Rüstungsexportentscheidungen mit eingebunden wird. Wichtig ist zudem, dass der Endverbleib von deutschen Rüstungsexporten systematisch kontrolliert wird.