SPD-Politiker lobt palästinensischen Übergangsregierungschef
Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich hat nach eigenen Angaben einen guten Eindruck von dem Regierungschef der palästinensischen Notstandsregierung, Salam Fajad, gewonnen. Dieser habe eine Vorstellung davon, wie die Situation im Gazastreifen mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft stabilisiert werden könne. Zugleich zeigte sich Mützenich zuversichtlich, dass sich die Hamas im Westjordanland nicht wie im Gazastreifen gegen die Fatah durchsetzen werden könne.
Klaus Remme: Nach dem Sieg der Hamas im Gazastreifen schien die Option für Israel scheinbar nahe liegend: Dialog mit der Fatah, Isolierung der Hamas. Auf die Frage, ob das so einfach ist, ob es gute und schlechte Palästinenser gibt, darauf sagte der frühere israelische Botschafter in Deutschland Avi Primor heute Morgen hier im Deutschlandfunk:
O-Ton Primor: Das gab es immer. Noch bevor wir den Osloer Prozess 1992 begonnen haben gab es immer die Guten und die Bösen. Damals waren die Bösen die Fatah-Leute. Heute sind die Fatah-Leute die Guten. Das sind alles Begriffe, die man so für die Taktik der Politik benutzt, aber in Wirklichkeit gibt es heute tatsächlich ein Problem mit dem Gazastreifen, wo die Hamas, die Fundamentalisten die Macht übernommen haben, und das besorgt alle. Nicht nur für Israel, sondern auch für die arabischen Staaten, für die arabischen Regierungen, weil die alle die Welle der Fundamentalisten fürchten, und natürlich der Westen.
Remme: Die Einschätzung von Avi Primor. Am Telefon mitgehört hat Rolf Mützenich, SPD-Außenpolitiker. Er ist zurzeit in Tel Aviv. Guten Tag Herr Mützenich!
Rolf Mützenich: Guten Tag Herr Remme!
Remme: Herr Mützenich, Sie haben gestern unter anderem in Ramallah mit dem neuen Regierungschef der Notstandsregierung Salam Fajad gesprochen. Welchen Eindruck haben Sie?
Mützenich: Nun ich hatte wie auch in den vergangenen Gesprächen, wo er eine andere Funktion hatte, einen guten Eindruck gehabt. Ich glaube, dass er einen guten Plan davon hat, wie er die Regierung auch mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft stabilisieren will. Auf der anderen Seite weiß er natürlich auch, dass er nicht der entscheidende Akteur ist, sondern man braucht andere, sowohl innerhalb Palästinas, aber natürlich braucht man auch eine Kompromissbereitschaft von Seiten Israels.
Remme: Wir erleben eine Zweiteilung der Macht in den Palästinensergebieten. Ist damit eigentlich offensichtlich und bewiesen, dass die Strategie einer Isolierung der Palästinenser nach dem Wahlsieg der Hamas fehlgeschlagen ist?
Mützenich: Auf jeden Fall hat das keinen Erfolg gezeigt. Das sehen wir ja. Hamas hat sich kein bisschen an dieser Stelle zumindest auf den äußeren Druck hin bewegt. Man muss feststellen, dass die Europäische Union, aber auch die USA ein großes Interesse hatte, eine Regierung der so genannten nationalen Einheit zwischen Fatah und Hamas zu bekommen. Dennoch gab es aus meiner Sicht zu wenig Flexibilität an dieser Stelle. Das heißt aber nicht, dass wir die alleinige Verantwortung dort zu tragen hätten. Im Gegenteil: Das ist natürlich eine Situation, die insbesondere die Palästinenser und auch natürlich die Fatah-Führung mit zu verantworten haben, was da passiert ist, und Hamas muss dafür einstehen, was mit brutalen Mitteln in den letzten Tagen im Gazastreifen passiert ist. Also alle tragen eine große Verantwortung. Die Leidtragenden sind die Menschen dort.
Remme: Aber Herr Mützenich welche Lehre wird aus dieser Erfahrung zu ziehen sein?
Mützenich: Nun ich denke, dass Politik und gerade die Fragen von internationaler Politik lernfähig sind. Das Nahost-Quartett ist ja Gott sei Dank auf europäischen Druck überhaupt wieder zu Stande gekommen in diesem Jahr. Dafür hat die deutsche Bundesregierung eine Menge getan. Das war gut gewesen, dass die USA nicht mehr abseits gestanden haben. Jetzt geht es darum, Ministerpräsident Fajad und Palästinenserpräsident Abbas von Seiten auch Israels genug Raum zu geben, um die Regierung zu stabilisieren, und das heißt natürlich gerade auch im Westjordanland für Bewegungsfreiheit zu sorgen. Natürlich müssen die Steuergelder, die Zollgelder ausgezahlt werden an die palästinensische Regierung und ich glaube es sollte noch der eine oder andere Schritt auch im politischen Dialog unternommen werden.
Remme: Aber ist das nicht die gleiche Vorgehensweise erneut? Wieder wird versucht, die Hamas zu isolieren. Man setzt auf Abbas und das Westjordanland.
Mützenich: Davor warne ich und deswegen ist es gut, wenn man auch hier, wenn man in Palästina ist, mit unterschiedlichen Gruppen spricht und auch die Meinungen hört. Es ist zum Beispiel gut gewesen, dass bei der damaligen Einheitsregierung auch unabhängige Parteien, unabhängige Gruppen dabei gewesen sind, und ich glaube ich habe gestern in den Gesprächen festgestellt, dass gerade viele Palästinenser überlegen, in den 30 Tagen, wo ja jetzt das Übergangskabinett in Ramallah in Kraft ist, auch zu versuchen, vielleicht einen Ausweg zu finden, eine Regierung von Technokraten, von Unabhängigen zu finden, um dort vielleicht dann auch für ein gemeinsames Vorgehen, auch vielleicht mit Teilen von Hamas letztlich zu sorgen. Da gibt es einen politischen Prozess und wir dürfen nicht denke ich mal mit Bedingungen in diesen Prozess eingreifen. Wir müssen aber darauf achten, dass er ein friedlicher Prozess ist.
Remme: Haben Sie mit Vertretern der Hamas gesprochen?
Mützenich: Nein. Ich habe nicht offiziell mit Vertretern von Hamas gesprochen. Das steht mir auch nicht zu. Ich glaube auch nicht, dass Deutschland hier diesen ersten Schritt unternehmen sollte. Vertreter des Europäischen Parlaments waren ja vor kurzem hier gewesen. Norwegen spielt eine wichtige Rolle. Aber ich glaube, dass gerade wir als deutsche Politikerinnen und Politiker gute Kontakte zu Unabhängigen haben, und da kann man nie sagen, in welches Fahrwasser die dann zurzeit gehören. Es ist gut, mit allen Gruppen letztlich zu sprechen.
Remme: Ich habe es nicht verstanden, Herr Mützenich. Warum steht es Ihnen nicht zu, mit der Hamas zu sprechen?
Mützenich: Ich glaube, dass gerade Deutschland darauf achten muss, im Hinblick auf unsere besonderen Beziehungen zu Israel hier nicht den ersten Schritt letztlich zu tun. Wir glaube ich stehen aber bereit für einen Prozess innerhalb der Europäischen Union, der ja auch bedeutet hat, auch noch der damaligen Einheitsregierung bereits Gelder zu geben, und erst danach ist es leider zu diesen schrecklichen Ereignissen im Gazastreifen gekommen, weil eben auch Hamas-Gruppen nicht an einem politischen Prozess interessiert waren. Deswegen teile ich das, was Avi Primor heute Morgen bei Ihnen auch im Rundfunk gesagt hat. Man darf nicht zwischen Guten und Bösen hier unterscheiden, sondern man muss versuchen, mit allen Kräften zu reden und auf sie positiv auch einzuwirken.
Remme: Herr Mützenich, für wie groß halten Sie die Gefahr, dass sich im Westjordanland wiederholt, was in Gaza passiert ist?
Mützenich: Ich glaube zumindest nach meinem äußeren Eindruck, dass sich das dort nicht so wiederholen kann. Man muss ja einfach davon ausgehen: sie sind ja in einem Land, im Westjordanland, was zerschnitten ist von Siedlungen, von Straßen, die die Israelis, die das israelische Militär beherrscht. Also das wird hier nicht so einfach sein, mit einem militärischen Coup vorzugehen. Auf der anderen Seite müssen wir uns darüber klar werden: im Westjordanland hat Hamas viele Stimmen bekommen. Schauen wir allein auf Nablus, auf Bethlehem und viele andere Städte auch. Da war Hamas stark und sie bleiben auch stark.
Remme: Noch kurz zum Quartett. Tony Blair soll zum neuen Vermittler ernannt werden, ein Mann, der in der muslimischen Welt eindeutig als Partei wahrgenommen wird. Eine kluge Wahl?
Mützenich: Er ist zumindest dann klug, wenn er auf alle Seiten versucht einzuwirken. Ich habe in Ihrem Vorbericht gehört, er muss insbesondere auf die palästinensische Autonomiebehörde einwirken. Das glaube ich ist ein Teil. Er muss aber auch auf Israel einwirken. Und der Hauptteil ist: Er muss auf die USA einwirken, dass sie eben bereitstehen für einen friedlichen Prozess, ein Umdenken auch an dieser Stelle. Wenn Bush aus diesen Fehlern gelernt hat, die in den vergangenen Jahren gemacht worden sind, dann kann er hier etwas bewegen. dass er nicht mit offenen Armen von allen empfangen wird, ich meine das muss klar sein.
Remme: Eine kluge Wahl, Herr Mützenich, oder nicht?
Mützenich: Das ist eine Wahl des Nahost-Quartetts, was auf Ausgleich bezogen ist. Ich kann auch keine anderen Kandidaten zum jetzigen Zeitpunkt finden. Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir einen Beauftragten des Nahost-Quartetts bestellen. Wir haben ja gesehen, was der Vorgänger von möglicherweise jetzt Herrn Blair erlitten hat, und das wünsche ich Herrn Blair auf keinen Fall.