SPD-Iran-Experte Mützenich: Ruhani nicht überfordern

Interview mit Rudolf Geissler
Veröffentlicht: 
SWR 2 Tagesgespräch, 26.09.2013
Thema: 
5+1-Atom-Gespräche mit Teheran

Zusammenfassung:

Der Iran-Experte der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, warnt davor, im Konflikt um das iranische Atomprogramm die Erwartungen an Präsident Ruhani zu "überfrachten". Mützenich sagte im Südwestrundfunk (SWR), der Westen müsse die nach wie vor "schwierige Machtbalance" in Teheran im Auge behalten. Die jüngste Warnung der besonders konservativen Revolutionsgarden vor zu viel Entgegenkommen gegenüber den USA zeige, dass die Realisten in der Führung des Gottesstaates unter Beobachtung stünden. Ruhanis Interesse an einer diplomatischen Lösung des Atomkonflikts zeige sich darin, dass er es geschafft habe, die Verhandlungen vom Nationalen Sicherheitsrat weg in die Hände des iranischen Außenministeriums zu legen.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Rudolf Geissler: Eine Begegnung von so hohem diplomatischem Rang wie heute in New York hat es seit mehr als 30 Jahren nicht gegeben zwischen den USA und dem Iran. Nicht mehr nur Botschafter sitzen sich heute gegenüber bei den so genannten 5+1-Gesprächen. Heute sind Außenminister Kerry und sein Teheraner Kollege Sarif Auge in Auge mit dabei in dieser Runde der Atommächte plus Deutschland mit dem Iran. Die beiden werden die Runde politisch veredeln, keine Frage, nur was kann denn John Kerry realistischer weise herausfinden bei dieser ja doch wohl relativ kurzen Begegnung?

Rolf Mützenich: Das ist ein sehr bedeutsames Treffen, wo insbesondere Signale und auch Symbole letztlich erwartet werden. Der Iran war in den vergangenen Jahren der Verhandlungen über sein Atomprogramm immer bemüht gewesen, auf Augenhöhe mit den USA zumindest zu erscheinen auch gegenüber der Bevölkerung im Iran. Und von daher ist es relativ wichtig, dass Ruhani es geschafft hat, auch dieses Dossier auf das Außenministerium zu verlagern - nicht mehr auf den Nationalen Sicherheitsrat, weil er damit auch signalisiert, er möchte eine diplomatische Lösung

Geissler: Was spricht denn aus Ihrer Sicht dafür, dass das was Präsident Ruhani jetzt begonnen hat, mehr ist als nur ein weiteres Spiel auf Zeit?

Mützenich: Scheinbar ist es so, dass die Sanktionen, aber letztlich auch die verfehlte Wirtschaftspolitik von Achmadinedschad und seiner Regierung zu einem Fast-Zusammenbruch der iranischen Wirtschaft geführt haben. Andererseits hat der Iran auch immer wieder Interesse geäußert, seine Außenbeziehungen zu diversifizieren, das heißt also auch, trotz aller Gegnerschaft in Richtung Westen zu betreiben, weil es durchaus gemeinsame Interessen gibt, in Afghanistan, aber auch die Frage der Lieferungen von Rohstoffen - alles das befördert möglicherweise auch eine Verständigung über das Programm. Wir müssen aber aufpassen, dass wir in diesen Tagen auch die Situation nicht überfrachten und sozusagen jetzt nur von Ruhani etwas erwarten, was er vielleicht im Inneren letztlich nicht liefern kann.

Geissler: Es gab ja vor Jahren eine weit über die Grenzen des Iran hin spürbare innenpolitische Unruhewelle im Land. Die scheint nachhaltig abgeebbt zu sein, trotz der Sanktionsschraube. Ist dieser Protest von schlichtem Abwarten abgelöst worden, oder ist die Angst vor Repressalien vielleicht eher größer als früher?

Mützenich: Die Repressalien und die Unterdrückung der grünen Bewegung wirkt immer noch fort, und wir haben auch immer noch politische Gefangene - das dürfen wir nicht vergessen. Die Situation ist aber so, dass nach den Wahlen immer noch eine große Erwartungshaltung an die Regierung Ruhani ist. Sie ist ja erst seit einigen Monaten im Amt. Die Menschen scheinen auch geduldig zu sein, um abzuwarten, welche Ergebnisse es gibt. Aber die Herausforderungen in der Innenpolitik, in der Sozialpolitik, sind riesengroß. Und ich glaube, wir dürfen diese Chance auch nicht verpassen, dass wir auch Angebot letztlich in Richtung Iran machen. Und wenn die amerikanische Regierung dazu bereit ist, ist das der Schlüssel.

Geissler: Es ist ja schon mancher maßvolle Politiker im Iran in Ungnade gefallen, abgelöst worden, auch weil es ihm vom Ausland her nicht leicht gemacht wurde. Vor welchen denkbaren Fehlern sollte sich der Westen denn möglichst hüten, wenn er die Gemäßigten stärken will statt schwächen?

Mützenich: Insbesondere dürfen wir Ruhani und seine Regierung nicht überfordern und die Erwartungshaltung unmittelbar hochschrauben. Wir müssen insbesondere darauf achten, welch innenpolitisch schwierige Machtbalance es im Iran weiterhin noch gibt. Es gibt Gruppen, die sozusagen gegen diesen Kurs gehen. Ich würde aber auch davor warnen, diesen Kurs als letztlich gemäßigt zu beschreiben. Er ist ein sehr realistischer Kurs, weil er an der wirtschaftlichen Situation ein großes Interesse hat, und auf der anderen Seite stärker auf Diplomatie setzt. Zum Schluss wird immer der religiöse Führer entscheiden.

Geissler: Die iranischen Revolutionsgarden, also die ganz besonders konservativen reaktionären Kräfte des Gottesstaates, haben ausdrücklich davor gewarnt in der letzten Woche, den Amerikanern oder dem Westen zu weit entgegen zu kommen. Ist das mit Blick auf das, was Sie eben gesagt haben, nur Rhetorik oder zeigt das, das die Gemäßigten durchaus unter verstärkter Beobachtung stehen?

Mützenich: Auf jeden Fall. Das Misstrauen ist groß. Aufgrund der Erfahrungen aus dem irakisch-iranischen Krieg, aber aus anderen Situationen wird dort geschlossen, dass man sich auf Verabredungen oder auf den so genannten Westen nicht verlassen kann. Auf der anderen Seite sind die Probleme im Inneren ohne auch eine diplomatische Lösung letztlich nicht zu lösen. Deswegen hat der religiöse Führer auch gegenüber den Revolutionsgarden sehr deutlich gemacht, dass jetzt die Regierung in Teheran am Zug ist.