SPD-Außenpolitiker Mützenich sieht in und um Iran "wachsende Spannungen"
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, sieht in dem jüngsten mutmaßlichen Anschlag auf Präsident Ahmadinejad ein "Indiz für wachsende Spannungen im Iran". Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Mützenich, auch wenn der Vorfall selbst noch ungeklärt sei, die wirtschaftliche und soziale Situation unter dem Teheraner Regime habe sich in jüngster Zeit ebenso zugespitzt wie die äußere Isolation des Landes im Nahen Osten. So bewege sich Syrien inzwischen "in Richtung der internationalen Gemeinschaft" und auch "die Golf-Staaten stellen sich gegen den Iran auf". Unter den Oppositionsgruppen im Vielvölkerstaat Iran gebe es einige, die sich in der Vergangenheit immer schon mit Anschlägen gegen Unterdrückung gewehrt hätten, sagte Mützenich. Auf die Frage, ob möglicherweise Teile der iranischen Elite hinter dem gestrigen Vorfall stecken könnten, sagte der SPD-Politiker, das Regime selbst sei "gespalten" und politischer Konsens nur möglich, "wenn auch der religiöse Führer seine Zustimmung" dazu gegeben habe. Da die "wirtschaftlichen Verteilungsmechanismen" nicht mehr so funktionierten wie früher, gebe es auch "Opposition innerhalb des Regimes", und so könne man "nicht ausschließen, dass einzelne Gruppen auch hier gemeinsame Sache" machten.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Rudolf Geissler: Was war das gestern im Iran, nach Ihren Informationen, ein Anschlag auf den Präsidenten oder ein Freudenfeuerwerk?
Rolf Mützenich: Nun, das ist schwer von hier aus zum jetzigen Zeitpunkt zu beurteilen. Die Informationen sind sehr widersprüchlich. Aber nach meinem Dafürhalten auf der anderen Seite doch ein Indiz für wachsende Spannungen im Iran. Die wirtschaftliche und soziale Situation ist schwierig. Es gibt neue Entwicklungen im Nahen Osten. Syrien bewegt sich in Richtung der internationalen Gemeinschaft. Auch die Golfstaaten stellen sich gegen den Iran auf. Alles das sind Indizien, die es dem Regime schwerer machen, innerhalb des Iran für Zustimmung zu sorgen.
Geissler: Ein großes Tableau, nehmen wir uns was raus. Wenn es ein Anschlag gewesen sein sollte, inwiefern bedient sich die iranische Opposition oder Teile von ihr überhaupt der Gewalt, um sich bemerkbar zu machen?
Mützenich: Es gibt ja unterschiedliche Oppositionen. Es gibt auch eine gewaltsame Opposition. Wir müssen uns immer wieder daran erinnern: Iran ist ein Vielvölkerstaat. Es sind dort ethnische Minderheiten, die auch unterdrückt werden. Einzelne von ihnen reagieren auch mit Gewalt darauf. Die Revolutionsgarden sind Ziel solcher Anschläge in der Vergangenheit gewesen. Aber auf der anderen Seite müssen wir auch sehen, dass auch die Regierung mit Gewalt operiert und die Gewalt insgesamt im Iran hat zugenommen. Das macht die Spannungen aus, das macht die diffuse Situation aus, aber auch die Gefährlichkeit der Lage.
Geissler: Wie wahrscheinlich ist denn, dass Teile der iranischen Elite, sozusagen die Konkurrenz hinter so was stecken könnte?
Mützenich: Nun, das Regime ist gespalten. Das sieht man auch immer wieder, wenn man in Richtung Parlamentspräsident Laridschani zum Beispiel schaut. Er ist ein vehementer Gegner von Ahmadinejad. Innerhalb des Regimes wird im Grunde genommen nur poltischer Konsens hergestellt, wenn auch der religiöse Führer seine Zustimmung dazu gibt. Das ist eine sehr schwierige Lage und insbesondere, wenn die wirtschaftlichen Verteilungsmechanismen nicht mehr so funktionieren wie in der Vergangenheit, gibt es natürlich auch Opposition innerhalb des Regimes. Und man kann nicht ausschließen, dass einzelne Gruppen auch hier gemeinsame Sache machen.
Geissler: Sie schildern die Lage relativ brisant. Verglichen nur mit dem, was über die wirtschaftliche Lage im Iran gemeldet wird, verhält sich die politische Opposition nach meinem Eindruck derzeit relativ still von außen betrachtet, oder ist meine Wahrnehmung falsch?
Mützenich: Nein, das ist richtig. Aber wir müssen natürlich auch sehen, die Opposition, sowie wir sie auch im Fernsehen, wie wir sie in anderen Medien gesehen haben, ist massiv unterdrückt worden. Todesurteile sind vollstreckt worden. Die Repressionen, die ausgestattet worden sind, das würde uns natürlich auch sehr zur Zurückhaltung mahnen. Auf der anderen Seite müssen wir sehen, die Opposition besteht aus sehr vielen Facetten, wie wir auch eben diskutiert haben. Und deswegen ist es nicht so einfach zu sagen, sie hält sich zurück. Es gibt schon einen inneren Widerstand nach meinem Dafürhalten im Iran. Und der wächst auch, insbesondere weil die Regierung die sozialen und wirtschaftlichen Probleme scheinbar nicht lösen kann.
Geissler: Ahmadinejad scheint sich ja selbst ohnehin, auch persönlich und körperlich, weit mehr von Israel und den USA bedroht zu fühlen als von der Opposition im Land. Dagegen: die internationalen Sanktionen wegen des Atomstreits scheint er nicht besonders ernst zu nehmen, auch in dieser Rede gestern nach dem mutmaßlichen Anschlag oder was auch immer es war. Ist das vorgetäuscht, diese relative Gleichgültigkeit, nach Ihrem Eindruck, oder läuft das ganz Ganze tatsächlich ins Leere, diese Sanktionen?
Mützenich: Verbal helfen natürlich immer wieder Sanktionen, weil er darauf hinweisen kann, er ist der einzige, der im Grunde genommen den Widerstand gegen die internationale Gemeinschaft organisieren kann. Darauf müssen wir immer wieder Bezug nehmen. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht unterschätzen, wie die Sanktionen wirken nach meinem Dafürhalten mittlerweile, insbesondere wirken sie politisch, weil ja zum Beispiel auch die Volksrepublik China dieses Mal ausdrücklich den Sanktionen zugestimmt hat. Und der Iran ist durchaus informiert, die Gesellschaft ist über diese politische Entwicklung informiert. Die Händler haben in den vergangenen Wochen massiv gegen Ahmadinejad, gegen die Regierung gestreikt aus sehr unterschiedlichen Gründen. Also dies ist schon eine schwierige Lage, und das wird auch Ahmadinejad erkennen müssen.
Geissler: Ist denn aber, um diese Brücke mal zu schlagen, eigentlich die Opposition im Iran so zweifelsfrei für einen Atomverzicht des Landes, den die internationale Gemeinschaft will, oder kann die internationale Gemeinschaft und der Westen in diesem Fall eigentlich gar nicht zählen auf Unterstützung von dieser Seite?
Mützenich: Nein, im Gegenteil. Deswegen war es ja auch richtig gewesen von Präsident Obama, vom Regime-Change abzulassen, insbesondere auch politische Signale in den Iran zu richten, dass er zu einer Zusammenarbeit interessiert ist, insbesondere mit dem Iran, mit der Gesellschaft des Iran. Darauf hat er an verschiedener Stelle hingewiesen. Aber der Punkt ist einfach, wir haben es zur Zeit innerhalb des Regimes mit politisch unterschiedlichen Gruppen zu tun und insbesondere ? darauf haben Sie hingewiesen ? die Opposition ist nicht unbedingt ein sozusagen Begleiter in unseren Maßnahmen, den Iran von dem Atomprogramm abzubringen. Auch diese Oppositionsbewegung steht für einen starken Iran mit einer nuklearen Komponente, möglicherweise nicht mit einer militärischen Komponente, aber doch auch mit der Möglichkeit, schnell in ein militärisches Programm über zu gehen.