SPD-Außenpolitiker Mützenich: Ägyptens Opposition sollte "gesprächsbereit" sein
Zusammenfassung:
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, hält eine friedliche Lösung der innenpolitischen Krise in Ägypten für möglich. Mützenich sagte im Südwestrundfunk (SWR), Präsident Mursi habe "überzogen" gehandelt und damit in seinem Umfeld "Kräfte letztlich gestärkt, die er nicht gestärkt sehen wollte". Allerdings komme es für die weitere Entwicklung darauf an, dass auch die Opposition des Landes "gesprächsbereit" sei. Einen von Teilen der Opposition erwogenen Boykott des umstrittenen Verfassungsreferendums betrachte er skeptisch, machte Mützenich klar. Ein solcher Boykott mache nur Sinn, wenn er verdeutlichen könne, "wie groß" die Zahl derer sei, die mit der Verfassung nicht einverstanden seien. Zu bedenken sei dabei auch, dass die Armeeführung Ägyptens nicht von vorne herein als Instrument der Islamisten betrachtet werden könne, sagte der SPD-Politiker. Sie stehe zwar Mursi näher als ihre Vorgängerin, andererseits nehme das Militär als "eine der wenigen handelnden Sicherheitsinstitutionen" des Landes Aufgaben wahr, die die Polizei gar nicht mehr leisten könne. Außerdem sei Ägyptens Armee schon wegen der Wehrpflicht "sehr stark auch im Volk verankert."
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Rudolf Geissler: In Ägypten scheint sich was zusammenzubrauen. Schüsse und Verletze gab es in den letzten Stunden schon wieder, und sowohl die liberale Opposition als auch die Islamisten haben für heute zu Massenkundgebungen aufgerufen, die ja all zu leicht, wie die Erfahrung der letzten Tage zeigt, in blutige Straßenschlachten führen können. Steht das Land an der Schwelle eines Bürgerkrieges, was meinen Sie?
Rolf Mützenich: Es sind auf jeden Fall kritische Tage zu erwarten. Und wir sehen ja auch, dass Gewalt offensichtlich mehr und mehr eingesetzt wird, möglichweise sogar schrankenlos. Ich bin nur immer etwas vorsichtig bei Überdramatisierungen. Einen Bürgerkrieg würde ich das nicht nennen, sondern es sind einfach politische, gesellschaftliche Proteste, die zwischen verschiedenen Lagern zur Zeit stattfinden.
Geissler: Der aktuelle Konflikt hat sich, um das nochmal kurz zusammenzufassen, an dem Verfassungsentwurf entzündet. Die Islamisten in der verfassungsgebenden Versammlung haben ihn im Eilverfahren durchgeboxt, einen Text, der konservativ-Derislamische Prinzipien zum Maßstab für den Staat machen soll. Die liberale Opposition wehrt sich und verlangt zumindest mehr Zeit, also dass nicht schon am kommenden Samstag ein Referendum darüber abgehalten wird. Wovon wird das abhängen, was meinen Sie, ob Präsident Mursi noch Ja sagt zu einer Verschiebung des Referendums?
Mützenich: Ich glaube, es hängt insbesondere davon ab, ob insbesondere viele entscheidende Seiten kompromissbereit sind und auch versuchen, unabhängig von den Auseinandersetzungen auf den Straßen auch einen Kompromiss zu finden. Wir brauchen Gesprächsbereitschaft auf allen Seiten. Mursi hat mit Sicherheit hier überzogen, und - ich glaube auch - nach seinem Dafürhalten bestimmte Kräfte letztlich gestärkt, die er nicht gestärkt sehen wollte. Aber es kommt, wie gesagt, auch darauf an, dass die Opposition gesprächsbereit ist. Es wird keine Lösung auf der Straße letztlich geben in einem politischen Konflikt, der möglicherweise weiter eskaliert.
Geissler: Diesen Appell an beide Seiten gab es auch gestern von der EU. Der Bundesaußenminister Westerwelle hat von Flexibilität gesprochen und dazu auch die Opposition aufgerufen. Wie flexibel kann aber die Opposition sein unter diesen Umständen?
Mützenich: Nun, natürlich nur sehr begrenzt, weil natürlich der Verfassungsentwurf nur von letztlich auch einer doch noch immer gesellschaftlichen politischen Minderheit geschrieben worden ist. Und da muss man insbesondere auch die Verantwortung an die Muslimbrüder, auch an Mursi letztlich selbst geben, weil eine Verfassung ist ja dann auch mehr, weil sie soll auch ja auch länger tragen als möglichweise ein Parlament oder andere Institutionen gewählt sind, aber dennoch hat auch die zum Beispiel Richterschaft Verantwortung, weil natürlich in diesem Konflikt einzelne Verantwortungsträger dort auch gezündelt haben.
Geissler: In der ägyptischen Opposition wird mit dem Gedanken gespielt, das Referendum, wenn es denn am Samstag stattfinden sollte, zu boykottieren. Das ist noch nicht entschieden, aber der Appell der EU zum Dialog und auch Ihrer legt ja einen solchen Boykott nun nicht gerade nah. Wäre das denn falsch in Ihren Augen?
Mützenich: Ich will das nicht von hier aus letztlich bewerten, dafür müssen eben die Kräfte auch versuchen, dann gemeinsam zu handeln. Ein Boykott hat natürlich nur dann Sinn, wenn er sozusagen auch deutlich macht, wie groß auch die Zahl derjenigen ist, die mit diesem Verfassungsentwurf nicht einverstanden sind. Wir haben ja in anderen Situationen erlebt, dass Boykotte letztlich auch keine politische Flexibilität an den Tag gelegt haben. Deswegen wird es in den nächsten Stunden und wenigen Tagen auch darauf ankommen, ob die kompromissbereiten Kreise in den einzelnen Gruppen auch bereit sind, noch aufeinander zuzugehen.
Geissler: Die ägyptische Armeeführung hat ebenfalls zum Dialog aufgerufen. Damit hat sie sich aber auch zum ersten Mal eingemischt, seit Mursis Amtsantritt, in die Politik. Auf welcher Seite wird die Armee im Zweifel stehen, wie schätzen Sie das ein?
Mützenich: Es scheint zumindest so zu sein, dass die Führung der Armee näher an Mursi dran ist als es die vorangegangenen Kräfte gewesen sind. Aber auf der anderen Seite müssen wir eben auch sehen, es ist eine der wenigen handelnden Sicherheitsinstitutionen. Die Polizei ist zur Zeit, nach meinem Dafürhalten, nicht in der Lage, auch Sicherheit letztlich herzustellen und auch einigermaßen unabhängig zu handeln. Und wir müssen eben auch erkennen, diese Armee ist sehr stark auch im Volk verankert, im Hinblick auf Wehrpflicht, und andere Dinge, da glaube ich schon, dass die Armee versucht, hier ein relativ unabhängigen Kurs zu fahren, der zumindestens auch die ägyptische Souveränität unterstützt.
Geissler: Unter den säkularen Kräften in Ägypten kursiert kritisch das Gerücht, davon schrieb die Deutsche Presseagentur gestern, die USA hätten die ägyptische Militärführung sogar gebeten, die Islamisten gewähren zu lassen. Für wie schlüssig halten Sie diese Version?
Mützenich: Also, ich bin da immer sehr zurückhaltend. Auf der anderen Seite weiß ich, dass in dieser Region derartige Behauptungen schnell auch Gewicht finden. Ich glaube schon, dass es auf jeden Fall auch eine Kooperation, zumindestens eine Abgleichung von Meinungen auch zwischen den USA und auch der ägyptischen Militärführung gibt. Auf der anderen Seite würde ich dennoch den Einfluss von Seiten der USA hier als immer noch relativ gering erachten.
Geissler: Ihre Prognose zum Schluss: Wie wird die Kraftprobe ausgehen?
Mützenich: Ich hoffe, dass sie auf jeden Fall friedlich letztlich bleibt und dass in den nächsten Stunden und Tagen auch die besonnen Personen möglicherweise auch die Überhand behalten.