SPD-Außenexperte Mützenich: Hamas ist militärisch nicht zu besiegen

Interview mit Karsten Wiedemann
Veröffentlicht: 
vorwärts online, 02.01.2009
Thema: 
Zum Konflikt im Gaza-Streifen

Der SPD-Außenexperte Rolf Mützenich (MdB) sieht nach der einseitigen Schuldzuweisung von Angela Merkel an die Hamas in der Nahost-Krise den Spielraum für diplomatische Bemühungen Deutschlands eingeschränkt. "Ich glaube, dass die Aussage der Kanzlerin die Möglichkeit verbaut, für politische Lösungen einzutreten", sagte Mützenich im Interview mit vorwärts.de. Er warnte vor einer weiteren Eskalation des Konflikts. Militärisch sei die Hamas nicht zu besiegen, betonte der SPD-Politiker.

Karsten Wiedemann: Herr Mützenich, Sie haben Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen ihrer Schuldzuweisung an die Hamas im aktuellen Konflikt kritisiert. Warum?

Rolf Mützenich: Ich glaube, dass zum jetzigen Zeitpunkt die Frage nach der Schuld zweitrangig ist.  Die Europäische Union und damit auch Deutschland sollte zu allererst eine Waffenruhe fordern. Dafür müssen wir alles tun, weil dies den Menschen zu Gute kommt.

Wir müssen nach politischen Lösungen Ausschau halten. Ich glaube, dass die Aussage der Kanzlerin die Möglichkeit verbaut, für politische Lösungen einzutreten. Die deutsche Außenpolitik hat in den vergangenen Monaten in der Region um Vertrauen geworben. Außenminister Steinmeier hat hier wichtige Erfolge vorzuweisen, insbesondere wenn es um das Verhältnis zwischen Syrien und Israel geht. Die Bundeskanzlerin hat dies mit ihrer Äußerung wieder zurückgeworfen.

Wiedemann: Hat denn Israel nicht das Recht, sich gegen den kontinuierlichen Raketenbeschuss durch die Hamas zu wehren?

Mützenich: Ohne Zweifel. Das habe ich auch immer gesagt, ganz unabhängig von meiner Kritik an der Äußerung der Bundeskanzlerin. Jeder Staat hat das Recht, seine Bürger zu schützen. Dabei stellt sich aber die Frage, wie verhältnismäßig dieser Schutz aussieht. Gerade der Libanonkrieg hat gezeigt, dass man Organisationen wie die Hamas oder die Hisbollah nicht militärisch besiegen kann.

Man muss versuchen mit politischen Mitteln, mit Dialog und Diplomatie, für die Sicherheit des eigenen Territoriums zu sorgen. In Israel gibt es bereits Stimmen, die darauf hinweisen, dass diese militärische Auseinandersetzung langfristig keinen Sicherheitsgewinn bedeutet.

Wiedemann: Weder die Hamas noch Israel scheinen derzeit an einer Waffenruhe interessiert. Israel bereitet derzeit offenbar eine Bodenoffensive vor. Droht die nächste Eskalationsstufe?

Mützenich: Im Nahen Osten ist immer mit weiteren Eskalationsstufen zu rechnen. Während einer militärischen Auseinandersetzung muss man aber wissen, dass nicht allein Nachrichten zählen, sondern auch Propaganda. Ich bin daher bei der Interpretation von Meldungen vorsichtig. Mir kommt es darauf an, für eine Waffenruhe einzutreten. Das ist das Wichtigste für die Menschen in Israel und im Gazastreifen.

Die Fatah steht im Westjordanland vor einer schwierigen Situation. Sie muss auf der einen Seite Solidarität mit den Menschen in Gaza zeigen, auf der anderen Seite steht sie in einer politischen Konkurrenz zur Hamas. Und wir müssen aufpassen, dass sich die Fatah nicht radikalisiert.

Wiedemann: Welche Partner in der Region gibt es noch für einen Frieden? Je stärker die Reaktion Israels, desto größer wird ja auch der Druck auf Israel-freundlich gesinnte Regierungen wie Ägypten oder Jordanien.

Mützenich: Deswegen mein Hinweis, dass die Schuldfrage die Frau Merkel aufgeworfen hat, gerade die Akteure beeinflussen wird, die zu einem Dialog mit Israel bereit sind. Ich glaube, im letzten Jahr wurde eine große Chance auf Frieden vertan, als die Arabische Liga, also alle arabischen Staaten, angeboten hat, mit Israel einen Frieden zuschließen, wenn Israel die Grenzen von 1967 anerkennt. Dies hätte zu einem Frieden im Nahen Osten geführt. Entweder hätte sich die Hamas dem angeschlossen, oder sie hätte sich im arabischen Lager isoliert. Wir brauchen politische Lösungen für diesen Konflikt.