Sorge um Lage in Syrien

Interview mit Andrea Oster
Veröffentlicht: 
WDR Morgenecho, 08.04.2017
Thema: 
Syrien nach dem amerikanischen Militärschlag

Durch den aktuellen US-Einsatz in Syrien ist der Krieg dort in eine neue Phase getreten. Wie reagiert Russland? Wie die NATO? Im WDR5-Morgenecho Fragen an den SPD-Außenpolitik-Experten Rolf Mützenich.

Andrea Oster: In dem mittlerweile sechs Jahre dauernden Bürgerkrieg in Syrien ist gestern, ja, man kann sagen, ein neues Kapitel aufgeschlagen worden. Die USA haben als Reaktion auf einen Giftgasangriff auf die Stadt Chan Scheichun einen syrischen Flughafen bombardiert. USA-Präsident Trump ist sich sicher, der Giftgasangriff ist vom syrischen Präsidenten Assad angeordnet worden. Damit geht der amerikanische Präsident auf Konfrontationskurs sowohl mit dem syrischen Präsidenten, aber auch mit Russland. Rolf Mützenich ist stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender für die Bereiche Außenpolitik, Verteidigung und Menschenrechte, schönen guten Morgen, Herr Mützenich.

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Oster.

Oster: Nicht nur Trump, auch die Europäischen Regierungen haben sich ja offenbar festgelegt: Es war ein Verbrechen des syrischen Regimes, von Präsident Assad. Assad selbst sagt nein, der Giftgasangriff kam nicht von uns. Wenn man sich anschaut, wem das Ganze nützt, nämlich den Rebellen, die auch entsprechend laut jubeln. Wie kann man sich eigentlich so sicher sein? Sind Sie sich sicher?

Mützenich: Am Ende kann man sich erst sicher sein, wenn eine unabhängige Kommission, insbesondere unter dem Dach der Vereinten Nationen eine Prüfung hat vornehmen können, sowohl in dem Gebiet, in dem der Angriff erfolgt ist, aber insbesondere dann auch die Verletzten und Toten untersuchen konnte. Erst dann hätte man hundertprozentige Sicherheit.

Oster: Aber man hat sich schon festgelegt. Ist das eine zu schnelle Festlegung?

Mützenich: Das ist eine Festlegung, die auf Indizien beruht, die man durchaus auch herleiten kann. Insbesondere dann, wenn man weiß, dass hier offensichtlich Sarin eingesetzt wurde – ein Kampfmittel, was erst kurz vor dem Einsatz gemischt werden muss. Und was wir bisher wissen, ist, dass zumindest Sarin nicht von anderen Gruppen eingesetzt worden ist als vom Regime.

Oster: War dieser Luftangriff eine angemessene Reaktion der USA? So schnell, ohne Mandat, selbst ohne Rücksprache mit dem eigenen Parlament?

Mützenich: Es scheint ja eine sehr impulsive Entscheidung von Präsident Trump gewesen zu sein, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir in der vergangenen Woche doch sehr überraschend eine Äußerung von Außenminister Tillerson bekamen, dass die USA Assad eine wichtige Rolle in einem politischen Prozess zuweisen. Und, besonders aus dem Wahlkampf heraus, hat Trump ja auch immer behauptet, er sei der einzige Kandidat, der die USA aus internationalen Konflikten heraus halten wird.

Oster: Ich höre da raus, „impulsiv“ ist eher schlecht, oder?

Mützenich: Ich denke, dass internationale Politik, und das wird jeder amerikanische Präsident auf einer langen Strecke lernen, sollen nicht mit Impulsivität verwechselt werden, sondern wenn man zu einer solchen Entscheidung kommt, muss man damit auch eine Strategie verbinden. Und die nächsten Tage werden zeigen, ob sie wirklich in eine politische Strategie eingebettet ist. Die Chance hätte Präsident Trump in direkten Gesprächen mit China, die sich ja bisher immer hinter Russland versteckt haben. Und insbesondere bei dem Besuch von Außenminister Tillerson nächste Woche in Moskau.

Oster: Russland kritisiert die USA scharf. Gestern gab es eine Sondersitzung auf Antrag der Russen im UN Sicherheitsrat. Diese Konfrontation zwischen den USA und Russland, wo führt das hin, was glauben Sie?

Mützenich: Das ist sehr gefährlich. Deswegen, glaube ich, sollten wir alles dafür tun, dass es zu keinen weiteren einseitigen Schritten kommt. Und man darf hier ja auch nicht vergessen: Russland hat hier auch mit zu dem Konflikt beigetragen, insbesondere auch durch sein massives Eingreifen in Syrien. Aber zumindest, und das ist meine persönliche Meinung, schien es mir doch so zu sein, dass nach der Rückeroberung Aleppos vor allem Russland bereit ist, im Rahmen des Astana-Prozesses eine politische Lösung herbei zu führen. Und ich glaube, Russland erlebt zurzeit, dass sie vom syrischen Machthaber Assad, aber teilweise auch vom Iran, ausgespielt werden. Und das wäre zumindest eine Chance, politische Gespräche über eine Lösung zu führen. Dafür brauchen wir die USA, wir brauchen aber auch Russland und China.

Oster: Könnte die NATO stärker mit in diesen Konflikt hinein gezogen werden und damit in letzter Konsequenz auch die Bundeswehr? Was glauben Sie?

Mützenich: Es ist gut, dass der NATO-Generalsekretär gestern deutlich gemacht hat, das sie keine Rolle, die der NATO zugemessen worden ist und auch zugemessen werden sollte. Wir haben ja gerade in Deutschland eine Diskussion darüber gehabt, ob die NATO hier stärker eingreifen sollte. Ich halte jeden Fußabdruck der NATO in diesem ohnehin schon komplizierten internationalen Geflecht für eine große Gefahr und scheinbar hat das die deutsche Verteidigungsministerin ja gestern noch einmal für die Bundesregierung unterstrichen.

Oster: Herr Mützenich, noch ganz kurz: Was glauben Sie, wird diese ganze Aktion für Syrien Verhandlungen behindern oder eher voranbringen?

Mützenich: Das wird sich wahrscheinlich in den nächsten Stunden und Tagen zeigen. Eine große Gefahr besteht darin, wenn es zu weiteren Provokationen in Syrien kommt, egal welcher Art. Insbesondere muss jetzt der politische Wille aus Washington und Moskau in den nächsten Tagen gestalten, das wäre wichtig.

Oster: Vielen Dank. Rolf Mützenich war das, stellvertretender Faktionsvorsitzender der SPD, zuständig für die Bereiche Außenpolitik, Verteidigung und Menschenrechte und seiner Einschätzung der Konsequenzen nach dem US-Militäranschlag auf einen syrischen Flughafen.