"Die Situation ist kritisch"

Interview mit Christoph Herwartz
Veröffentlicht: 
n-tv.de, 30.01.2013
Thema: 
Mursi in Deutschland

Trotz der dramatischen Krise in seiner Heimat trifft Ägyptens Präsident Mursi heute in Berlin Bundeskanzlerin Merkel. Sein Besuchsprogramm hat er allerdings stark zusammengestrichen, eine Visite in Frankreich komplett abgesagt. Die Abgeordneten des Bundestags hoffen dennoch auf "Informationen aus erster Hand", berichtet der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich im Gespräch mit n-tv.de.

Christoph Herwartz: Mohammed Mursi kommt nach Deutschland, während sein Land in einer tiefen Krise steckt. Wie beurteilen Sie die Lage in Ägypten?

Rolf Mützenich: Dazu werden die Informationen aus erster Hand hilfreich sein. Ich hoffe, dass er diese Informationen nicht nur mit der Kanzlerin teilt, sondern auch die Sitzung mit dem Auswärtigen Ausschuss nutzt, dem Parlament Rede und Antwort zu stehen.
Über Herrn Mursi wird berichtet, dass er zum Dialog bereit ist, die Opposition aber Gespräche ablehnt.

Die Frage ist, ob Mursi nach den langen Tagen des Schweigens der Opposition haltbare Gesprächsangebote gemacht hat. Das kann man von hier aus letztlich nicht beurteilen. Aber es geht ja nicht nur um ein Gespräch selbst, sondern insbesondere darum, wie diese Situation beruhigt werden kann. Daran hat Deutschland ein Interesse im Sinne der weiteren Entwicklung in Ägypten.

Herwartz: Was wären sinnvolle Schritte, um die Krise zu lösen?

Mützenich: Das wird sich in unserem Gespräch mit Mursi ergeben. Ich kann ihm von hier aus nicht irgendwelche Ratschläge an die Hand geben. Dass die Situation kritisch ist, bedarf ja keiner Erklärung. Ich würde mich freuen, wenn wir auch unsere Haltung zu den jüngsten Todesurteilen noch einmal deutlich machten. Für diese gibt es bislang keine Begründung. Es muss darauf gedrängt werden, dass Gerichte unabhängig sind und dass diese keine politischen Urteile fällen dürfen.

Herwartz: Sie werden im Auswärtigen Ausschuss mit Mursi zusammentreffen. Was erhoffen Sie sich?

Mützenich: Ich finde gut, dass er sich bereiterklärt hat, auch mit Abgeordneten des deutschen Parlaments zu sprechen. Das drückt Wertschätzung aus und ist gleichzeitig ein innenpolitisches Signal: Die neue ägyptische Verfassung räumt dem Parlament mehr Rechte ein. Ich hoffe, dass durch die Gespräche deutlich wird, welche Bedeutung ein selbstbewusstes Parlament für eine funktionierende Demokratie hat, und dass dies auch für das ägyptische Parlament gilt. Darüber hinaus erwarte ich eine konstruktive Rolle Ägyptens bei der Wiederbelebung des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses.

Herwartz: Wie bewerten Sie das Agieren der Bundesregierung zu Ägypten?

Mützenich: Ich unterstütze es, wenn der Außenminister sagt, dass Gesprächsfäden nicht abreißen dürfen. Ich finde aber dennoch, dass Guido Westerwelle damals durch seinen Besuch beim ägyptischen Präsidenten zu früh dessen politische Richtung gestärkt hat. Mir kommt es sehr darauf an, säkulare Kräfte in Ägypten zu unterstützen und zu ermutigen. Letztendlich muss auch das fragmentierte politische System stärker zusammengeführt werden. Dazu müssen Gespräche mit ganz unterschiedlichen Gruppen geführt werden.

Herwartz: Ist Mursi noch Teil der Lösung oder schon Teil des Problems?

Mützenich: Ob Herr Mursi zur Lösung beiträgt, müssen die Akteure vor Ort sagen. Der entscheidende Punkt ist, dass ein Präsident die Aufgabe hat, die unterschiedlichen Kräfte zusammenzuführen. Er ist zwar mit einer Mehrheit gewählt, aber er repräsentiert auch das gesamte Land. Da reicht es nicht, Gesprächsangebote zu machen. Er muss die relevanten Kräfte zusammenführen.

Herwartz: Welche Kontakte haben Sie nach Ägypten?

Mützenich: Wir sprechen vor allem mit Gruppen, die der sozialdemokratischen Bewegung nahestehen, sich also etwa aus den freien Gewerkschaften gebildet haben. Es gibt aus dem Kreis dieser Aktivistinnen und Aktivisten mehr und mehr Bemühungen, sich nun doch an Wahlen zu beteiligen.

Herwartz: Gibt es ähnliche Kontakte von der Bundesregierung und vom Bundestag?

Mützenich: Es gibt eine deutsch-ägyptische Parlamentariergruppe, die von Anfang an versucht hat, den Prozess zu begleiten. Interessant ist, dass sich die CDU/CSU sehr stark um die Vertreter des politischen Islam bemüht. Man muss sehen, ob man die europäischen Parteienbündnisse diesen Gruppen öffnet.

Herwartz: Werfen Sie der Union vor, die Islamisten zu unterstützen?

Mützenich: Nein, sie muss sich aber fragen lassen, ob das die alleinigen Ansprechpartner für die Zukunft sein können. Ich glaube, dass es immer angemessen ist, Regierungskontakte zu halten. Aber auch der kritische Dialog muss von Anfang an geführt werden. Man darf sich nicht nur auf einzelne Bewegungen konzentrieren. Ich mache keine Vorwürfe, versuche aber darzustellen, dass die Entwicklungen in der arabischen Welt vielfältiger sind und wir darauf reagieren sollten.

Herwartz: Ist es richtig, das System Mursi zu stabilisieren oder sollte man die Kräfte unterstützen, die das System infrage stellen?

Mützenich: Ich glaube, dass wir zunächst allen Kräften deutlich machen sollten, dass nur eine friedliche Auseinandersetzung die richtige Konsequenz aus den politischen Umbrüchen ist. Das ist schon schwer genug, da nicht nur eine Seite Gewalt anwendet. Aber es ist eine ganz wichtige Bedingung für einen friedlichen Wandel. Außerdem finde ich, dass ein Dialog, der über das Parteienspektrum hinaus geht, sehr sinnvoll ist. Denn es gibt dort nicht nur schwarz und weiß. Die Grautöne überwiegen.