"Saudis brauchen Reformen statt Waffen"

Interview mit Christian Rothenberg
Veröffentlicht: 
n-tv.de, 13.01.2016
Thema: 
Eskalation im Nahen Osten

Ist die Bundesregierung zu nachlässig gegenüber dem saudischen Königshaus? Die Ereignisse der vergangenen Wochen stellten das Verhältnis zu Riad infrage. Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich erklärt, warum es nicht so weitergehen darf wie bisher.

Christian Rothenberg: Kann das Verhältnis Deutschlands zu Saudi-Arabien so bleiben, wie es ist?

Rolf Mützenich: Wir waren in den letzten Jahren gespannt, wie die neuen politischen Akteure in Saudi-Arabien handeln würden. Bei dem einen oder anderen ist Ernüchterung eingetreten, insbesondere was den Krieg im Jemen betrifft.

Rothenberg: Heißt das, weiter so wie bisher?

Mützenich: Nein, natürlich nicht. Uns ist natürlich klar, dass Saudi-Arabien im arabischen Raum eine wichtige Rolle spielt. Deshalb kann man das Land kaum übergehen. Aber nach den Hinrichtungen sind politisch Konsequenzen zu ziehen. Sogar Unionsabgeordnete sehen die Frage der Waffenexporte plötzlich kritisch. Ich hätte mir das schon früher gewünscht, aber immerhin.

Rothenberg: 2014 hat Deutschland Waffen im Wert von 209 Millionen Euro nach Saudi-Arabien geliefert, darunter Kriegswaffen für 51 Millionen Euro. Ist das rückblickend ein Fehler?

Mützenich: Es ist ein Unterschied zu den 1,2 Milliarden Euro, die die Koalition aus Union und FDP 2012 genehmigt hat. Wenn es in der Öffentlichkeit nicht die Proteste gegeben hätte, wäre damals auch die Lieferung von Leopard-2-Panzern genehmigt worden. Die aktuelle Summe bei den Export-Genehmigungen für Saudi-Arabien ergibt sich ja auch durch die Lieferung von 15 Patrouillenbooten.

Rothenberg: Fordern Sie jetzt einen völligen Stopp der Waffenexporte nach Saudi-Arabien?

Mützenich: Es ist erst einmal gut, dass die Bundesregierung gesagt hat: Wir sind nicht bereit, die notwendigen Komponenten für die Herstellung des G36-Gewehrs zu liefern, das in Saudi-Arabien gebaut wird. Ich finde es auch richtig, dass Bundeswirtschaftsminister Gabriel die Anträge jetzt noch restriktiver behandeln will.

Rothenberg: Die Bundesregierung will die Rüstungsexporte vorerst nicht stoppen, sondern prüfen. Sind die wirtschaftlichen Interessen zu groß, als dass man auf moralische Bedenken Rücksicht nehmen kann?

Mützenich: Es überwiegen politische Fragen, wirtschaftliche Erwägungen müssen hinten anstehen. Das muss auch die Rüstungsindustrie wissen.

Rothenberg: Teilen Sie die Befürchtung, Sanktionen könnten Saudi-Arabien isolieren und die angespannte Lage in der Region noch zuspitzen?

Mützenich: Wenn die, die jetzt davor warnen, in der Vergangenheit doch nur genauso stark darauf gesetzt hätten, dass sich Saudi-Arabien verändert! Ich bin dafür, dass man jedes Land gesondert behandelt. Vor dem Hintergrund der Menschenrechtsfrage muss sich Saudi-Arabien berechtigte Kritik gefallen lassen. Ob die Politik daraus am Ende Schlüsse zieht, ist eine andere Frage. Ich habe den Eindruck: Der verstorbene König hat behutsam auf gesellschaftliche Veränderungen gesetzt. Die jetzigen Entscheidungsträger sehen das eher nicht so. Auch innerhalb des saudischen Königshauses gibt es unterschiedliche Gruppen. Am Ende wird Saudi-Arabien an dringend notwendigen innenpolitischen Reformen nicht vorbeikommen.

Rothenberg: Was entgegnen Sie denen, die sagen: Wenn es Sanktionen gegen Russland gibt, müsste doch auch Saudi-Arabien bestraft werden?

Mützenich: Die Europäische Union muss ihr Verhältnis zu Saudi-Arabien diskutieren. Die EU-Außenbeauftragte sollte überlegen, ob ein gemeinsames europäisches Vorgehen sinnvoll ist. Ich würde das nicht ausschließen.