"Im saudi-arabischen Königshaus dominieren die gewaltbereiten Kräfte"
Thomas Kröter: Herr Mützenich, spitzt sich der Konflikt zwischen Saudi Arabien und dem Iran zu einem sunnitisch-schiitischen Glaubenskrieg zu?
Rolf Mützenich: Diese Auseinandersetzung hat mit der Revolution im Iran 1979 begonnen. Es geht aber nicht nur um einen religiös und ideologisch motivierten Konflikt, sondern um eine machtpolitische Auseinandersetzung. Der Iran pocht auf Mitsprache in der Region. Dieser Anspruch ist durch die schiitische Auslegung des Islam mitgeprägt.
Kröter: War die Massenhinrichtung in Saudi Arabien eine bewusste Provokation des Iran oder hat man diesen Effekt in Riad aus innenpolitischen Gründen einfach hingenommen?
Mützenich: Wir müssen davon ausgehen, dass die Todesstrafe ganz bewusst in einer ohnehin sensiblen Phase der regionalen und der internationalen Politik verhängt wurde. Aber die Aktion ist auch ein deutliches Zeichen an diejenigen Kräfte, die mehr Rechte in Saudi Arabien verlangen. Immerhin 15 Prozent der Bevölkerung sind schiitischen Glaubens, insbesondere dort, wo es wichtige Ölvorkommen gibt.
Kröter: Also ein innenpolitisches Zeichen? Lasst alle Hoffnung fahren ? Wir behaupten unsere Macht um jeden Preis!
Mützenich: Es ist sogar noch mehr. Es lässt auf Auseinandersetzungen im herrschenden Königshaus schließen. Hier haben sich in den letzten Monaten immer wieder die Kräfte durchgesetzt, die im Jemen, in Syrien, aber nun offenbar auch im Land selbst, auf Gewalt setzen.
Kröter: Verschärft der Iran den Konflikt oder ist seine Antwort nur das Mindeste was zu erwarten war?
Mützenich: Die Reaktion war zu erwarten. Wir müssen genau beobachten, ob die Situation im Iran sich verschärft. Das Land ist in einer innenpolitisch sensiblen Lage. Gerade werden die Kandidaten für die Parlamentswahl aufgestellt. Es könnte sein, dass sich Kräfte durchsetzen, die eine stärkere Rolle Irans in den gesamten Konfliktdimensionen anstreben.
Kröter: Was heißt das aus Sicht des Westens?
Mützenich: Der sogenannte Westen hat wenig Einfluss. Er wird immer auch an seiner historischen Rollen in der Region gemessen?
Kröter: - also negativ gesehen?
Mützenich: Auch. Dennoch haben wir ein starkes Interesse, dass sich die religiösen und machtpolitischen Auseinandersetzungen nicht weiter aufschaukeln. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat auf seiner jüngsten Reise in beide Länder versucht, zu einer Annäherung beizutragen.
EU, USA und Russlandmächte müssen die Entwicklung zusammen bekämpfen.
Kröter: Mit wenig Erfolg.
Mützenich: Es ist ein Verdienst der deutschen Außenpolitik, dass sie in ihrem Bemühen nicht nachlässt - auch wenn sie in den letzten Wochen und Monaten manchmal enttäuscht wurde.
Kröter: Müssen wir uns Sorgen um die weitere Entwicklung machen?
Mützenich: Ja, das müssen wir. Wir können die Entwicklung aber auf keinen Fall allein beeinflussen. Dazu sind die Europäische Union und die USA, aber wie wir sehen, auch Russland Mächte von zentraler Bedeutung. In den kommenden Jahren wird zudem China sein Interesse an der Region verstärkt unter Beweis stellen.
Kröter: Was heißt das für den Aufbaueiner Koalition im Kampf gegen den IS?
Mützenich: Sie wird durch die jüngste Entwicklung zusätzlich erschwert. Saudi Arabien hat durch die Hinrichtungen deutlich gezeigt, dass es zurzeit andere Prioritäten setzt. Dennoch müssen wir versuchen, im Rahmen der Vereinten Nationen voran zukommen.