Rolf Mützenich: Syrische Oppositionsgruppen müssen aufeinander zugehen

Interview mit Silvia Engels
Veröffentlicht: 
Deutschlandradio, 28.08.2012
Thema: 
SPD-Politiker warnt vor einer übereilten Bildung einer Übergangsregierung

Die syrische Opposition muss vor einer internationalen Anerkennung bestimmte Kriterien erfüllen, sagt SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich. Ein dauerhafter Befriedungsprozess setzt voraus, dass die unterschiedlichen Gruppen eine gemeinsame Linie finden.

Silvia Engels: In Syrien wird auch heute weiter gekämpft. Seit Wochen ist für Außenstehende nicht erkennbar, ob nun die Aufständischen oder das Regime von Machthaber Assad die Oberhand gewinnen. Dennoch laufen gerade außerhalb Syriens Diskussionen darüber, wie eine neue Führung in Damaskus aussehen könnte. Der französische Präsident Hollande hat zum Beispiel die syrische Opposition aufgefordert, eine Übergangsregierung zu bilden, doch das ist nicht einfach, denn das Oppositionslager zerfällt in viele Splittergruppen. Ein Teil der syrischen Opposition hat sich mehrmals in Berlin getroffen. Nun hat sie ein gemeinsames Papier verfasst.
Mitgehört hat der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich. Er kennt die Nahost-Region seit Jahren. Guten Tag, Herr Mützenich!

Rolf Mützenich: Guten Tag, Frau Engels.

Engels: Was sagen Sie zu diesen Vorstellungen der syrischen Oppositionsgruppe, die da gerade in Berlin ihre Vorschläge vorgelegt haben?

Mützenich: Das sind interessante Vorstellungen, und ich glaube, der wichtigste Kern an dieser Frage war doch gewesen, dass innerhalb der Stiftung Wissenschaft und Politik eben eine Plattform zur Verfügung gestellt worden ist, wo rechtzeitig Oppositionsgruppen oder die Gruppen, die sich eben zur Opposition zählen, insbesondere im Exil, sich eben auf ein gemeinsames Programm verständigen, auf die Zeit nach Assad. Auf der anderen Seite muss man natürlich, glaube ich, auch insbesondere noch mal konstatieren, dass die Relevanz dieser Gruppe zum jetzigen Zeitpunkt nicht so ist, dass sie offensichtlich alle Gruppen einnimmt, insbesondere natürlich die Gruppen, die zurzeit in Syrien selbst oder in unmittelbarer Nachbarschaft eben am Fall auch dieses Regimes interessiert sind oder die unmittelbar auch Bürgerkriegsparteien sind.

Engels: Sie sprechen es an: Das ist der tiefe Bruch zwischen den verschiedenen Oppositionsgruppen, der sich vor allen Dingen an denen festmacht, die in Syrien kämpfen, und denjenigen, die zum Teil schon seit Jahrzehnten im Ausland leben. Sie kennen die Region sehr gut. Denken Sie, es wird eine Möglichkeit geben, diese tiefe Spaltung zu überwinden?

Mützenich: Nun, letztlich, glaube ich, werden alle nicht daran umhin können, eben auch mit Kompromissen aufeinander letztlich zuzugehen. Je länger auf der anderen Seite natürlich dieser Konflikt dauert und möglicherweise auch bestimmte Gruppen für einen möglichen Sturz von Assad dann auch verantwortlich sind, dass die natürlich versuchen, auch einen Teil, wenn nicht sogar die gesamte Macht für sich zum Schluss zu beanspruchen. Je länger Konflikte in der internationalen Politik sind, so haben wir auch gelernt, besteht eben die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Konflikt auch langfristig anhält. Und wir sehen ja zum Beispiel in Bürgerkriegssituationen, wie lange letztlich auch ein Befriedungsprozess dauert, selbst zwischen den Gruppen, die angeblich einer gemeinsamen Richtung zugehörig sind.

Engels: Nun hat sich Präsident Hollande in Frankreich mit einem Vorstoß zu Wort gemeldet. Er drängt die syrische Opposition schon jetzt zur Bildung einer Übergangsregierung. Wir haben es gerade gehört: Die Gruppe in Berlin will so weit so schnell nicht gehen. Was sagen Sie?

Mützenich: Das mag etwas verfrüht sein. Positiv könnte man natürlich interpretieren, dass der Vorschlag des französischen Präsidenten eine Motivation ist gegenüber den Oppositionsgruppen, sich doch schneller darauf zu verständigen, und wir haben ja in den letzten Monaten erlebt, wie schwierig überhaupt der gesamte Prozess letztlich gewesen ist und es keine Verständigung gegeben hat. Auf der anderen Seite, was ich doch sehr stark bedauere, ist, dass offensichtlich der französische Präsident hier alleine vorangegangen ist, zumindest keine gemeinsame Sprachregelung mit wichtigen europäischen Partnern gefunden hat, sodass man zumindest zum jetzigen Zeitpunkt von einer französischen Initiative sprechen muss. Ich hätte mir eine gemeinsame europäische Sprachregelung und Initiative doch eher gewünscht.

Engels: Erweist Hollande nicht der Opposition einen Bärendienst, weil er Handlungsfähigkeit von ihr verlangt, wo einfach keine ist?

Mützenich: Das mag sein, insbesondere dann, wenn man die Opposition überfordert und möglicherweise etwas verlangt, was sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht erreichen kann. Auf der anderen Seite: Man muss natürlich eben gerade den Oppositionsgruppen deutlich machen, dass dann, wenn sie eben auch international anerkannt werden wollen, sie sowohl bestimmte Kriterien zu erfüllen haben, als auch eben versuchen müssen, unterschiedliche Gruppen mitzunehmen. Das ist in anderen Ländern der arabischen Umbrüche bisher gelungen. In Libyen zum Beispiel haben wir es doch, obwohl wir immer wieder von gewaltbereiten Gruppen hören, es letztlich damit zu tun, dass es offensichtlich einen politischen Prozess gibt. Der wird in Syrien nach dieser Gewalteskalation sehr schwer werden.

Engels: Der französische Präsident Hollande spricht sich darüber hinaus auch dafür aus, dass westliche Staaten darüber nachdenken sollten, Schutzzonen in Syrien einzurichten. Was sagen Sie dazu?

Mützenich: Schutzzonen in Syrien wird es nach meinem Dafürhalten nicht geben, weil dafür eben ein Beschluss des Sicherheitsrats notwendig ist, und zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich keine Verhaltensänderung von den wichtigen Akteuren. Wir müssen natürlich insbesondere weiterhin an Russland und an China appellieren, auch alles dafür zu unternehmen, dass das Regime Assad seine Gewalt beendet. Auf der anderen Seite haben wir andere Akteure wie zum Beispiel Saudi-Arabien und Katar, vielleicht auch noch eben andere Länder, die unmittelbar auch auf die Oppositionsgruppen einwirken. Also das ist sozusagen etwas, was ich glaube, was nicht erreicht werden kann. Auf der anderen Seite müssen wir sehen, dass die Nachbarländer - wir schauen ja sehr stark in die Türkei, wir sollten aber auch den Libanon, wir sollten auch Jordanien beachten -, auch der Irak, der mit den Flüchtlingsbewegungen zu tun hat, nicht nur weitere Hilfe offerieren, sondern insbesondere müssen wir hier koordiniert vorgehen. Sozusagen bestimmte Reisen in die Region helfen vielleicht bei dem einen oder anderen Bild für westliche Minister. Aber auf der anderen Seite, glaube ich, wird das der Situation der Menschen dort nicht gerecht. Und in der Tat: Wir sollten auch überlegen, ob bestimmte Menschen, die keinen Schutz in unmittelbarer Nähe zur Grenze zu Syrien finden, eben in Europa auch Aufnahme finden.

Engels: Sie haben es gesagt: Für Schutzzonen findet sich wohl keine Mehrheit im UN-Sicherheitsrat. Aber es ist ja auffällig, wenn in Frankreich und zuvor auch in den USA über so etwas nachgedacht wird, ob da nicht möglicherweise die Politik sich auch wandelt, dass ohne UN-Zustimmung so etwas geschieht. Droht dann eine Militarisierung des Konflikts unter Einbeziehung der USA und möglicherweise nun vielleicht auch Frankreichs?

Mützenich: Das ist eine Gefahr, die es jeden Tag gibt. Zurzeit muss man eben aber auch konstatieren, dass es keine sozusagen öffentliche Beteiligung der internationalen Gemeinschaft gibt, aber es gibt doch eine sehr starke indirekte Beteiligung. Deswegen sollten alle Akteure nach meinem Dafürhalten unternehmen, dem internationalen Vermittler, der vonseiten der Vereinten Nationen ernannt worden ist, nachdem Kofi Annan gescheitert ist, zu unterstützen. Ich glaube, dass auf diesem Wege zum jetzigen Zeitpunkt zurzeit überhaupt nur eine Chance besteht, auf den Konflikt einzuwirken, und wir sollten alle davor warnen, sozusagen die Messlatten so zu legen, dass sie sich möglicherweise dann doch noch in diesen Konflikt auch unmittelbar begeben.

Engels: Beim Stichwort Schutzzone wird ja die Erinnerung an Flugverbotszone in Libyen wach. Kann der Syrien-Konflikt einen ähnlichen Verlauf nehmen, wie er in Libyen ihn nahm?

Mützenich: So was ist natürlich nicht ausgeschlossen, insbesondere dann, wenn die internationale Gemeinschaft zu einem Eingreifen kommen will. Wir haben ja eben erlebt, dass sowohl Präsident Obama, aber auch Präsident Hollande und auch der britische Premierminister den Einsatz von Chemiewaffen als rote Linie beschrieben haben, wo ein internationales Eingreifen einzelner Länder auch notwendig, auch letztlich gegeben ist und vielleicht auch sozusagen eine moralische Autorität dann auch dadurch haben. Auf der anderen Seite ist der Konflikt in Libyen überhaupt nicht mit dem in Syrien letztlich zu vergleichen.

Engels: Aber war es damals der richtige Weg, die Opposition in Libyen von westlicher Seite aus so spezifisch zu unterstützen? Sollte man das in Syrien wiederholen?

Mützenich: Es war zumindest richtig gewesen, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, nachdem Gaddafi überhaupt nicht bereit gewesen ist, auf Gewalt zu verzichten, eben auch zu dieser Resolution 1973 gegriffen hat, die ja sozusagen auch eine Vorgängerresolution hatte, wo nämlich Gaddafi aufgefordert wurde, einzulenken. Das ist nicht passiert, aber an dieser Stelle sind wir in Syrien zurzeit nicht.

Engels: Wie kann eine Entwicklung nach Assad in Syrien aussehen? Die Diskussionsstränge fassten wir zusammen mit Rolf Mützenich, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für Ihre Zeit.

Mützenich: Vielen Dank, Frau Engels, für die Einladung. Danke!