Rolf Mützenich: Kritik an der Türkeipolitik der Bundesregierung

Interview mit Gudrun Höpker
Veröffentlicht: 
WDR 2,05.11.2016
Thema: 
Rolf Mützenich, Außenpolitiker der SPD sagte auf WDR 2, Erdogan verstehe nicht, zu welcher Unruhe er in einer Region beitrage, die zur Zeit Krieg erlebt, und wie er die Zukunftschancen der Türkei massiv verbaue. Deutschland hätte die Zeit verpasst, zu der es gut hätte eingreifen können. Europa müsse jetzt selbstbewusst auftreten.

Gudrun Höpker: Schönen Guten Morgen.

Rolf Mützenich: Guten Morgen.

Höpker: Was wäre denn das erste, was Sie Herrn Erdogan persönlich ins Gesicht sagen würden?

Mützenich: Auf jeden Fall, dass er die kemalistische Republik in Frage stellt. Also das, was sozusagen die Türkei bis vor einigen Jahren noch ausgemacht hat und ich glaube, dass er überhaupt nicht versteht, zu welcher Unruhe er in einer Region beiträgt, die ohnehin zurzeit Krieg erlebt. Und auf der anderen Seite auch die Zukunftschancen der Türkei massiv verbaut.

Höpker: Aber man hat so den Eindruck, ihn berührt das alles so gar nicht?

Mützenich: Das ist bitter, weil er ja offensichtlich auch geschafft hat, alle, die in Opposition zu ihm gestanden haben, auch innerhalb seiner eigenen Partei, an den Rand zu drängen und eben die Wählerinnen und Wähler ihm auch  - und das muss man ihm zugestehen – bei der letzten Wahl gefolgt sind. Aber das Problem ist, glaube ich - mittlerweile – dass er überhaupt nicht mehr erkennt, dass er mittlerweile seine eigene Zukunft in Frage stellt und zur Spannungsverschärfung in der Region beiträgt.

Höpker: Es ist schon seit längerem ein bisschen so ein Rumgeeier mit dem Flüchtlingspakt und so weiter. Hat die Türkei mit ihrer enormen wichtigen geopolitischen Lage da ein Pfund in der Hand und auch mit dem Flüchtlingspakt, womit sie jede Kritik von außen immer wieder in den Wind schlagen kann?

Mützenich: Ja, das hat sie. Insbesondere natürlich dadurch und da drauf hat sich meine Kritik auch bezogen, dass wir in den Zeiten, wo es noch möglich gewesen wäre auf die Türkei einzuwirken, auch mit dem EU-Beitrittsprozess über Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Freiheit der Medien im Grunde genommen zu wenig auf diese Türkei geschaut haben und ich glaube, das fällt uns jetzt auf die Füße.

Höpker: Wie würden Sie denn jetzt handeln?

Mützenich: Wir können nur gemeinsam innerhalb der Europäischen Union handeln. Deutschland, Frankreich und auch andere Länder müssen sich in einer gemeinsamen Antwort zusammen tun. Wir müssen klar machen, dass, wenn die Todesstrafe eingeführt würde, das das Ende auch aller Gespräche des Beitrittsprozess und auch der Mitgliedschaft im Europarat ist. Und ich finde wir müssen auch deutlich machen, dass die Türkei ist wirtschaftlich von Europa abhängig ist und man sollte mit ein wenig Selbstbewusstsein auftreten.

Höpker: Das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland scheint ja auf dem Tiefpunkt zu sein. Könnte das denn auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken hier im Lande haben? Heute sind ja wieder Kundgebungen hier bei uns geplant.

Mützenich: Das muss man befürchten und das haben wir ja auch in den letzten Monaten gesehen. Als eben diese Entwicklungen offenkundig gewesen sind und der Kurdenkonflikt, der ja erstmal damals politisch bearbeitet werden sollte, von Erdogan leichtfertig aufgegeben worden ist. Das wird sich wahrscheinlich auch hier in Deutschland und in anderen Ländern auch zeigen. Die Gegensätze sind einfach riesengroß geworden.

Höpker: Die Bundeskanzlerin zeigt zu wenig Entschlossenheit im Umgang mit der Türkei, meint Rolf Mützenich, Außenpolitiker der SPD. Danke für das Gespräch.

Mützenich: Vielen Dank für die Einladung.