Polizei räumt Unabhängigkeitsplatz: Wartet der Westen tatenlos ab?
Es sei ein "schlechtes Signal", den Maidan in Kiew von der Polizei räumen zu lassen, sagte der Außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, weil Präsident Janukowitsch angeblich mit der EU über einen Annäherungsprozess reden wolle. Hinter der Situation in der Ukraine verberge sich, so Mützenich, aber nicht nur, dass der Kurs gegenüber der EU umstritten sei, sondern auch die grundsätzliche Frage, in welche Richtung sich das scheinbar noch sehr gespaltene Land bewegt - in Hinblick auf Modernisierung und gesellschaftliche Freiheit.
Zur Rolle des Westens in diesem Konflikt betonte er, dass man auch weiterhin versuchen müsse mit unterschiedlichen Besuchen und Äußerungen auf die Situation einzuwirken. Auch an die Opposition müsse man appellieren, weiterhin gewaltfrei zu protestieren.
Ein wichtiger Aspekt sei das Verhältnis zu Russland. Man müsse das "Gespräch suchen", da man bei der Bewältigung internationaler Konflikte als Partner aufeinander angewiesen sei, so der Außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im WDR5-Morgenecho.
Judith Schulte-Loh: In Kiew sind in der vergangenen Nacht, Sie haben es vorhin auch bei uns in den Nachrichten gehört, mehrere Tausend Polizisten gegen die Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz vorgerückt. Was bedeutete diese Entwicklung?
Am Telefon begrüße ich Rolf Mützenich, den außenpolitischen Sprecher der SPD. Schönen guten Morgen, Herr Mützenich!
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Schulte-Loh!
Schulte-Loh: Herr Mützenich, was ist das für ein Signal, wenn der Präsident Janukowitsch die Polizei gegen die Demonstranten zum Einsatz bringt, gleichzeitig aber noch sagt, Gespräche will ich aber schon noch führen?
Mützenich: Das ist ein schlechtes Signal. Insbesondere, weil er sich ja auf diesen Runden Tisch bezogen hat und auf der anderen Seite auch weiterhin zum Beispiel mit Lady Ashton von Seiten der Europäischen Union angeblich über einen Annäherungsprozess reden will. Das passt nicht zueinander und das muss man auch sehr deutlich in den nächsten Stunden noch einmal sagen.
Schulte-Loh: Was heißt das für die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die sie gerade ansprachen? Sie hat ja bereits mit Janukowitsch gesprochen, dreieinhalb Stunden soll das Gespräch gestern gedauert haben ? und dann in der Nacht dieser Einsatz der Polizei.
Mützenich: Ich glaube, das muss Enttäuschung bei Lady Ashton hervorrufen, weil sie ja extra in die Ukraine gefahren ist, um sozusagen auch nochmal Angebote zu machen und letztlich aber auf der anderen Seite zur Beruhigung der Situation beizutragen. Nun sind die Nachrichten, die wir in den letzten Stunden bekommen haben, sehr widersprüchlich. Die Polizei behauptet, sie hätte nur versucht, Hauptverkehrswege zu räumen. Das sind Situationen, die müssen in den nächsten Stunden geklärt werden. Aber auf jeden Fall hat der Präsident Janukowitsch in den nächsten Stunden eine große Verantwortung, dass es nicht zu einer Gewalteskalation kommt.
Schulte-Loh: Und das was man hört, die Bilder, die man sieht, deuten schon darauf hin, dass tatsächlich versucht wird, die Gruppe der Demonstranten auf dem Maidan-Platz etwas unter Kontrolle zu kriegen und vor allem auch die Barrikaden abzubauen. Die Frage ist: Wie lange kann der Westen da einfach noch zugucken? Gibt es eine Alternative?
Mützenich: Ich glaub, wie schauen ja zu. Wir versuchen ja eben, mit unterschiedlichen Besuchen, aber auch Äußerungen, die in den europäischen Hauptstädten gemacht werden, auf die Situation einzuwirken. Ich finde, man muss natürlich auch an die Opposition appellieren, zu versuchen, eben gewaltfrei weiterhin zu protestieren, unter verschärften Bedingungen, in der Tat. Aber die Hauptverantwortung trägt zum jetzigen Zeitpunkt die Regierung und wenn der Präsident zum Beispiel einen Runden Tisch will, - und ich hoffe, das ist auch ernst gemeint, - dann muss auch in den nächsten Tagen versucht werden, auch mithilfe der internationalen Gemeinschaft, zu diesem Runden Tisch zu finden.
Schulte-Loh: Aber wie verstehen Sie Präsident Janukowitsch? Er hält an einem Stopp der EU-Annäherung fest, eindeutig, sagt aber auch, der Westkurs des Landes sei unumkehrbar. Widersprüchlicher kann es kaum sein.
Mützenich: Das ist in der Tat so. Deswegen können wir nur eben hoffen, dass in den Gesprächen, die er auch mit Lady Ashton geführt hat, hier auch konkrete Zusagen gemacht hat, was in den nächsten Monaten passiert. Leider verbirgt sich ja dahinter in dieser Situation nicht nur, dass der Kurs gegenüber der Europäischen Union umstritten ist, sondern die ganze Frage, in welche Richtung sich das Land bewegt, auch Modernisierung, gesellschaftliche Freiheiten,.. Alles das verbirgt sich ja dahinter, in einem Land, was scheinbar ja noch sehr stark gespalten ist, auch von dem Ost-West-Gegensatz und Kaltem Krieg beeinflusst worden ist. Und Russland steht sozusagen dahinter und versucht eben nicht, besänftigend auf die Situation einzuwirken, sondern teilweise eben auch verschärfend.
Schulte-Loh: Kann man das sagen, dass Russland nicht besänftigend, sondern nur verschärfend einwirkt? Da ist bestimmt was dran, aber auf der anderen Seite auch die Rolle der Europäischen Union ja ein wenig kritischer sehen. Hat man den Ost-West-Gegensatz auch in der Ukraine selbst unterschätzt, als man das Partnerschafabkommen auch zu einer Ost-West-Entscheidung gemacht hat?
Mützenich: Das mag sein. Ich glaube, insbesondere auch in der internationalen Politik dürfen solche Bilder einfach überhaupt keine Rolle mehr spielen. Es geht sozusagen nicht mehr um Blöcke, sondern es geht darum, gesellschaftliche Modernisierung auch mit Freiheiten letztlich zu verbinden. Das muss man nicht personalisieren, sondern es geht aus meiner Sicht insbesondere darum, Standards, die mittlerweile in der internationalen Politik unumstritten sind, auch in den einzelnen Ländern einzuführen und sich nicht wieder sozusagen im Blockdenken wiederzufinden. Deswegen geht es in den nächsten Monaten auch darum, ein anderes Verhältnis auch zu Russland zu finden, zumindest, das Gespräch auch weiterhin zu suchen.
Schulte-Loh: Ein anderes Verhältnis zu Russland finden, das hat Bundespräsident Joachim Gauck auch mit der Absage nach Sotschi zu fahren, an den Winterspielen teilzunehmen, erschwert?
Mützenich: Man muss diese Entscheidung respektieren. Aber ich glaube, auf der anderen Seite sollte man aber auch darauf hinweisen, dass Russland ein Partner sein muss in der Bewältigung internationaler Konflikte sein und wir haben ja in den letzten Monaten gesehen, dort, wo die USA und Russland zueinander finden, - im Syrien-Konflikt, aber auch bei der Bearbeitung Irans - sind es Partner, die letztlich aufeinander angewiesen sind. Und auch die Europäische Union profitiert davon und hat auch Interesse , dass internationale Krisen gemeinsam bearbeitet werden.
Schulte-Loh: Aber das scheint im Moment nicht so gut zu gelingen, Herr Mützenich. Das sind immer schöne, wohlfeile Worte, aber die Entwicklung ist eine andere.
Mützenich: Nein, ich finde schon, dass es gelingt. Ich habe ja zum Beispiel den Iran angesprochen und ich glaube, wenn im Januar es tatsächlich dazu kommen könnte, diesen schrecklichen Syrien-Konflikt auch auf einer internationalen Konferenz zu behandeln, und Russland und die USA finden hier zu einer gemeinsamen Sprache, gelingt das schon. Aber es sind wichtige Fragen, die auch noch auf dem Weg liegen, wo die europäische Union noch eine Antwort finden muss, auch die NATO, der Raketenabwehrschirm ? all das sind Steine, die auf dem Weg zu einer besseren Partnerschaft liegen.
Schulte-Loh: Zur Entwicklung, international, aber insbesondere in der Ukraine, war das Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD. Danke schön!