"Wir müssen dem IS auch politisch antworten"
Für Rolf Mützenich, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, sind nach den Terroranschlägen in Paris noch viele Fragen offen. Er fordert eine politische Koalition gegen den IS.
Markus Schubert: Frankreich bittet um Beistand. Nicht die NATO, wohl aber die EU, deren militärische Zusammenarbeit bislang aber gar nicht so ausgeprägt ist. Aber auch in den EU-Verträgen gibt es eine Beistandsklausel und diese Karte will Paris jetzt ziehen. In Artikel 42, Absatz sieben des EU-Vertrages ist geregelt, dass sich die EU-Länder bei einem bewaffneten Angriff Hilfe und Unterstützung schulden. Rolf Mützenich, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, was kann die EU, was können ihre Mitgliedsstaaten denn an Beistand anbieten?
Rolf Mützenich: Ich glaube, es geht zur Zeit darum, von Frankreich zu erfahren, was sie erbitten. Ich habe die Verteidigungsministerin vor einigen Stunden so verstanden, dass es noch keine konkrete Anfrage ist und deswegen kommt es insbesondere darauf an, inwiefern diese Anfrage auch unmittelbare Hilfe beansprucht. Das wird die Bundesregierung dann auch dem Parlament und der Öffentlichkeit in den nächsten Tagen mitteilen müssen.
Schubert: Und wäre Deutschland in der Lage, um Frankreich, die französische Armee, zu entlasten, zum Beispiel in Mali, nicht nur im sicheren Teil des Landes auszubilden, sondern auch in den dortigen Kampfeinsatz gegen Islamisten einzusteigen?
Mützenich: Das diskutieren wir ja schon unabhängig von den schrecklichen Attentaten von Paris seit einigen Wochen, ob die Bundeswehr auf Bitten der Vereinten Nationen in Mali eine stärkere Rolle wird übernehmen können. Ich glaube, auch das gehört dann zu den Fragen, die wir in den nächsten Tagen zu diskutieren haben.
Schubert: Und wenn Frankreich wünschte, dass auch die Luftwaffe den IS bombardiert, in Syrien, im Irak, haben wir dann einen "Alle gegen den IS"-Konflikt, den sich diese Organisation vielleicht wünscht, um Neue rekrutieren zu können?
Mützenich: Genau, da sprechen Sie die entscheidende Frage an. Deswegen bin ich auch dankbar, dass Frankreich in ein multilaterales Gremium wie die Europäische Union gegangen ist. Wie müssen auch berechtigte Fragen stellen, ob letztlich die Herausforderung, die der IS auf militärische Art bespricht, allein militärisch beantwortet werden kann. Das glaube ich nämlich nicht. Es stehen insbesondere politische Fragen im Vordergrund. Deswegen war es ja gut, dass am Wochenende auf der Syrienkonferenz in Wien ein konkreter Zeitplan mir allen Konfliktbeteiligten - dort wird ja auch ein Stellvertreterkrieg geführt - gefunden wurde. Darauf kommt es jetzt an. Und darauf, finde ich, muss auch Frankreich ein Interesse haben.
Schubert: Zwei multinationale, multilaterale Gremien haben Sie jetzt angesprochen: die G20, die EU. Aber es gibt auch diese Facette: Hollande fliegt nach Washington, Hollande fliegt nach Moskau, sucht Hilfe. Gemeinsame EU-Außenpolitik ist das auf den ersten Blick nicht.
Mützenich: Das mit Sicherheit nicht. Sie dürfen aber auf der anderen Seite nicht vergessen, Frankreich ist nun mal Mitglied der NATO und sucht auch den unmittelbaren Kontakt zum wichtigsten Bündnispartner, den USA, in der Absprache. Aber ich finde, hier zeigt sich doch eine andere Qualität im Vergleich zum 11.9., als die damalige Regierung Bush alles sozusagen allein entschieden hat. Und das, finde ich, ist schon ein Wert an sich.
Schubert: Aber den Aspekt Moskau möchte ich noch einmal mit Ihnen vertiefen. Er reist auf Anregung von Nicolas Sarkozy Richtung Moskau und der sagt ja wiederum schon, die Sanktionen müssen weg, Russland muss mit ins Boot. Was wird dann aus der gemeinsamen EU-Haltung gegenüber der Ukraine, aber auch in Syrien rücksichtslos und imperial auftretenden Kreml?
Mützenich: Sarkozy ist zur Zeit zurecht nicht Präsident und doch sehen Sie auf der anderen Seite steht Hollande unter innenpolitischem Druck. Aber diese Frage der Sanktionen hat doch mehr mit Minsk, hat doch letztlich mehr mit der Erfüllung der Verträge gegenüber der Ukraine zu tun. Ich finde, hier muss man doch sehr deutlich trennen. Aber man muss natürlich auch mit der russischen Seite darüber sprechen, was sie letztlich in Syrien erreichen wollen. Sie führen dort eben seit einigen Wochen auch einen Luftkrieg gegen bestimmt Gruppen, offensichtlich mehr gegen Rebellen als gegen die IS. Ich finde, wenn Hollande diese Fragen diskutiert, ist das auch eine wichtige Information, die wir letztlich auch in Europa brauchen.
Schubert: Und noch mal grundsätzlicher: Ist Putin, kann er sein, ein Partner in einer internationalen Anti-Terror-Allianz? Oder gibt es im Grunde zwei ganz grundsätzliche Herausforderungen des Westens und seiner Vorstellung von Lebensart und politischem Handeln, nämlich den Dschihadismus und zum anderen den russischen Militarismus?
Mützenich: Die Herausforderungen liegen auf dem Tisch. Insbesondere haben wir ja Putin in den vergangenen Wochen immer wieder gefragt, was am Ende seine Strategie des Eingreifens in Syrien ist. Dort sind Interessen letztlich oft nicht deckungsgleich gewesen. Uns kommt es insbesondere darauf an, dass ein Rahmen der Vereinten Nationen gefunden wird und eben auf der Außenministertagung zu Syrien ist ja genau das verabredet worden. Alle das, was in Zukunft erfolgt, muss eben auf der Ebene der Vereinten Nationen zustande gebracht werden. Das ist auch eine wichtige Verpflichtung, die Frankreich mit zu erfüllen hat.