Neue Qualität des Kriegs in Afghanistan?
Im Norden Afghanistans kämpfen Soldaten der Bundeswehr erstmals mit schweren Waffen gegen die radikal-islamischen Taliban. Es ist die größte Operation unter deutscher Beteiligung, sagte Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan. Rund 300 deutsche Soldaten sind im Einsatz. Hat der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan damit eine neue Qualität erlangt? Ist ein neues Mandat für den Einsatz der deutschen Soldaten notwendig? Warum fällt es der Bundesregierung so schwer, den Krieg in Afghanistan auch als solchen zu benennen?
Andrea Oster: Deutsche Soldaten in Afghanistan wurden in den vergangenen Monaten immer wieder in Kämpfe verwickelt. Es gab Anschläge, Tote, Verletzte. Jetzt gibt die Bundeswehr bekannt, die deutschen Soldaten nehmen an einer Offensive gegen die Taliban teil, dabei kommen auch Schützenpanzer und Mörser zum Einsatz, also schweres Gerät. Man kämpfe gegen gegnerische Gruppen, sagt die Bundeswehr, Taliban, aber auch Stammesmitglieder, Kriminelle und Terroristen. Rolf Mützenich ist außenpolitischer Experte der SPD. Herr Mützenich, dieser Einsatz in Afghanistan, geht das mehr und mehr weg von einem Stabilisierungseinsatz mittlerweile hin zu einer militärischen Mission, was würden Sie sagen?
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Oster. Ich glaube schon, dass wir es zum jetzigen Zeitpunkt mit intensiven Kampfhandlungen zu tun haben. Dies ist natürlich eine Reaktion auf die Angriffe auch der Taliban, die nicht mehr sozusagen einzeln stattfinden, sondern durchaus in einem strategischen Umfeld, wo teilweise auch massive Angriffe gefahren werden, und es ist richtig, dass die afghanische Armee zum jetzigen Zeitpunkt hiergegen im Norden vorzugehen und dann eben auch mit Unterstützung der Bundeswehr.
Oster: Aber wenn deutsche Soldaten unter dem Kommando der afghanischen Armee offensiv vorgehen, gegen Taliban oder auch andere Gegner, hat das nicht eine neue Qualität dieses Auslandseinsatzes?
Mützenich: Ja, in der Tat. Eben weil die Sicherheitslage so schlecht geworden ist und natürlich auch korrespondiert das nicht mehr mit den Dingen, die wir vor einigen Jahren noch behauptet haben, dass dieser Einsatz nur zur Stabilisierung dient. Die Stabilität muss erstmal wieder hergestellt werden. Das heißt also auch, Sicherheitsstrukturen müssen wieder hergestellt werden, aber das Eine hat auch etwas mit dem Anderen zu tun. In dem Mandat auch der Vereinten Nationen hat es immer geheißen, wir müssen Stabilisierung schaffen, aber, wenn es notwendig ist, durch Artikel 7 der Charta der Vereinten Nationen gedeckt, dann auch mit militärischen Maßnahmen.
Oster: Also, das heißt, das Mandat, das die deutschen Soldaten dort haben, das vom Bundestag verabschiedet worden ist, das deckt auch diese Handlungen ab?
Mützenich: Das deckt auf jeden Fall diese Operation zum jetzigen Zeitpunkt auch in diesem Umfang ab, das ist richtig. Uns im Bundestag kommt es natürlich hauptsächlich darauf an, - wir sind keine Militärstrategen und ich warne auch immer die Mitglieder der Bundestagsfraktionen davor, dafür als Abgeordnete sozusagen auf den Feldherrenhügel zu klettern - wir müssen gucken, ist Völkerrecht gegeben, gibt es einen Beschluss des Sicherheitsrates, ist auch die Regierung des Landes bereit, diese Soldaten zu empfangen, so wie es eben die aus Kabul ist und ich glaube, dann hat dieses Mandat auch seine Berechtigung.
Oster: Aber muss man nicht sagen, die Soldaten sind faktisch im Kriegseinsatz?
Mützenich: Es sind auf jeden Fall militärische Kampfhandlungen. Man muss natürlich eben sehen, jeder versteht unter Krieg etwas anderes. Unsere Großväter und Großmütter haben etwas anderes erlebt als wir eigentlich jetzt nach dem Ost-West-Konflikt tagtäglich sehen. Nach dem Ost-West-Konflikt, nach dem Fall der Mauer, war auch die Bundeswehr in der Lage, zu solchen internationalen Einsätzen hinzu zu kommen und dass wir es eben in Afghanistan mit einer schweren Situation zu tun haben, ist ganz offensichtlich. Über 35 Jahre lang Bürgerkrieg in einem Land bedeutet natürlich, dass es hier immer wieder zu Kampfhandlungen kommt.
Oster: Aber der "Bürger in Uniform", wie ja auch gern in den vergangenen Jahren die deutschen Soldaten immer wieder genannt worden sind ?-davon kann man doch jetzt eigentlich nicht mehr sprechen, angesichts solcher Einsätze.
Mützenich: Nein natürlich, weil die Bundeswehr natürlich auch vor neuen Voraussetzungen steht. Sie muss das Ende des Ost-West-Konflikt bewältigen, auf der anderen Seite die Auslandseinsätze tätigen, das ist vollkommen richtig. Wir haben sozusagen kleine Kriege mit großer Wirkung, wo auch eben die Bundeswehr mit beteiligt ist. Auf der anderen Seite möchte ich natürlich auch betonen, wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder der Bush-Administration vorgeworfen: Krieg gegen den Terror ist überhaupt nicht die richtige Strategie. Ein Krieg ist auch überhaupt nicht gewinnbar. Es geht hier auch nicht um Eroberung. Und jetzt diskutieren wir nur noch über diesen Begriff. Ich glaube wir brauchen einen politischen Rahmen und mit Präsident Obama ist es das erste Mal auch gelungen, einen politischen Rahmen mit den Regionalakteuren um Afghanistan herum zu schaffen.
Oster: Der Grünen-Politiker Winfried Nachtwei hat es als schweren Fehler bezeichnet, Polizisten abzuziehen aus diesem Gebiet und deswegen habe sich die Sicherheitslage wieder so zugespitzt. Sind da wirklich Fehler gemacht worden?
Mützenich: Das ist ein Aspekt und es sind auf jeden Fall Fehler gemacht worden. Die Fehler liegen in der Vergangenheit, dass auch sehr stark von den Bündnispartner damals aus Washington damals sozusagen der Krieg gegen den Terror allein mit militärischen Maßnahmen gefahren worden ist. Das ist heute komplett umgestellt worden. Da werden heute viele zivile Aktivitäten erwartet und uns ist es nicht gelungen, insbesondere von Seiten Europas, die die Verantwortung dafür getragen haben, Polizeistrukturen aufzubauen, Richter auszubilden, im Grunde genommen alles das, was sozusagen eine staatliche Instanz braucht, um auch zu sanktionieren.
Oster: Nach diesen Meldungen jetzt, glauben Sie, dass der Afghanistan-Konflikt und die Aufgabe, die die Bundeswehr dort jetzt auch übernimmt, dass das Ganze eine stärkere, eine wesentlich emotionalere Rolle im Wahlkampf jetzt auch übernimmt?
Mützenich: Mit Sicherheit. Und im Grunde genommen wissen natürlich auch die gewaltbereiten Truppen in Afghanistan, die Taliban, dass gerade in Deutschland Wahlkampf geführt wird. Sie wissen auch, dass Gesellschaften, - wir haben das damals in Spanien gesehen - dann sehr schnell bereit sind, auch solchen internationalen Einsätze eben nicht mehr fortzuführen.
Oster: Nach dem Anschlag.
Mützenich: Klar, es wird eine Rolle spielen. Ich meine, wir müssen uns darauf einstellen. Deswegen plädiere ich auch für eine ehrliche Diskussion über den Afghanistan-Einsatz.
Oster: Rolf Mützenich, außenpolitischer Experte der SPD, zum Einsatz der deutschen Bundeswehrsoldaten, die seit einigen Tagen an einer Offensive beteiligt sind, unter Führung der afghanischen Armee, vielen Dank!