Mützenich: Rüstungswettlauf nicht mit Panzergeschäften anheizen

Interview mit Marcus Pindur
Veröffentlicht: 
Deutschlandradio. 06.07.2011
Thema: 
SPD-Außenpolitiker hält kompletten Umbau der Nahostpolitik für notwendig

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich, spricht sich gegen Panzerlieferungen an Saudi-Arabien aus. In der Region gebe es keinen Mangel an Waffen, wohl aber ein Mangel an Dialog. Kooperation sei deshalb wichtig.

Marcus Pindur: Es sei ein Bruch mit der gängigen Praxis, in Krisengebiete keine Waffen zu liefern - so moniert die Opposition die beschlossene Lieferung von 200 Panzern des Typs Leopard 2 nach Saudi-Arabien. Selbst in CDU und FDP regen sich einige Stimmen, die diesen Verkauf anrüchig finden. Dabei ist es allerdings nichts Neues, dass in den Nahen Osten auch deutsche Waffen geliefert werden: Israel hat U-Boote und anderes militärisches Gerät bekommen, Ägypten deutsche Handfeuerwaffen, und Saudi-Arabien bekam in den 90er-Jahren bereits den Spürpanzer Fuchs. Wir sind jetzt verbunden mit Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Guten Morgen, Herr Mützenich!

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Saudi-Arabien ist doch immerhin in der Gemengelage des Nahen Ostens eine mäßigende politische Kraft, und der beste Kampfpanzer der Welt ist nun mal der Leopard 2A7, der wird in Deutschland produziert. Warum sollten wir ihn nicht auch nach Saudi-Arabien verkaufen?

Mützenich: Na insbesondere, weil es in dieser Region keinen Mangel an Waffen gibt, aber es gibt einen Mangel an Kooperation, an Dialog, eigentlich auch einen Mangel an Rüstungskontrolle. Wir haben es ja mit einem ungebremsten Rüstungswettlauf zu tun und scheinbar auch einer Auseinandersetzung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, Vormacht am Golf. Das sind alles Dinge, die einem nach meinem Dafürhalten - insbesondere dann, wenn man sich als neuer deutscher Außenminister wie Herr Westerwelle die Abrüstung auf die Fahnen geschrieben hat - doch zu denken geben müssen, insbesondere dann, wenn solche Großwaffen in einer Situation geliefert werden an ein Land, was ja auch selbst im Inneren nicht stabil ist.

Pindur: Sie haben das Stichwort Iran genannt, die USA liefern für 68 Milliarden Dollar Kampfflugzeuge an Saudi-Arabien, und die Obama-Administration tut das genau, um das Sicherheitsbedürfnis Saudi-Arabiens gegenüber dem Iran zu bedienen - denn sonst ist doch die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es zu einem weiteren Wettrüsten kommt, nämlich, dass dann Saudi-Arabien gegen die iranische Atombombe eine eigene entwickeln wird.

Mützenich: Das ist angekündigt worden, deswegen sind wir ja auch seit Jahren bemüht, die Iraner davon zu überzeugen, die Atomenergie nicht zu militärischen Zwecken zu missbrauchen, weil wir genau das befürchten, was auch immer wieder angekündigt worden ist, ja nicht nur von Saudi-Arabien, sondern damals sogar von Ägypten unter Mubarak. Alles das sind Anzeichen gewesen, die eben darauf hindeuten, dass wir uns um mehr Kooperation kümmern müssen, der Golf-Kooperationsrat interessanterweise, wo Saudi-Arabien eine deutliche Stimme spricht, hat sich ja für eine kernwaffenfreie Zone im regionalen Umfeld ausgesprochen. Dies ist unterstützenswert. Wir werden im nächsten Jahr eine Konferenz der UNO zu einer kernwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten durchführen - auch das sind Dinge, die, ich glaube, genau im Gegensatz zu dem stehen, was jetzt scheinbar beschlossen worden ist, nämlich den Rüstungswettlauf noch wieder anzuheizen. Und mein Eindruck war zumindest aus dem letzten Monaten gewesen, dass eben dieser amerikanische Deal, den Sie eben benannt haben, auch wieder anderen Staaten im Umfeld, und nicht nur den Iran, durchaus Angst gemacht hat. Nehmen Sie die Grenzstreitigkeiten zum Jemen, nehmen Sie auch Grenzstreitigkeiten, die es immer noch weiter in dem Persischen Golf gibt - alles das sind Anzeichen, die eben keine Großwaffen brauchen, sondern richtige Diplomatie und Politik.

Pindur: Herr Mützenich, der Aufruf zur Kooperation ist das eine - die Europäer haben es bislang nicht vermocht, den Iran zum Einlenken zu bringen -, die Großmacht Saudi-Arabien im arabischen Raum ist das andere, und da können wir doch durchaus etwas tun, um zum militärischen Gleichgewicht beizutragen, also auch zur Stabilität in der Region.

Mützenich: Aber Saudi-Arabien ist übergerüstet, das ist glaube ich gar keine Frage, das wird auch weder von Forschungsinstituten bezweifelt noch von offizieller Stelle. Ich glaube, es ist genau die falsche Richtung, die wir anlegen, und wir haben es ja doch mit einem Regime zu tun, dem saudischen Königshaus, was von auch Salafisten durchaus beeinflusst ist. Möglicherweise stehen wir in den nächsten Monaten oder Jahren vor einem Herrscherwechsel, und ich möchte mir nicht vorstellen, was die Situation bedeutet, wenn hier noch radikalere Kräfte in Saudi-Arabien an das Ruder kommen. Und wir haben doch auch erlebt, wie Saudi-Arabien mit den Umbrüchen in der arabischen Welt umgegangen ist: Man ist in Bahrain einmarschiert, man hat bedauert, dass junge mutige Ägypterinnen und Ägypter Mubarak gestürzt haben. Alles das sind doch Anzeichen, die nicht zur Kooperation einladen, sondern nach meinem Dafürhalten zu einer Diplomatie, die eben darauf hinwirkt, dass es eine Verhaltensänderung auch in Saudi-Arabien gibt.

Pindur: Die aktuelle Lage im Nahen Osten ist jetzt aber so, dass sich nicht mehr alles am Palästinenserkonflikt abarbeitet, sondern dass tatsächlich die Achse Syrien, Iran, Hamas, Hisbollah diejenige ist, die die einen von den anderen scheidet. Und da wäre es doch richtig, weiterhin Saudi-Arabien zu unterstützen, auch wenn es vielleicht moralisch nicht ganz einwandfrei ist, das zu tun.

Mützenich: Aber ich würde nicht einfach diese Gegensätze so aufbauen, wie es manchmal auch gerne getan wird von denjenigen, die Konflikte auch herbeireden. Natürlich gibt es ...

Pindur: Herr Mützenich, aber die Konflikte sind doch nun ganz klar da: Der Iran unterstützt Syrien, der Iran unterstützt die Hisbollah und die Hamas.

Mützenich: Ich wollte aber auf der anderen Seite auch sagen: Natürlich gibt es, wie es damals behauptet worden ist, eine schiitische Herausforderung. Auf der anderen Seite sehen wir auch, dass gerade schiitische Bewegungen wie im Libanon oder auch an anderer Stelle eine eigene nationale Agenda haben. Also wir müssen schon aufpassen, dass wir nicht einfach bipolare Gegensätze wieder aufbauen, wie wir sie aus dem Kalten Krieg letztlich kennen, und Saudi-Arabien spielt teilweise auch eine sehr ungute Rolle in diesem Verhältnis: Es befördert eigentlich diese Konflikte und beruhigt sie nicht.

Pindur: Teilweise ja, aber Saudi-Arabien, das muss man auch sagen, hat eine Friedensinitiative in Richtung Israel gestartet, die durchaus auch in den USA zum Beispiel auf viel Gegenliebe gestoßen ist.

Mützenich: Leider zu spät, wir hätten 2002 in einer Situation, als diese Initiative von Saudi-Arabien gestartet wurde, durchaus die Unterstützung vonseiten des Westens gebraucht. Präsident Bush hat sich dagegen ausgesprochen, wir haben mittlerweile eine Regierung in Israel, die überhaupt diese Friedensfühler, die ausgebracht wurden, überhaupt nicht aufgenommen hat - das waren Dinge gewesen der verpassten Chancen, und Saudi-Arabien hat sich in dieser Situation auch sehr stark verhärtet und ist im Grunde genommen kein nachhaltiger Spieler mehr in diesem Prozess. Das ist ein Punkt, der zu denken gibt. Ich glaube, wir müssen die Politik gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten eben komplett umbauen und nicht mit Panzergeschäften im Grunde genommen noch etwas anheizen, was es viel zu viel gibt, nämlich Rüstung.

Pindur: Herr Mützenich, vielen Dank für das Gespräch!

Mützenich: Danke für die Einladung!

Pindur: Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, das Thema Panzer an Saudi-Arabien, heute Thema einer Aktuellen Stunde im Bundestag.