Mützenich: Politik der Bundesregierung führt zu Scheckbuchdiplomatie
Rudolf Geissler: Die internationale Koalition gegen Gaddafi streitet darüber, ob sie die Aufständischen in Libyen mit Waffen versorgen soll und vor allem darf mit Blick auf die einschlägige UNO-Resolution. Frankreich zum Beispiel meint Ja. Gibt denn diese Entschließung diese Art Hilfe noch her aus Ihrer Sicht?
Rolf Mützenich: Nein, das glaube ich nicht. Die Entschließung hat ja sehr stark deutlich gemacht, dass der Schutz aller Zivilisten in Libyen im Vordergrund steht. Das müssen natürlich auch die Mitgliedsländer, die diese Resolution des Sicherheitsrates ausführen wollen, mit bedenken. Jetzt kommt es insbesondere darauf an, ob wir in den nächsten Wochen es schaffen, eine politische Lösung unter Einschluss insbesondere der Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union und der Arabischen Liga zu finden.
Geissler: Einerseits sieht die Resolution ein Eingreifen in den Bürgerkrieg tatsächlich ausdrücklich nicht vor, auf der anderen Seite darf aber doch der Schutz der Zivilbevölkerung mit allen Mitteln ... durchgesetzt werden. Wenn dieser Schutz nur per Waffenlieferung sicherzustellen ist, steht dann die Möglichkeit nicht doch offen?
Mützenich: Nein, das glaube ich eben nicht. Der Schutz der Zivilbevölkerung kann zum jetzigen Zeitpunkt insbesondere nur von den Vereinten Nationen erreicht werden, das ist aber ein kurzfristiges Ziel. Das langfristige Ziel muss sein, dass wir innerhalb kürzester Zeit auch eine Waffenruhe bekommen. Dafür brauchen wir Verhandlungen, dafür brauchen wir Zugänge auch zum Regime von Gaddafi. Das war natürlich auch Diskussionspunkt der Konferenz gewesen. Da kommt es nach meinem Dafürhalten insbesondere darauf an, Länder innerhalb der Afrikanischen Union zu finden, oder natürlich vielleicht sogar auch der besondere Beauftragte der Vereinten Nationen.
Geissler: ... Ist der Machtkampf in Libyen eine Frage von Tagen oder steht da eher ein längerer Bürgerkrieg zu befürchten?
Mützenich: Es sieht auf jeden Fall nach einem Machtkampf aus, der weiterhin durchgeführt wird, leider eben auch mit Waffengewalt. Deswegen glaube ich, ist der beste Schutz der Zivilisten, so schnell wie möglich eine Waffenruhe zu erhalten, möglicherweise durch Vermittlungen. Aber auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch sehen, dass die politischen Ziele auch der Aufständischen noch klarer werden müssen. Ich glaube auch, dass die Anerkennung der Übergangsregierung keine Schlussfolgerung daraus sein kann, die Ergebnisse am Boden abzuleiten. Ich glaube, da brauchen auf jeden Fall wir noch einen längeren Diskussionspunkt, insbesondere auch die gesamte Arabische Liga und die Afrikanische Union dahinter zu versammeln.
Geissler: Frankreich ist ja wohl das einzige Land, dass diese Übergangsregierung in Bengasi anerkannt hat. Sollte Berlin diesem Beispiel folgen?
Mützenich: Nein, ich glaube, das ist zum jetzigen Zeitpunkt einfach zu früh. Wir müssen uns komplett darauf konzentrieren, eine Waffenruhe zu erreichen. Möglicherweise eben auch bestimmte Dinge innerhalb der Sicherheitsratsresolution zum jetzigen Zeitpunkt zu wissen, dass wir sie nicht unmittelbar umsetzen können; das sind langfristige Ziele. Die Zivilisten brauchen auf jeden Fall den Zugang zu ziviler Hilfe, die die Vereinten Nationen, aber auch Hilfsorganisationen, anbieten können, und das ist die Waffenruhe.
Geissler: Die Frage, ob die Allianz völkerrechtlich ganz einwandfrei handelt oder nicht, stellt sich mir auch, wenn ich höre, dass Gaddafi Exil und Straffreiheit angeboten werden soll, wenn er denn nur verschwindet. Ist da möglicherweise vergessen worden, dass ja der Internationale Strafgerichtshof längst mit Gaddafi befasst ist, oder sehe ich das falsch?
Mützenich: Nein, das war ja genau das Besondere auch gewesen nicht dieser Sicherheitsratsresolution, sondern der Sicherheitsratsresolution 1970, wo auch Länder innerhalb des Sicherheitsrates diesem Instrument zugestimmt haben, obwohl sie es für sich selbst ablehnen. Das war ein wichtiger - aus meiner Sicht auch völkerrechtlicher Fortschritt - gewesen. Wir müssen natürlich eben dem Internationalen Strafgerichtshof auch die Möglichkeit bieten, zu ermitteln. Das tut er zum jetzigen Zeitpunkt, um eben auch eine Anklage letztlich erheben zu können. Da kann nicht die internationale Staatengemeinschaft Straffreiheit beschließen, sondern ich glaube, da muss mit diesem Mittel auch gegen Gaddafi und in Zukunft auch gegen andere Gewaltherrscher vorgegangen werden. Das ist ein ganz wichtiges Instrument.
Geissler: Vor der Libyenkonferenz hatte vor allem Frankreich zu erkennen gegeben, dass Deutschland, wenn es schon militärisch nicht dabei ist, zumindest stark beim Wiederaufbau des neuen Libyen helfen sollte. Was wird da auf uns zukommen, um möglicherweise auf diese Weise den Bündnisfrieden einigermaßen wieder herzustellen?
Mützenich: Ja, das ist das Bittere, dass offensichtlich doch jetzt wieder eine Scheckbuchdiplomatie von dem einen oder anderen provoziert worden ist, insbesondere auch durch das Verhalten der Bundesregierung, was ja auf vehemente Kritik auch letztlich gestoßen ist, dass wir es eben nicht geschafft haben, mit einem Sitz im Sicherheitsrat zu einer verantwortlichen Politik auch innerhalb des westlichen Bündnisses zu kommen. Das muss die Bundesregierung beantworten, aber im Grunde genommen nicht nur beantworten, sondern letztlich auch für die Folgen aufkommen.