Mützenich: NATO-Russland-Rat nutzen

Interview mit Rudolf Geissler
Veröffentlicht: 
SWR 2 Tagesgespräch, 20.04.2016
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Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, hält es für angebracht, dass die westliche Militärallianz im NATO-Russland-Rat auch ihrerseits zu mehr Vertrauensbildung beiträgt. Im Südwestrundfunk (SWR) kritisierte Mützenich in diesem Zusammenhang ausdrücklich die polnische Regierung. Warschau sei "gut beraten", seine Sprache zu mäßigen und "nicht zu weiteren Verunsicherungen" beizutragen, sagte der SPD-Politiker.

Die polnische Forderung, an den Grenzen zu Russland mehr NATO-Truppen zusammen zu ziehen und dort auf Dauer zu stationieren, sei inakzeptabel. Die Allianz müsse "sehr deutlich machen", dass eine Veränderung dieser Art gegen die NATO-Russland-Grundakte verstoßen und zu einem "massiven Bruch in den Beziehungen" zwischen Moskau und dem Westen führen würde.

Im Verhältnis zu Moskau sei positiv hervorzuheben, dass Russland trotz der anhaltenden Annexion der Krim und der ungelösten Ukraine-Krise "dort, wo es gemeinsame Interessen gibt, auch versucht, gemeinsam zu handeln".

Rudolf Geissler: Nach den harschen Tönen zu urteilen, die in den Tagen vor dieser Sitzung (des NATO-Russland-Rats) zu hören waren aus Moskau über die NATO, aber auch aus der NATO über Moskau ..., wird das doch eher eine Misstrauenskundgebung werden... Oder wird das umschlagen in Vertrauensbildung?...

Rolf Mützenich: Deutschland hat massiv in den letzten Monaten darauf hingearbeitet, dass überhaupt dieses Gremium wieder für Gespräche genutzt wird. Man darf es nicht überfrachten. Man darf auch nicht behaupten, damit ist jetzt alles gut. Im Gegenteil, wir brauchen letztlich Gespräche zur Herstellung ... auch ein wenig wieder neuen Vertrauens.

Geissler: ... Was genau erwarten Sie von dieser ersten neuen Zusammenkunft?

Mützenich: Ich glaube, auf jeden Fall nach außen hin überhaupt ein Symbol, dass mit der NATO und dann auch Russland über sicherheitspolitische Probleme, aber auch gemeinsame Interessen gesprochen werden kann. Es geht um Afghanistan.

Es geht letztlich eben auch darum ..., dass wenn es solche Probleme wie die Überflüge letztlich in der Ostsee (gibt), dass dann auch das Rote Telefon, was ja gerade von unserer Seite aus verlangt worden ist, auch genutzt wird. Darauf hat Russland in den letzten Monaten verzichtet. Und dann geht es natürlich insbesondere um die Ukraine und eine belastbare Handlung, in deren Rahmen die OSZE auch vertrauensbildend wirken könnte.

Geissler: Das heißt, es ist im Wesentlichen Pragmatismus, der zu diesem Neuanfang geführt hat, kein politisches Tauwetter?

Mützenich: Ich glaube, es ist die Einsicht, dass Kommunikation notwendig ist - im Grunde genommen genau die Erfahrung, die wir im Kalten Krieg und auch zur Überwindung gemacht haben. Und deswegen haben wir uns ja auch vonseiten Deutschlands so stark dafür eingesetzt.

Geissler: Gibt es denn trotz der Ukraine-Krise neue Ansätze in der russischen Außenpolitik ..., die die Wiederaufnahme dieses Gesprächsfadens rechtfertigen würden, über das Pragmatische hinaus?

Mützenich: Man sieht insbesondere, dass Russland dort, wo es gemeinsame Interessen gibt, auch versucht, gemeinsam zu handeln. Damals die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen war durchaus auch ein Türöffner letztlich für gemeinsame Interessen gewesen. In Syrien sind wir immer noch auf allen Seiten bemüht, die Friedensgespräche am Laufen zu halten. Und letztlich ist auch klar, dass wir eine politische Lösung brauchen und ich denke schon auch über Abrüstung und Rüstungskontrolle, also das, was Frank-Walter Steinmeier unter dem Vorsitz der "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" auf die Tagesordnung gesetzt hat. Auch das muss den NATO-Russland-Rat in Zukunft beschäftigen.

Geissler: Hat denn auch die NATO Anlass zur Vertrauensbildung?...

Mützenich: Ich glaube schon. Auf der einen Seite ... wären einige NATO-Partner gut beraten, ihre Sprache letztlich auch zu mäßigen. Ich finde, das gehört auch mit dazu. Und dann ist durchaus auch die Frage der Raketenabwehr ... weiterhin auf der Tagesordnung. Wir in Europa haben daran auch ein Interesse, dass wir es möglicherweise sogar in einen Rahmen eines Vertrages mit Russland gemeinsam bringen.

Geissler: ... Polen verlangt unter anderem eine dauerhafte stärkere Truppenpräsenz an den Grenzen zu Russland. Wie sollte sich die Allianz zu dieser Forderung verhalten?...

Mützenich: Wir sollten sehr deutlich machen, dass das gegen die NATO-Russland-Grundakte letztlich verstoßen würde, dass das wahrscheinlich auch zu einem massiven Bruch auch in den Beziehungen zwischen Russland und der NATO führen würde.

Deswegen haben wir uns ja auch in der Vergangenheit sehr stark dafür eingesetzt, dass das nicht passiert, auf der anderen Seite aber auch versucht, durch bestimmte Handlungen, wie zum Beispiel die Luftraumüberwachung in den baltischen Staaten, deutlich zu machen, Sicherheitsinteressen sind gemeinsame Interessen. Nur ich glaube, auch Polen wäre gut beraten, hier seine Sprache letztlich auch zu mäßigen und nicht zu weiteren Verunsicherungen zu führen.

Geissler: Für NATO-Generalsekretär Stoltenberg ist diese Wiederaufnahme der Konsultationen mit Russland ja ohnehin keine Rückkehr zur Normalität... Dazu müsse, sagte er, Moskau zum Respekt vor dem Völkerrecht zurückkehren... Was heißt das praktisch? Dass die Krim wieder an die Ukraine geht?

Mützenich: Das bleibt weiterhin natürlich auf der Tagesordnung. Genauso, wie es im Kalten Krieg gewesen ist, dass bestimmte Gebiete oder Gebietsansprüche auch nicht sanktioniert worden sind im Handeln, dort ist immer wieder darüber gesprochen worden. Aber wir dürfen uns nichts vormachen, das wird wahrscheinlich nicht der erste Schritt in dieser Politik letztlich sein.

Zurzeit geht es erst einmal darum, Vertrauen wieder aufzubauen und ständige Kommunikationskanäle zu haben wie den des NATO-Russland-Rates. Und deswegen ist der Tag heute durchaus beachtenswert, dass es wieder gelungen ist, zu Gesprächen zu kommen. Das war ja auch eine gemeinsame Abstimmung innerhalb der NATO dann gewesen.

Geissler: ... Rückkehr zur Normalität ..., das heißt für Sie nicht, dass der Status der Krim sich jetzt wieder ändert?

Mützenich: Nein, es geht zurzeit letztlich darum, natürlich das, was an Völkerrechtsbruch passiert ist, auch immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Wir können dies nicht anerkennen. Das wäre letztlich falsch. Das würde auch gegen die gesamten Prinzipien, die wir nach dem Ende des Kalten Krieges gefunden haben, verstoßen. Deswegen ist hier die Politik klar. Aber ich mache mir nichts vor, das wird nicht der erste Tagesordnungspunkt sein, mit dem wir über Russland Einigkeit herstellen werden.