Mützenich kritisiert türkische Syrien-Strategie

Interview mit Angela Ulrich
Veröffentlicht: 
rbb inforadio, 04.10.2012
Thema: 
Als Reaktion auf einen tödlichen Granatenangriff hat das türkische Parlament grünes Licht für mögliche Militäreinsätze im Nachbarland Syrien gegeben. Wie explosiv ist die Lage an der türkisch-syrischen Grenze?

Angela Ulrich: Gibt es Krieg mit Syrien? Die meisten Türken lehnen das ab, doch der türkische Premier Erdogan tritt selbstbewusst auf gegen Assads Regime. Er drängt auch den Westen zu mehr Engagement und hat sich von seinem Parlament heute das Mandat für einen türkischen Militäreinsatz in Syrien geholt. Auslöser war syrischer Beschuss eines türkischen Grenzdorfes gestern. Dort starben fünf Menschen. Angela Merkel hat den syrischen Angriff auf NATO-Partner Türkei verurteilt, gleichzeitig aber beide Länder zur Besonnenheit aufgerufen.

Rolf Mützenich ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und auch deren Nahostexperte, schönen guten Tag, Herr Mützenich!

Rolf Mützenich: Guten Tag, Frau Ulrich!

Ulrich: Wie explosiv ist die Lage derzeit an der türkisch-syrischen Grenze, was denken Sie?

Mützenich: Nun, ich glaube, von hier aus beobachtet muss man die Situation schon ernst nehmen, und jeder weitere Zwischenfall kann natürlich auch zu weiteren militärischen Aktionen führen, gewaltsamen Aktionen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Provokateure bereit sind, die Situation anzuheizen.

Ulrich: Der türkische Premier Erdogan hat sich ja nun heute vom Parlament eine Art ?Persil-Schein? geben lassen, dass sein Militär nämlich ein Jahr lang ins syrische Grenzgebiet eindringen kann, ohne jetzt nochmal extra Genehmigung. Quasi die Vorbereitung auf einen Militäreinsatz. Wie bewerten Sie das?

Mützenich: In der Tat, das ist ein Schritt der uns besorgen sollte, weil ich glaube, diese Situation kann eben auch schnell außer Kontrolle geraten. Und auch eine türkische Regierung, die auf diesen Beschuss reagiert, und teilweise natürlich auch reagieren muss, muss wissen, nur der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann letztlich auch mit gewährleisten, dass die internationale Sicherheit wieder hergestellt wird. Jede Intervention von außen, von einem Nachbarstaat, kann die Situation verschärfen.

Ulrich: Geht die Türkei mit dieser Genehmigung sozusagen im eigenen Parlament schon zu weit?

Mützenich: Sie gehen zumindest ein Risiko ein. Wenn ich es richtig gesehen habe, ist ja sozusagen diese Ausweitung, die jetzt gemacht worden ist, von Seiten des türkischen Parlaments, offensichtlich eine Fortsetzung der Möglichkeiten, die man sich in den Kurdengebieten genommen hat, also gerade im Norden des Iraks  - und man sieht eine Verknüpfung hier kann durchaus auch zu einer weiteren regionalen Verschärfung der Situation führen.

Ulrich: Nun ist die Türkei aber nun im Dilemma. Sie hat schon fast 100.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen und für eine sichere Zone für Flüchtlinge auf syrischer Seite, eine Pufferzone, international überwacht, was Erdogan immer wollte, da bekommt er nicht genug internationale Unterstützung. Bräuchte er die aber?

Mützenich: Er braucht sie, denn dafür ist auch ein Beschluss des Sicherheitsrat notwendig und deswegen müssen wir auch alle Kräfte darauf konzentrieren, die Länder, die zur Zeit im Sicherheitsrat eben nicht bereit sind, sowohl dem Vermittler des Generalsekretärs der Vereinten Nationen weitere Kompetenzen zu geben oder möglicherweise eben auch einen Beschluss im Sicherheitsrat herbeizuführen, die müssen wir davon überzeugen und das sind insbesondere die russische und die chinesische Regierung. Und ich glaube, dass der Zwischenfall, der tödliche Zwischenfall, eben auch in Moskau und in Peking gezeigt hat, dass der Bürgerkrieg ganz schnell regional eskalieren kann und daran können auch die Regierungen in Moskau und in Peking kein Interesse haben.

Ulrich: Nun hat ja auch Russlands Außenminister Lavrov harte Töne gegenüber Syrien angeschlagen, zumindest vergleichsweise, wenn man bedenkt, wie er vorher gesprochen hat. Er hat eine Entschuldigung gefordert für den Angriff auf die Türkei. Könnte das eben die Wende, die Sie auch fordern, eben schon andeuten?

Mützenich: Ich hoffe das zumindest, weil gerade in Moskau muss man sich darüber im Klaren sein, das findet letztlich  alles in der Nähe Russlands statt und es kann auch weiter eskalieren. Ich glaube, dass jetzt zum Beispiel der Außenminister oder auch Putin eben sieht, wie gefährlich die Lage ist, und sie möglicherweise eben auch kalkulieren müssen, dass das, was sie in den letzten Wochen nicht getan haben, in den nächsten Tagen erfolgen muss.

Ulrich: Und Deutschland? Wie soll sich die Kanzlerin einschalten, außer zu beruhigen, was sie bisher getan hat, auf Deeskalation zu setzen? Gibt?s noch mehr?

Mützenich: Also, ich glaube, auf der einen Seite sind diese Worte richtig, aber das Aufrufen zur Besonnenheit betrifft natürlich viele Länder, letztlich auch die, die den Bürgerkrieg in Syrien auch für eigene Interessen nutzen. Und da muss man auch an arabische Golfstaaten erinnern und wenn wir sehen, dass dorthin wir zum Beispiel Leopard-Panzer liefern wollen, würde ich mir natürlich wünschen, dass die Bundeskanzlerin diese Entscheidung jetzt auch überdenkt.