"Man muss deutliche Worte finden"

Interview mit Judith Schulte-Loh
Veröffentlicht: 
WDR 5, 04.02.2014
Thema: 
Erdogan in Deutschland

Judith Schulte-Loh: Er gilt als emotional, leicht aufbrausend und hat es in der Vergangenheit geschafft, bei seinen Auftritten in Deutschland immer mal wieder für politische Verstimmungen zu sorgen. Heute kommt der türkische Premierminister Erdogan nach Berlin. Er wird die Kanzlerin zu einem Meinungsaustausch treffen und dann am Abend im Berliner Tempodrom vor tausenden potenziellen Wählern sprechen. Die dürfen zwar nicht bei den türkischen Kommunalwahlen im März mit abstimmen, wohl aber bei der Präsidentschaftswahl im Sommer, bei der Erdogan antreten will. Also auch bereits Wahlkampf in Deutschland heute für Erdogan.

Rolf Mützenich ist stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, zuständig immer noch für Außenpolitik  und bei mir im Studio. Herr Mützenich, Gewalt gegen Demonstranten, korruptionsvorwürfe, Entlassungen bei Justiz und Polizei. Wie beurteilen Sie die innenpolitische Situation in der Türkei und das Verhalten Erdogans?

Rolf Mützenich: Nun, das ist etwas, was wir, glaub ich, kritisch hinterfragen müssen und er muss sich auch diese Fragen gefallen lassen, insbesondere, wenn er nach Deutschland kommt. Es war eine aufmerksame Debatte, gerade über diese Ereignisse in der Türkei gewesen, sowohl in den türkischen Medien, als natürlich auch in den deutschen Zeitungen, oder auch im Hörfunk. Und von daher glaube ich schon, ist es notwendig, dass auch deutsche Politikerinnen und Politiker mit ihm über diese Dinge, die in der Türkei passieren, sprechen.  Denn wir haben ein Interesse daran, dass die Demokratie in der Türkei weiterhin ihren Weg nimmt, auch mit Ministerpräsident Erdogan, aber auch letztlich mit anderen Parteien, mit gesellschaftlichen Akteuren und das gehört mit auf die Tagesordnung der Gespräche.

Schulte-Loh:  Aber was für einen Weg nimmt die Demokratie in der Türkei mit Erdogan? Wenn man zum Beispiel aktuell liest, dass die Veröffentlichung einer Anfrage eines Oppositionspolitikers per Gerichtsbeschluss verhindert wurde. Befürchtet wurde, und nicht nur befürchtet, eine weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit. Wie geht man mit solchen Meldungen um, wo ist da tatsächlich die Grenze?

Mützenich: Man muss deutliche Worte finden. Und grade, wenn mit Parlamentariern genau diese Dinge verhindert werden, die ja zu einer Demokratie mit dazu gehören ? dass Fragen gestellt werden, dass die Regierung heraus gefordert wird ? dass man sozusagen versucht, auch als Opposition in den Kern des Regierungsgeschäfts hinein zu finden und wenn das dann verhindert werden soll, dann behindert das eine demokratische Entwicklung, die die Türkei in der Tat in der Vergangenheit genommen hat. Das Militär ist auch zurück gedrängt worden. Man muss auch immer die Dinge sehen, die Erdogan ja auch versucht hat, gerade das Militär oder auch den tiefen Staat zurück zu drängen, aber offensichtlich nimmt er einen Weg, der auch von seinen Weggefährten kritisiert wird, wie von Präsident Gül.

Schulte-Loh: Was heißt in diesem Zusammenhang überhaupt "deutliche Worte"?

Mützenich: Ich glaube, dass man insbesondere in den Gesprächen, die er mit der Bundeskanzlerin, aber auch mit dem Außenminister führt, natürlich auch über außenpolitische Dinge wie in Syrien, er war im Iran jetzt, dass man da vielleicht auch die Dinge hört, die er auch als Botschaft mitgenommen hat, aber auf der anderen Seite glaube ich schon, dass es notwendig ist, gerade auch über die innenpolitische Entwicklung in der Türkei zu sprechen, weil sie auch Rückwirkungen auf Deutschland hat. Nehmen wir zum Beispiel die Verhandlungen mit der PKK. Wir haben großes Interesse daran, dass sich dieses Feld beruhigt, weil es hier ja auch immer wieder zu innenpolitischen Verwerfungen hier in Deutschland zwischen den einzelnen zugewanderten Gruppen gegeben hat.

Schulte-Loh: Aber ist das nicht grundsätzlich, wenn wir über das Verhalten Erdogans reden-  und er war im Iran, sie sagten es gerade, er war in Brüssel, er kommt heute nach Berlin. Das ist für ihn natürlich nicht nur Wahlkampf heute Abend im Tempodrom in Berlin, sondern natürlich auch der Premierminister, der türkische, der sich international präsentiert und an seinem Status und Gewicht festhalten will.

Mützenich: Ja, das ist klar. Aber auf der anderen Seite hat er ja auch letztlich an Status verloren, weil seine Außenpolitik, die er vorgehabt hat, - null Probleme mit den Nachbarländern, Syrien, aber auch die Aussöhnung mit Armenien, - im Grunde genommen nicht voran gekommen ist und er im Grunde genommen für sich in der Außenpolitik behauptet hat, hier hat die Türkei einen eigenen Weg und sie kann es letztlich auch alleine unternehmen. Und ich glaube, er sieht die Grenzen. Deswegen ist er natürlich auch auf Partnerschaft angewiesen und wir werden auch versuchen, weiterhin innerhalb der Europäischen Union dafür zu sorgen, dass gerade die Kapitel geöffnet werden, über den rechtsstaatlichen Bereich, die uns dann die notwendigen Fragen, die wir auch jetzt stellen müssen, auch im Zusammenhang mit dem Beitrittsprozess, zu stellen, denn da geht es genau um Minderheitenrechte, auch um die Frage von demokratischen Rechten, und insbesondere die Rolle von Medien und Justiz.

Schulte-Loh:  Mit anderen Worten: Die Verhandlungen über den Beitritt der Türkei könnten zu einem Hebel werden, Erdogan, der ja nun noch der Ansprechpartner ist, zu mehr Rechtsstaatlichkeit zu zwingen?

Mützenich: Sie müssen weitergehen. Und das war ja auch immer das, was wir kritisiert haben gegenüber Mitgliedsländern der Europäischen Union, die es eben verhindert haben, das eben genau diese Beitrittskapitel eröffnet werden,  weil eine notwendige Diskussion, ein Dialog kann auch darüber letztlich erfolgen. Heute werden die Gespräche mit dem türkischen Ministerpräsidenten geführt, aber wir wollen eben mit der gesamten Gesellschaft in der Türkei über diesen Hebel eben ins Gespräch kommen und insbesondere rechtsstaatliche Standards in der Türkei verlässlich einführen.

Schulte-Loh: Heute Abend wir Erdogan ja im Tempodrom sprechen. Wir erinnern uns an 2008, seinen Auftritt in der Köln Arena, wo er zwar die türkisch-stämmigen Einwohner zur Integration aufrief, aber eine "kulturelle Verschmelzung", wie er es damals nannte, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit titulierte. Also Erdogan war noch nicht wieder abgereist, da gab es schon wieder eine Integrationsdebatte in Deutschland, die nicht gut war. Wie hilfreich sind solche Reden des türkischen Premierministers?

Mützenich: Eigenwillige Worte, die überhaupt nicht hilfreich sind in einem solchen Bezug. Und das, was wir ja auch erlebt haben in der Diskussion und was Sie ja eben auch nochmal von türkischen Mitbürgern haben hören lassen, deutet ja auch an, dass auch viele unzufrieden sind, insbesondere mit seiner Wortwahl oder auch seinem aufbrausenden Charakter, der ihn letztlich auch in der Politik auch in der Aufgabe eines Ministerpräsidenten, der ja auch die Aufgabe hat, alle mitzunehmen, überhaupt nicht gelingt. Und ich glaube, das ist auch genau der Punkt, den wir ihm deutlich machen müssen: Er ist der Ministerpräsident aller türkischen Bürgerinnen und Bürger und er muss eben auch gucken, dass er alle auch mitnimmt und nicht durch solche Wortwahlen zu spalten.

Schulte-Loh: Heute kommt der türkische Ministerpräsident Erdogan zu Besuch nach Berlin. Was von diesem Besuch zu erwarten ist, was angesprochen werden muss, dazu war das Rolf Mützenich, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. Danke für den Besuch bei uns.

Mützenich: Vielen Dank für die Einladung!