Seine letzte Chance?

Interview mit Cordula Denninghoff
Veröffentlicht: 
WDR 5 Mittagsecho, Der Blickpunkt, 19.11.2009
Thema: 
Der neue, alte afghanische Präsident Karsai wird heute vereidigt

Verteidigungsminister Guttenberg hat bei seinem Besuch in Kabul von Präsident Karzai Reformen verlangt. US-Außenministerin Clinton drohte mit der Streichung von Hilfsgeldern, wenn Karzai nicht die Korruption bekämpft.

Geben die Interventionssstaaten Karzai eine letzte Chance? Gibt es denn eine Alternative zu Karzai, der nach mehr als zweifelhaften Wahlen ins Amt gekommen ist? Wie soll es mit dem Einsatz der Bundeswehr weitergehen? Auf der einen Seite hat das Kabinett schon die Verlängerung des Einsatzes beschlossen, auf der anderen Seite fordert Außenminister Westerwelle eine "Abzugsperspektive". Guttenberg hofft, im nächsten Jahr Bundeswehrsoldaten aus Nordafghanistan abziehen zu können, NATO-Generalsekretär Rasmussen fordert dagegen mehr Soldaten. Unterstützt die SPD noch diese Afghanistan-Politik?

Cordula Denninghoff: Heute ist der afghanische Präsident vereidigt worden. Innenpolitisch hat Karzai einen schweren Stand und dann bekommt er auch noch Druck aus dem Ausland. Darüber möchte ich jetzt mit Dr. Rolf Mützenich sprechen, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Köln und Mitglied des außenpolitischen Ausschusses. Guten Tag, Herr Mützenich.

Rolf Mützenich: Guten Tag, Frau Denninghoff.

Denninghoff: Verteidigungsminister Guttenberg und auch Außenminister Westerwelle haben von Karzai nach der verkorksten Wahl Reformen gefordert, wir haben es gehört: Die Korruption solle bekämpft werden und Karzai solle endlich dafür sorgen, dass es eine funktionierende Regierung gibt. Ansonsten würde das deutsche Engagement gekürzt, Und ähnlich hat sich auch die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton geäußert. Gibt der Westen Karzai noch eine allerletzte Chance?

Mützenich: Ich bin immer vorsichtig bei solchen Ultimaten, aber es ist natürlich schon so, dass wir von Karzai auch weitere Schritte erwarten, insbesondere nachvollziehbare und transparente Schritte. Aber das ist ja nun nicht eine Diskussion, die wir nun erst seit einer Woche führen, sondern das tun wir schon seit Monaten oder auch seit Jahren. Auch der ehemalige Außenminister Steinmeier hat in seinem Zehn-Punkte-Plan ganz klare Fragen im Hinblick auf Korruption formuliert, aber auch auf Verwaltungsfragen, Aufbau Polizei, Sicherheitskräfte etc. . Das sind Dinge, die auf den Tisch gehören. Auf der anderen Seite sollte man natürlich auch, und das ist an unsere eigene Adresse gerichtet, hier reden wir schlecht über den Präsidenten und dann fährt man zu Amtseinführung hin. Das sind natürlich ein paar Dinge, die man etwas vorsichtiger angehen sollte, insbesondere, wenn der Außenminister dem Verteidigungsminister hinterher reist.

Dennninghoff: Sie haben vorhin gesagt, diese ganzen Forderungen und der Druck auf Karzai sind nicht neu, aber die Formulierungen sind schon ein bichßen schärfer geworden. Und die Streichung von Hilfsgeldern würde Afghanistan sicher auch schmerzlich spüren. Doch ist nicht diese Drohung, abzuziehen, ein äußerst stumpfes Schwert, denn dann würde ja nicht nur Afghanistan sondern möglicherweise auch noch Pakistan im Chaos versinken?

Mützenich: Eben, deswegen ist es ja auch immer richtig gewesen, in der Strategie mit zu formulieren, dass wir auch die Nachbarländer brauchen. Wir haben ja insbesondere über Pakistan diskutiert. Auf der anderen Seite sollte man aber überlegen, wie man den Iran als ein Nachbarland einbeziehen kann, das unter der Entwicklung in Afghanistan leidet, aber auch gute Schritte unternehmen könnte zur Stabilisierung. Alles das sind Dinge, die mit auf die Tagesordnung gehören. Das ist mit der US-Administration Obamas möglich ? im Gegensatz zu seiner Vorgänger-Regierung. Und auf der anderen Seite scheint es mir schon so zu sein, dass die 42 Staaten, die in Afghanistan aktiv sind, natürlich auch wissen, dass sie enger untereinander kooperieren müssen. Und wenn wir uns an Deutschland nochmal orientieren, dann machen die Länder ja dort zum Beispiel sehr unterschiedlich bei der Polizeiausbildung mit und dass jetzt zum Beispiel das Land Bayern sich jetzt endlich Mal bereit erklärt hat, möglicherweise mal zwei Ausbilder zu schicken, - na ja, das ist ja auch kein großer Fortschritt. Also auch an unsere eigene Adresse: Wir müssen uns schon an die eigene Nase fassen.

Denninghoff: Also auch unser Engagement verbessern, oder möglicherweise verstärken? Das Kabinett hat sich jetzt für eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan ausgesprochen. Wird die SPD im Bundestag zustimmen?

Mützenich: Wir werden das in der Fraktion diskutieren. Der Antrag liegt ja jetzt grade erst auf dem Tisch. Nächste Woche debattieren wir das in der ersten Lesung im Plenum. Dann werden wir uns Gedanken darüber machen und wir werden natürlich aufbauen auf dem Zehn-Punkte-Plan von Frank-Walter Steinmeier, der in die genau richtige Richtung geht. Aber wir wollen natürlich auch von der Bundesregierung ganz konkret verlangen, was eine Zeitfolge ist, was eine Schrittfolge ist. Und ich finde, man muss nicht nur in Afghanistan seine Forderungen formulieren, sondern der Verteidigungsminister muss natürlich gleichzeitig mit dafür sorgen, dass die Soldaten dort auch entsprechend geschützt sind. Auch das ist seine Aufgabe. Und der Außenminister muss mehr dafür tun, dass zum Beispiel von hier aus auch eine Unterstützung der afghanischen Regierung erfolgt. Und ich finde, er muss seine Worte auch im Nachhinein nochmal gewichten. Als damals Kurt Beck gesagt hat, wir brauchen eine Versöhnung in Afghanistan, auch die friedensbereiten Kräfte der sogenannten Taliban müssen einbezogen werden, wie ist er damals mit Hohn und Spott von der Opposition überzogen worden und das ist jetzt plötzlich eine der Lösungen, die angedacht wird. Also ich finde, auch eine Überprüfung der eigenen Rolle gehört mit dazu.

Denninghoff: Und dann? Könnte es dann möglich sein, dass die Bundeswehr schon 2010 aus Teilen Nordafghanistans abzieht, so wie sich das Karl-Theodor von Guttenberg vorstellt?

Mützenich: Also, dass ist ja eine Schlussfolgerung, die der Verteidigungsminister gezogen hat, in dem innerhalb der NATO natürlich - und das auch zurecht und das haben wir auch immer versucht in den letzten Jahren - eine schrittwiese Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Streitkräfte, an die afghanische Polizei erfolgt. Das kann ich von hier aus nicht bewerten. Wenn das mit zu dem Konzept gehört und zum Beispiel der Bereich der Bundeswehr mit betroffen ist, ja, dann natürlich. Gar keine Frage. Auf der anderen Seite, und das hat die Bundesregierung ja auch gesagt, müssen wir darüber nachdenken, was wir mehr zu Ausbildung auch der afghanischen Streitkräfte tun können. Und ich will mal daran erinnern: Das haben wir ja erst gerade Mal 2006 begonnen. Und da brauchen wir noch zusätzliche Fortschritte.

Deninghoff: Besten Dank. Rolf Mützenich, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des außenpolitischen Ausschusses, zu Abzugsideen und zum Druck des Westens auf den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai.