"Keine militärische Lösung"
Seit zwei Jahren kämpfen Aufständische gegen das Regime von Baschar al-Assad. Die Auseinandersetzungen haben Spuren hinterlassen: Viele Städte verwüstet, zehntausende Menschen tot. Ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht. Einen Rücktritt lehnt der Herrscher ab. Zu Gesprächen mit Rebellen ist er aber offenbar bereit. Westliche und arabische Staaten wollen am Montag (04.03.2013) in Istanbul über militärische und humanitäre Hilfe für die Rebellen in Syrien beraten.
Andrea Oster: Seit zwei Jahren kämpfen da ja die Aufständischen gegen Präsident Baschar Al-Assad und sein Regime. Zwei Jahre mit vielen Toten und Verletzten. Gerade erst haben in der Stadt Aleppo die Rebellen in einem mehrere Tagen dauernden Gefecht die Polizeischule erobert. Laut einer Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die allerdings der Opposition nahe steht, kamen dabei 200 Menschen ums Leben. Wie soll das alles weitergehen? Weiterkämpfen, bis Assad irgendwann mal geht? Er hat in einem gerade erschienenen Interview gesagt er bleibt, wäre aber zu Gesprächen mit der Opposition bereit. Bei mir im Studio ist Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen.
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Oster.
Oster: Heute wird es ja eine Konferenz in Istanbul geben, westliche und arabische Staaten sind dabei, auch Vertreter der Opposition in Syrien. Die Oppositionellen wollen ja Waffen haben um Assad zu schlagen, der Westen will sie offiziell nicht geben. Da kann man sagen: Was wird das heute? Eine Sitzung zur moralischen Unterstützung? Was kommt dabei überhaupt raus?
Mützenich: In der Tat ein großes Dilemma, aber man muss erkennen: es gibt auch Oppositionskräfte, die nicht nach einer Bewaffnung rufen, sondern immer noch versuchen einen politischen Dialog zu führen. Nicht mit Assad, aber zunächst auch mit Vertretern der Alawiten innerhalb Syriens und möglicherweise eben auch der russischen Regierung. Das ist schon wichtig und ich glaube auch, man muss sich darüber im klaren werden. Es wird kein militärischer Erfolg in dem Sinne erreicht werden, um eine Lösung in Syrien zu finden. Ich geh fest davon aus, dass es weiterhin bei einer dramatischen Bürgerkriegssituation bleibt. Deswegen wäre meine Empfehlung gegenüber der Europäischen Union, sich insbesondere auf die Bewältigung des Flüchtlingsproblems zu konzentrieren.
Oster: Aber dieser Konflikt wird doch militärisch ausgetragen. Es wird am Ende eine Entscheidung geben: wer schlägt wen? Also, wenn man sich schon auf Seiten der Opposition geschlagen hat, warum nicht noch Waffen liefern?
Mützenich: Ich glaube, er wird nicht kurzfristig militärisch gelöst werden können. Mein Besuch in den vergangenen Wochen in der Region hat mir auch nochmal vor Augen geführt, dass viele befürchten, Syrien, ähnlich wie im Libanon, laufe Gefahr einen mehrjährigen, 17-jährigen, Bürgerkrieg wie damals dort zu erleiden. Massive Flüchtlingsprobleme, Vertreibungen und nicht nur eine Konfrontation zwischen Assad und der Opposition auf der einen Seite, sondern ebenfalls die Einbeziehung von Kurden und möglicherweise auch vielen anderen Kräfte, können sich unter Umständen dann zu einem regionalen Krieg ausweiten. Insbesondere wenn sich die internationale Gemeinschaft noch mehr in diesen Konflikt einmischt.
Oster: Die syrische Opposition plant, hat sie aber bisher noch nicht in die Tat umgesetzt, den eroberten Gebieten eine eigene Regierung zu geben ? einen eigenen Regierungschef. Was würde das bringen? Wäre das eine Art Legitimation der Opposition, ein leichterer Ansprechpartner?
Mützenich: Es wäre natürlich unterstützend, wenn dadurch die Situation der Menschen vor Ort verbessert werden würde. Wenn es nur ein symbolisches Dokument für eben politische Machteroberung ist, dann halte ich es nicht für richtig und es gibt eben auch Teile der Opposition, die auf diesen Schritt verzichtet haben, weil man beispielsweise diplomatischen Initiativen ? vor wenigen Stunden haben offensichtlich der amerikanische und der russische Präsident nochmal über das Thema Syrien telefoniert ? auch eine Chance geben möchte. Das halte ich auch für dringend notwendig und daher nochmal mein Appell, die Europäische Union sollte auf der einen Seite humanitäre Hilfe leisten und auf der anderen Seite einer diplomatischen Lösung, die wahrscheinlich eben auch nur von den großen Staaten wie Russland, den USA, möglicherweise noch weiteren, erreicht werden können, unterstützen.
Oster: Die EU soll sich bei dieser militärischen Geschichte raushalten und sich auf die humanitäre Hilfe konzentrieren?
Mützenich: Ich glaube, dass eine militärische Lösung keinen Fortschritt in der Bewältigung dieses Konfliktes bringt. Vielmehr müssen wir uns auf die humanitäre Situation so einstellen, dass wir durchaus auch in Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. Es gibt eine fraktionsübergreifende Diskussion im auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, zumindest die Flüchtlinge, die hier in Deutschland syrische Familienangehörige haben, auch ins Land zu lassen. Leider bewegt sich der Innenminister noch nicht in diese Richtung. An dieser Stelle sollten wir weiterhin alles unterstützen um die Situation der Flüchtlinge zu verbessern.
Oster: Sie sagten, sie waren erst kürzlich im Libanon und haben auch mit syrischen Flüchtlingen gesprochen. Wollen die Flüchtlinge denn dort weggehen oder wollen sie jenseits der Grenze abwarten, bis der Konflikt in ihrem Land vorbei ist?
Mützenich: Nein, die Mehrheit der Flüchtlinge will mit Sicherheit nicht weg. Ich habe zum Beispiel Familien getroffen, die noch Familienangehörige in Damaskus, in Aleppo oder in anderen Orten in Syrien hatten und um deren Situation gebangt haben. Aber es gibt in der Tat zunehmend mehr Menschen, die möglicherweise bei ihren Verwandten in Europa versuchen, Schutz oder einen besseren Aufenthalt zu finden und nach Syrien zurückkehren möchten, wenn sich die politische Situation sich geändert hat. Auf der anderen Seite wäre es gut, wenn Europa eine gemeinsame Initiative unternehmen würde und sich nicht nur auf den militärischen Bereich konzentriert, sondern gerade bei der Frage der Flüchtlinge gemeinsam alles unternehmen muss um die Situation zu verbessern.
Oster: Sollte sich die deutsche Bundesregierung stärker dafür einsetzen, dass Europa eine gemeinsame Haltung gegenüber den Flüchtlingen einnimmt?
Mützenich: Das wäre mein Wunsch. Insbesondere sollte das nicht nur der Außenminister, sondern die Bundesregierung gezielt mit allen Ressourcen machen und für eine gemeinsame EU-Initiative noch stärker werben oder wenn diese nicht zustande kommt durchaus auch mit einzelnen Ländern innerhalb der Europäischen Union als Vorbild voran gehen. Skandinavische Länder tun dies bereits, andere Länder ebenfalls, und ich glaube Deutschland würde das auch gut stehen.
Oster: Keine militärische Hilfe, dafür mehr humanitäre Hilfe. Das ist der Wunsch von Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, heute morgen im Morgenecho. Heute wird es eine Konferenz in Istanbul geben, wo westliche und arabische Staaten mit Vertretern der syrischen Opposition sprechen. Vielen Dank.