Israel gegen Hamas
Getrud Sterzl: Krieg im Nahen Osten: Die Bundeskanzlerin hat die Hamas als den einzig Schuldigen ausgemacht, die Europäische Union weist - einmal mehr - keine einheitliche Position vor und schickt nun eine Delegation ins Kriegsgebiet: Was kann die erreichen? Ist nicht gerade jetzt - da die US-Regierung wechselt - die EU als einflussreicher Vermittler gefragt?
Eine Woche dauert nun die israelische Offensive im Gaza-Streifen gegen die dort regierende Hamas. Nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörde wurden dort bisher bereits über 400 Menschen getötet, weitere 2.000 verletzt. Auf der israelischen Seite gab es durch den Raketenbeschuss der Hamas bisher 4 Tote und zahlreiche Verletzte. Auf beiden Seiten wird es noch mehr Opfer geben, wenn es nicht gelingt, die Gewalt zu stoppen. Aber ist dies überhaupt möglich, und wenn ja, wer könnte Vermittler sein?
Bei mir im Studio ist Dr. Rolf Mützenich, nahostpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Herr Mützenich, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ja die Hamas als einzig Schuldigen der Eskalation ausgemacht. Wie sehen Sie das?
Rolf Mützenich: Ich fand diese Bemerkung nicht hilfreich, weil es zum jetzigen Zeitpunkt doch für alle Menschen in Israel und im Gaza-Streifen wichtig ist, dass die Waffen schweigen. Ich glaube, wenn man politisch aktiv werden will, sollte man sich auf diese Waffenruhe konzentrieren und nicht die Schuldfrage in den Vordergrund schieben. Und wenn man über Schuldige spricht, dann muss man auch sagen, dass nicht nur eine Seite schuldig ist, denn es sind ja viele Akteure an diesem Konflikt beteiligt. Ich will das nicht auf Israel beziehen, sondern auch die Internationale Gemeinschaft benennen. Insbesondere jemand wie Präsident Bush, der sich erst vor einem Jahr mit dem Annapolis-Prozess bereit erklärt hat, den Konflikt im Nahen Osten wieder mithelfend zu bearbeiten, zu stabilisieren, der trägt doch eine gewisse Verantwortung.
Sterzl: Bush hat jetzt zur Waffenruhe aufgerufen, aber es scheint niemand auf ihn zu hören.
Mützenich: Na ja, es hört ja fast niemand mehr auf Präsident Bush und ich glaube, das ist auch der Moment, auf den der Eine oder Andere vielleicht auch spekuliert hat, in dieser Phase, in der Präsident Obama noch nicht im Amt ist, vielleicht auch das Eine oder Andere anzustoßen. Das will ich jetzt nicht gegenüber Israel unterstellen, aber man muss auch sehen, dass die USA zum jetzigen Zeitpunkt nicht der entscheidende Akteur sind. Wir brauchen die USA, wenn wir dort zu Stabilität und vielleicht sogar einer politischen Lösung zurück finden wollen. Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich nur arabische Staaten und die Arabische Liga. Ich sehe natürlich auch die Europäische Union, von der ich hoffe, dass sie an diesem Wochenende zumindest etwas anstoßen kann. Das sind die Akteure. Ob Russland vielleicht noch aktiv werden kann, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt so nicht sagen.
Sterzl: Aktuell soll auch Ägypten aktiv werden, berichtet unser Korrespondent aus Tel Aviv, soll sich als Verhandlungspartner, als Gesprächspartner auch mit anbieten. Ägypten wäre ja auch keine schlechte Adresse, um vermitteln zu können.
Mützenich: Nein, mit Sicherheit nicht. Man muss natürlich sehen, dass Ägypten im Laufe der Konflikte in den letzten Jahren als der entscheidende Akteur ein bisschen zurück gefallen ist. Mubarak ist umstritten, er ist alt, man weiß nicht so genau, wie sich die innenpolitische Situation in Ägypten entwickeln wird. Ägypten muss natürlich auch sehen, dass eben nicht in der Lage gewesen ist, Hamas und Fatah an einen Tisch zu bringen und sie vielleicht wieder zu einer gemeinsamen Regierung zu führen. Vor einigen Wochen ist dieser Versuch offensichtlich endgültig gescheitert. Aber Ägypten ist natürlich ein wichtiger regionaler Player und es ist eines der Länder in der arabischen Welt, das Frieden mit Israel geschlossen hat.
Sterzl: Wie steht die EU da? Die Delegation wird nun morgen ins Land reisen. Da gibt es die EU-Delegation, es gibt Nicolas Sarkozy, der sich selbst ernannt als Mittelmeerchef nun auch mal weiter in diesen Konflikt einschalten und auch kümmern will. Viele scheinen sich zu kümmern, eine rechte Handschrift ist leider Gottes nicht zu erkennen.
Mützenich: Ja, das ist leider immer wieder der Punkt. Ich halte es nicht für ein gutes Signal, wenn jetzt immer wieder unterschiedliche Akteure aus Europa dort sind. Ich hätte mir gewünscht, wenn alleine eine Delegation der Europäischen Union fährt und Sarkozy sich ein wenig zurück genommen hätte, weil er in diesem Jahr eben nicht mehr Ratspräsident ist. Auf der anderen Seite ist es schon wichtig gewesen, dass alle 27 Außenminister sich auf der Konferenz vor einigen Tagen zu einer Waffenruhe durchgerungen haben. Das war schon ein wichtiges Signal, weil es vorher unterschiedliche Stimmen gegeben hat. Genau diese Stimmen, die ja unter anderem auch Frau Merkel angestoßen hatte.
Sterzl: Könnte Deutschland eine größere Rolle spielen? Ich erinnere mich, dass Joschka Fischer einmal eine sehr wichtige Rolle im Nahostkonflikt gespielt hat. Auch Frank Walter Steinmeier hat als Außenminister durchaus Kontakte und hat sich ja durchaus schon eingemischt. Könnte Deutschland eine größere, wichtigere Rolle spielen?
Mützenich: Ich glaube schon. Der Außenminister versuchte ja auch in den vergangenen Tagen, eine Menge durch Telefonate, durch Gespräche zu erreichen, vielleicht auch die eine oder andere Botschaft zu übermitteln. Dies hat er auch damals im Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel getan. Dies hat er auch, indem er die ersten Türen nach Damaskus aufgestoßen hat, getan. Ich glaube schon. Deswegen habe ich ja auch vor ein einigen Tagen gesagt, dass dieser Akzent, den Frau Merkel da mit eingebracht hat, überhaupt nicht hilfreich gewesen ist, wenn man hinter den Kulissen vermitteln will.
Sterzl: Wenn dieser, ich sag mal, unverhältnismäßige Angriff Israels auf den Gaza-Streifen weiter anhält, wird man sich dazu durchringen müssen, auch einmal schärfere Positionen Israel gegenüber einzunehmen?
Mützenich: Ich glaube schon, und das ist ja auch eine Debatte, die wir zur Zeit in Deutschland wieder erleben. Es hat ja überhaupt nichts damit zu tun, wenn man jetzt vielleicht das Eine oder Andere an der israelischen Politik kritisiert, dass man sich nicht eben auch dazu bekennt, im Holocaust Verantwortung getragen zu haben. Das ist doch gar keine Frage und dies tue ich auch. Ich glaube, umso mehr, wenn man heute die aktuellen Positionen aufnimmt, muss man auch sehen, dass jetzt auch Kritiker in Israel beginnen, sich zu äußern. Heute sind auch wieder Demonstrationen angekündigt. Israel ist eben eine Demokratie, eine der wirklichen Demokratien im Nahen Osten. Deswegen ist es gut, wenn wir gegenüber Israel die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen. Zudem sollte man die Chancen, die politischen Initiativen, die die Arabische Liga in den letzten Jahren angestoßen hat, - nämlich Frieden aller arabischen Staaten mit Israel innerhalb der Grenzen von 1967 zu schließen,- nutzen. Wenn Deutschland hier hilfreich sein kann, dann sollten wir es tun.
Sterzl: Es bleibt schwierig im Nahen Osten. Ein richtiger Vermittlungsversuch, den gibt es noch nicht, aber Ansätze zumindest. Bei mir im Studio war Dr. Rolf Mützenich, nahostpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Danke für Ihren Besuch!
Mützenich: Danke für die Einladung!