Iranischer Staatspräsident sorgt für Eklat bei der UNO-Generaldebatte

Interview mit Christoph Heinemann
Veröffentlicht: 
Deutschlandfunk, 24.09.2010
Thema: 
Zur Rede des iranischen Präsidenten vor der UNO

Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hat die jüngste Rede des iranischen Präsidenten vor der UN-Vollversammlung als "abscheulich" bezeichnet. Er betonte aber auch, dass der Iran nicht nur aus Ahmadinedschad bestehe und das Regime in Schwierigkeiten sei.

Christoph Heinemann: Pietätlos ist die freundlichste Vokabel, mit der man die Rede des iranischen Staatspräsidenten kommentieren kann. Ausgerechnet in der Stadt, die sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wochenlang im Schockzustand befand, unterstellte Ahmadinedschad den USA, dass sie die Attacken selbst inszeniert haben könnten. Daraufhin verließen nicht nur die amerikanischen Diplomaten den Saal; auch die Vertreter von 32 anderen Nationen gingen heraus, darunter alle EU-Diplomaten.
Im Studio ist Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag!

Rolf Mützenich: Guten Tag!

Heinemann: Herr Mützenich, nehmen Sie Herrn Ahmadinedschad noch ernst?

Mützenich: Es wäre gut, wenn man ihn nicht mehr ernst nehmen müsste, weil er ist durchaus ein einflussreicher Politiker im Iran. Er hat Unterstützer. Man sollte ihn politisch ernst nehmen. Ansonsten sind die Aussagen - Sie haben das ja zurecht gesagt - gerade in New York abscheulich.

Heinemann: Wir haben Bundesaußenminister Guido Westerwelle gehört, der sagt, man muss den Dialog mit dem Iran fortsetzen. Mit wem soll man denn da reden?

Mützenich: Ja, das ist richtig. Der Iran besteht eben nicht nur aus Ahmadinedschad. Das ist zumindest eine Hoffnung und eine Chance, dass wir die richtigen, wenn man davon sprechen kann, Partner im Iran auch findet. Es gibt Länder - ich denke da insbesondere an die Türkei -, die Zugang auch zu den höchsten Stellen im Iran haben. Es ist schwer, mit Ahmadinedschad in einen Dialog zu kommen. Auf der anderen Seite hatte er im letzten Jahr durchaus Angebote unterbreitet, die aber innenpolitisch auch wieder in die Konfliktsituation des Iran geraten sind, also eine sehr komplexe Situation. Aber ich sehe auch keine Alternative dazu, dass wir weiterhin Angebote unterbreiten.

Heinemann: Und während geredet wird und die Diplomatie alles Mögliche versucht, nehmen die iranischen Atomwaffen langsam Formen an.

Mützenich: Das ist richtig und darauf weisen wir ja seit einigen Jahren hin. Insbesondere die Internationale Atomenergiebehörde kann nicht ausschließen, dass die Nuklearenergie zu militärischen Zwecken missbraucht wird. Auf der anderen Seite gibt es aber dennoch auch die Chance, zum Beispiel das schwach angereicherte Uran aus dem Iran herauszubringen, vielleicht sogar auf dem Verhandlungswege, und wenn ich es richtig verstanden habe, gab es dazu auch wieder Gespräche innerhalb der sogenannten Sechsergruppe, die also mit dem Iran verhandeln, um dort möglicherweise Auswege zu suchen.

Heinemann: Das Regime schindet Zeit. Das heißt, wer redet, der nutzt letztendlich dem Atomprogramm?

Mützenich: Das ist richtig. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass das Regime durchaus in Schwierigkeiten ist. Es ist nicht unumstritten auch innerhalb des schiitischen Klerus. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen. Der Iran macht eine innenpolitische Zäsur nach meinem Dafürhalten durch, und dieses Regime besteht auch sozusagen aus Existenzängsten, die Ahmadinedschad sehr stark provoziert. Auf der anderen Seite müssen wir bemerken: Ich finde, zwei andere Nachrichten waren viel wichtiger gewesen als nur diese Rede, die zurecht als abscheulich bezeichnet worden ist, nämlich dass Russland gesagt hat, es liefert keine weiteren Abwehrwaffen an den Iran für einen möglicherweise militärischen Konflikt, und man hat ein bisschen überhört, was der kubanische Staatschef Castro gesagt hat, indem er nämlich Ahmadinedschad zur Zurückhaltung gebeten hat über die Fragen des Holocaust, und das hat in Lateinamerika bei einigen Bündnispartnern des Iran durchaus Wirkung erzielt. Also der Iran isoliert sich mehr und mehr!

Heinemann: Innenpolitische Zäsur, sagten Sie gerade. Welche Anzeichen gibt es dafür?

Mützenich: Ich glaube schon, dass die Demonstrationen - wir sehen sie ja nicht mehr auf der Straße - durchaus auch weitergetragen werden in die Institutionen, dass es auch weiterhin Oppositionelle gibt, dass es auf der anderen Seite auch Akteure gibt, die den Dialog mit dem Westen suchen, und das bedeutet natürlich schon, dass das gesamte politische System vor deutlichen Herausforderungen steht, insbesondere was auch die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Iran betrifft.

Heinemann: Herr Mützenich, Medien berichten in diesen Tagen über den sogenannten digitalen Erstschlag, das heißt über den offenbar erfolgreichen Versuch, das iranische Atomprogramm digital zu sabotieren. Entwickelt sich solche Angriffssoftware jetzt langsam zur Fortsetzung der Politik mit digitalen Mitteln?

Mützenich: Wir haben natürlich schon eine Entwicklung gerade auf diesem Gebiet - das ist ja auch in der Vergangenheit schon mal öfter gezeigt worden -, ein Ausgreifen auch eben dieser technischen Mittel im militärischen Bereich. Das ist richtig. Man kann es der Spionage unterordnen, man kann es aber auch sozusagen anderen Rüstungsbereichen unterordnen. Ich habe keinen weiteren Kenntnisstand über diese sogenannten Angriffe, aber es dient natürlich dazu, auch weiterhin den Iran zu destabilisieren, und wir haben natürlich auch auf anderer Seite, finde ich, andere Instrumente noch in der Hand, sensible Materialien, sensible Technologie eben nicht in den Iran zu liefern. Und da sehen wir ja schon, dass auch deutsche Strafverfolgungsbehörden in der Vergangenheit den einen oder anderen dingfest gemacht haben.

Heinemann: Wenn wir eine kleine Klammer öffnen, noch mal diese Cyberspace- oder Cyberwar-Geschichte: Was bedeutet das für unsere ganze Sicherheitsarchitektur, wenn jetzt unsere Sicherheit einfach nicht mehr am Hindukusch, sondern an unserem PC oder an der Tastatur hier vor mir verteidigt wird?

Mützenich: Das sind ja eben die Dinge, die auch in den Institutionen, versuchsweise auch in den Militärorganisationen diskutiert werden. Ich finde, da haben sie nicht den richtigen Platz. Es ist nicht alleine eine sicherheitspolitische Herausforderung. Es ist insbesondere eine gesellschaftliche Herausforderung. Aber dass natürlich diese Angriffe gestartet werden - denken Sie nur an die Volksrepublik China, die das offensichtlich in der Vergangenheit mehrmals auch versucht hat, auch in Computersysteme der Militärs, aber auch der Unternehmen einzudringen -, das sind natürlich neue Formen, auch was in der internationalen Politik auch vielleicht konfliktverschärfend unter anderem wirken könnte. Aber gegenüber dem Iran finde ich auch solche Methoden durchaus gerechtfertigt.

Heinemann: Wir wollen noch ein weiteres Thema in den Blick nehmen. Bei allen Unterschieden, eines verbindet die USA und den Iran: die Anwendung der Todesstrafe. Die 41-jährige Teresa Lewis ist in der Nacht im US-Bundesstaat Virginia hingerichtet worden.
Im Studio weiterhin der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich. - Herr Mützenich, in der zivilisierten Welt, auch in Teilen der Vereinigten Staaten übrigens, ist die Todesstrafe geächtet. Wieso ticken die USA und Europa trotz gemeinsamer kultureller Wurzeln moralisch in dieser Frage so unterschiedlich?

Mützenich: Das wundert mich auch oft. Andererseits muss man es wahrscheinlich auch geschichtlich erklären. Auch sozusagen die Gründung der USA, wie sie aus der weißen Situation heraus immer wieder gesehen worden ist, deutete doch sehr stark darauf hin, dass man eben auch diese Todesstrafe durchaus als Mittel begriffen hat, wie der Staat reagieren kann. Das sind auf jeden Fall nicht akzeptable Dinge, und das trennen die USA und Europa über den Atlantik, und es bedarf immer wieder der Diskussion, auch wir vonseiten des Deutschen Bundestages tun das, wenn wir mit Senatoren oder Kongressabgeordneten zusammenkommen. Aber offensichtlich hat die Militanz auch in den USA innenpolitisch wieder zugenommen, zu diesem Instrument stärker zu greifen.

Heinemann: Was sagen Ihnen Ihre Gesprächspartner, wenn Sie das ansprechen?

Mützenich: Dass es sozusagen - ich nenne das jetzt mal in Anführungsstrichen - zur "Kultur der USA" gehört, dass der Staat auch so reagieren kann. Das sind natürlich heftige Auseinandersetzungen, die wir zu führen haben, mit den USA, aber auch mit vielen anderen Ländern. Sie haben das gesagt: Der Iran, aber auch die Volksrepublik China, andere Länder auf der Welt verhängen diese Todesstrafe und führen sie dann auch letztlich aus. Aber diesen Debatten muss man sich stellen. Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass der eine oder andere politische Akteur eben aufgrund der innenpolitischen Situation in seinen Wahlkreisen, in seinen Ländern eben auch zu diesem Mittel greift, weil offensichtlich die Menschen in den USA in der Mehrheit immer noch diese Todesstrafe unterstützen.

Heinemann: Für ultrakonservative Werte, zum Beispiel die Todesstrafe, streitet gegenwärtig die Tea-Party-Bewegung. Glauben Sie, dass sich die Sarah Palins und Glenn Becks auf dem Weg zur kulturellen Hegemonie befinden?

Mützenich: Ob es eine Hegemonie ist, wage ich zu bezweifeln. Auf der anderen Seite ist es sehr deutlich, dass diese konservativen Werte, die ja stark von der Bush-Administration getragen wurden, auch in den 80er-Jahren von Reagan, offensichtlich wieder ihren Platz innerhalb der Republikanischen Partei gefunden haben. Das ist eine Bewegung, die ernst zu nehmen ist, gerade im Hinblick auch auf die Wahlen. Auf der anderen Seite müssen wir uns natürlich darüber im Klaren werden: Obama hatte nicht immer die supergroße Unterstützung, wie wir in Europa glaubten. Ich meine mich zu erinnern, er hatte 53 Prozent insgesamt der Wählerstimmen gehabt. 47 Prozent waren für seinen Gegenkandidaten gewesen. Also das zeigt, das war immer umstritten gewesen, innenpolitisch, und die Tea-Party-Bewegung macht auch mit der Frage der Todesstrafe durchaus ihren Wahlkampf stärker.

Heinemann: Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und danke schön für Ihren Besuch hier im Deutschlandfunk.

Mützenich: Danke für die Einladung.