Irak-Krieg und "Kampf gegen den Terror"

Von N.N.
Veröffentlicht: 
taz, die tageszeitung, 20.03.2003
Thema: 
Rolle der Vereinten Nationen

taz: Herr Mützenich, die Diplomatie der rot-grünen Bundesregierung hat versagt. Die USA haben sich über den UN-Sicherheitsrat hinweggesetzt. Wäre es jetzt nicht an der Zeit, gemeinsam mit den USA an einer Nachkriegsordnung zu arbeiten?

Mützenich: Die Diplomatie versagt dann, wenn es zum Krieg kommt. Das ist klar. Aber die Diplomatie der Bundesregierung war auch erfolgreich, weil sie in großer Übereinstimmung mit den europäischen Völkern und Gesellschaften gehandelt hat. Dass es letztlich zum Krieg kommt, haben aus meiner Sicht alleine die USA, Großbritannien und wohl Spanien zu verantworten, die nicht auf die einzig legitimierte Institution zurückgegriffen haben - nämlich den UN-Sicherheitsrat.

taz: Trotz des Antikriegskurses ist Deutschland nicht neutral, sondern gewährt den USA beispielsweise Überflugrechte. Warum gibt es keine klare Neutralität?

Mützenich: Die Bundesregierung hat sich an dieser Stelle politisch für die Überflugrechte entschieden. Ich trage diese Entscheidung mit.

taz: Sollte es im Bundestag zu einer Abstimmung über die deutsche Beteiligung an AWACS-Aufklärungsflügen kommen - wie würden Sie votieren?

Mützenich: Ich bin überzeugt, dass es zu keiner Abstimmung kommt, solange die AWACS sich im Rahmen der NATO bewegen und nicht in einem Krieg gegen den Irak involviert sind.

taz: Könnte da nicht die Formel von "Gefahr im Verzug" ins Spiel kommen?

Mützenich: Nein, das glaube ich nicht. Solange die AWACS das Bündnisgebiet schützen, habe ich da überhaupt keine Bedenken.

taz: Ihrer Einschätzung nach ist multilaterale Kooperation für die deutsche Sicherheit unabdingbar. War Schröders "Nein" zum Krieg - ob mit oder ohne UN-Mandat - nicht ein unilateralistischer Akt?

Mützenich: Das habe ich immer gesagt. Das war auch für mich intellektuell nicht nachvollziehbar. Aber das war eine spontane Reaktion. Deutschland ist eines der Länder, das massiv versucht hat, im Rahmen der Vereinten Nationen auf multilateralem Weg diesen Krieg zu verhindern.

taz: Herr Mützenich, Sie sind promovierter Politikwissenschaftler. Sehen Sie in diesem Krieg und seiner Vorgeschichte eine grundlegende Veränderung der Weltordnung?

Mützenich: Ja. Das "Nein" gegen einen Irak-Krieg war auch ein Instrument, die USA von ihrem falschen Weg des Präventivkrieges abzubringen. In der Rede Bushs von Montagnacht finden sich viele Elemente dieser Sicherheitsstrategie wieder. Dies ist eine fundamentale Infragestellung der friedlichen Weltordnung. Das wird die USA aber nach meinem Dafürhalten nicht lange durchhalten.

taz: Die Bundesregierung wollte die USA vor sich selbst und damit auch den Hegemon bewahren?

Mützenich: Zunächst ging es darum, das Weltordnungssystem nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zu erhalten. Die US-Regierung ist dazu offenbar nicht bereit. Wir müssen versuchen, die USA und andere Länder wieder stärker einzubeziehen.

taz: Wie soll das funktionieren?

Mützenich: Natürlich geht das nur durch Überzeugungsarbeit. Die internationale Politik ist aber auch durch einen neuen Akteur bereichert worden - nämlich die Zivilgesellschaft. Die Friedensdemonstrationen haben sehr deutlich gemacht, dass sie großen Einfluss haben.

taz: Sie haben den Kosovo-Krieg als großen Fehler bezeichnet. Warum?

Mützenich: Weil dieser Einsatz auch ohne das Mandat der Vereinten Nationen erfolgt ist.

taz: Viele verstehen vor diesem Hintergrund nicht, warum die rot-grüne Regierung beim Kosovo-Einsatz in erster Reihe mitmarschierte, sich beim Irak-Krieg aber verweigert. Können Sie diesen Widerspruch auflösen?

Mützenich: Wegen der absehbaren schlimmen Folgen für diese Region und Europa hat sich die Bundesregierung für eine Beteiligung entschieden. Das war zum damaligen Zeitpunkt nachvollziehbar, aber es war auch ein struktureller Bruch damit verbunden.

taz: Für die USA ist dieser Krieg Bestandteil des "War against Terror". Teilen Sie diese Einschätzung?

Mützenich: Nein. Es gibt weder Hinweise noch Beweise, dass der Diktator Saddam Hussein mit terroristischen Gruppen zusammengearbeitet hat.

taz: Fürchten Sie, dass die "Koalition gegen den Terror" an diesem Krieg zerbrechen könnte?

Mützenich: Ja.

taz: Aber der Irak-Krieg und der "Kampf gegen den Terror" sind, wie Sie gerade andeuteten, zwei voneinander unabhängige Vorgänge?

Mützenich: Praktisch schon. Aber in der Politik spielen auch Stimmungen und Symbole eine große Rolle. Gerade den arabischen Regierungen wird nichts anderes übrig bleiben als sich aus dem "Kampf gegen den Terror" zurückzuziehen.

taz: Wie wird die Bundesregierung versuchen, sich wieder in den Prozess einzubringen?

Mützenich: Nach Kriegsbeginn gibt es zunächst natürlich keine großen Möglichkeiten der Einwirkung. Aber die Vereinten Nationen, und damit auch Deutschland, werden gefragt sein, einer humanitären Katastrophe in der Region entgegenzuwirken.

taz: Hat sich die Bundesregierung nicht die Möglichkeit genommen, an einer Nachkriegsordnung mitzuwirken?

Mützenich: Den Eindruck habe ich nicht. Bush sagte, die UN sei für die Nachkriegsordnung gefragt. Und da wird sich die Bundesregierung nicht verweigern.