Interview mit Rolf Mützenich, SPD, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss
Cordula Denninghoff: SPD-Chef Kurt Beck hatte im Frühjahr schon mal die Idee, moderate Taliban in den Versöhnungsprozess Afghanistans einzubeziehen. Damals hat er sich von der Union heftige Prügel eingehandelt. Wie kann man nur? Völlig abenteuerliche Vorstellung! Abgelehnt! Jetzt hat der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg diesen Vorschlag in leicht abgewandelter Form wieder in die Diskussion gebracht. Bei mir im Studio ist jetzt Rolf Mützenich von der SPD, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Guten Morgen, Herr Mützenich.
Mützenich: Guten Morgen, Frau Denninghoff.
Denninghoff: Gibt es ihn, den vernünftigen Taliban?
Mützenich: Nun, das ist schwer zu sagen, aber Kurt Beck, als er damals Afghanistan besucht hat, hat, glaube ich, gut zugehört, weil die afghanische Regierung, zumindest Präsident Karzai und andere Regierungsmitglieder den Versuch unternehmen schonseit mehreren Monaten, bestimmte Gruppen aus einem schillernden Begriff, den wir ja haben bei den Taliban, auch einzubinden. Es gibt Entwaffnungsprogramme, also, diejenigen, die die Waffen niederlegen, in ihre Dörfer zurückkehren, bekommen eine Amnestie, die britischen Streitkräfte haben versucht mit Taliban-Streitkräften ein Friedensabkommen zu schließen - das sind alles Dinge, die die Wirklichkeit abbilden, und deswegen war die damals doch aus meiner Sicht aus innenpolitischen Reflexen nur zu ergründende Reaktion auf den Vorschlag von Kurt Beck nicht mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen.
Denninghoff: Sind denn diese moderaten Taliban-Gruppen auch groß genug, dass sie Einfluss haben könnten, sind das nicht nur bloße Splitter?
Mützenich: Nein, das kann man so nicht sagen, insbesondere, wenn man auf die Region achtet. Die Paschtunengebiete sind natürlich sehr stark von Taliban geprägt. Das kennen wir auch aus der Historie. Und indem wir uns mit Isaf, also mit der Schutzkomponente, dort, wo wir in Afghanistan sind, mehr und mehr in die Region bewegen, begegnen wir natürlich auch solchen Kräften, und ich glaube, es ist gut in der internationalen Politik, zwischen Gut und Böse nicht nur zu unterscheiden. Ich glaube, das ist kein richtiges Leitmotiv, wenn man eine politische Lösung will. Wir wollen ja nicht mit Terroristen in dem Sinne in einem Boot sich letztlich wiederfinden. Ich glaube, dass es auch Präsident Karzai nicht will. Aber unsere Erfahrung mit terroristischen Bewegungen sind doch: Irgendwann gibt es den Moment, wo man auf bestimmte Gruppen zugehen muss.
Denninghoff: Sie haben vorhin gesagt, es würde darüber verhandelt, dass sie die Waffen niederlegen. Was könnte mit diesen Taliban noch verabredet werden, darüber hinaus?
Mützenich: Nun, ich glaube, dass mit diesen Taliban verabredet werden könnte, dass sie sich in einen zivilen Prozess mit hineinbegeben in ihren Regionen, dass sie mit darauf achten, dass Stabilität herrscht, weil natürlich auch ihre Volksgruppen, die sie glauben repräsentieren zu müssen, natürlich auch davon profitieren. Ob es zu Partizipation, also demokratischer Beteiligung, kommt, das muss man dann sehen an einer bestimmten Stelle. Und ich glaube, wir haben ja erfahren, dass die Frage von Wahlen nicht das entscheidende Moment für demokratische Bewegungen sind, sondern erst mal geht es um soziale Sicherheit, um Partizipation, Beteiligung an bestimmten Prozessen. Und da gibt es vielleicht den ein oder anderen, der dazu bereit ist. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich sehen: In Afghanistan herrscht weiterhin Gewalt. Dort herrscht seit fast 40 Jahren Krieg und das ist nicht einfach, mit einem politischen Prozess dort zu kommen. Ich glaube, es ist aber nicht blauäugig. Es gehört natürlich Mut dazu, aber auf der anderen Seite müssen wir differenzieren.
Denninghoff: Wer soll den Mut aufbringen? Nur die afghanische Regierung?
Mützenich: Die afghanische Regierung ist natürlich zuerst gefragt, und deswegen hat ja Kurt Beck das abgebildet, was dort diskutiert worden ist. Auf der anderen Seite: Wenn man mit internationalen Truppen, wenn man mit zivilen Helfern, wenn man mit Aufbaupersonal als internationale Gemeinschaft in Afghanistan ist, so begegnet man natürlich dem ein oder anderen, den man vielleicht den Taliban zuordnet. Aber wir sind nicht diejenigen, die in erster Linie zu verhandeln haben. Wir sind dazu da, diesen Schutz- und Sicherheitsprozess in Afghanistan zu begleiten und ich hoffe, dass er in den nächsten Jahren zu einem Erfolg führen wird.
Denninghoff: Wenn man das macht, mit moderaten Taliban zu verhandeln, birgt das auch Risiken?
Mützenich: Auf jeden Fall. Und es gibt auch wahrscheinlich immer wieder Rückschläge in diesem Prozess. Aber, ich glaube, wir dürfen uns durch die innenpolitische Situation an dieser Stelle nicht allein verunsichern lassen. Man muss bestimmte Versucheunternehmen, und die Briten haben zum Beispiel einen Rückschlag erlebt. Es gibt welche, die behaupten, dass US-amerikanische Streitkräfte versucht haben, dies zu hintertreiben. Andere Taliban-Gruppen müssen das wahrscheinlich damals im Frühjahr auch hintertrieben haben. Also, wir werden immer wieder mit Rückschlägen rechnen, nur auf der anderen Seite, glaube ich, kommt es darauf an, zu versuchen. Eben allein nur auf das Militär werden wir uns nicht verlassen können. Wir brauchen politischen Mut und politische Klugheit.
Denninghoff: Warum sind große Teile der Union Ihrer Ansicht nach dagegen?
Mützenich: Das ist schwer zu sagen. Ich kann mir vorstellen: Wir haben uns ja spätestens seit dem 11. September an ein Klischee gewöhnt, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Das sehen wir zum Beispiel in den Beziehungen zur palästinensischen Regierung, zum palästinensischen Präsidenten. Da kann man nicht einfach sagen: Fatah ist die gute Seite, Hamas ist die böse Seite. Und ich glaube, es wäre gut, wenn wir in der innenpolitischen Diskussion uns von einem bestimmten Bild des Gut und Bösen lösen würden. Aber ich denke, dass sich auch in der CDU/CSU vielleicht in den nächsten Tagen Stimmen breit machen, die zur Besonnenheit dort aufrufen und nicht wegen innerpolitischer Profilierung immer reflexartig reagieren.
Denninghoff: Rolf Mützenich, SPD, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss zum Vorschlag des stellvertretenden Regierungssprechers Thomas Steg, moderate Taliban in den Versöhnungsprozess des Landes einzubeziehen. Danke, dass Sie gekommen sind.