Interview Iranische Nachrichtenagentur (IRNA)

IRNA
Veröffentlicht: 
Iranische Nachrichtenagentur. 23.09.2003
Thema: 
Irans Atomprogramm und möglicher Austritt Irans aus Atomwaffensperrvertrag

IRNA: Wie bewerten Sie den jüngsten Beschluss der internationalen Atomenergiebehörde was Irans Atomprogramm angeht, und auch einen möglichen Austritt Irans aus dem Atomwaffensperrvertrag?

Mützenich: Ich denke, das sind zwei unterschiedliche Dinge. Der Iran hat hier durchaus die Möglichkeit noch einmal nachzuhaken, denn nach wie vor beinhaltet das, was die IAEA festgestellt hat, die Möglichkeit zu einem kooperativen Ansatz. Gesetzt den Fall, dass der Iran möglicherweise dieses Nichtverbreitungsregime verlässt, wäre das sehr bedauerlich und äußerst schädlich für die gesamten Abrüstungsregime, zumal der Iran meiner Ansicht nach in der Vergangenheit immer ein sehr verlässlicher Partner gewesen ist und wir ihn für die Weiterentwicklung der Rüstungskontrolle und Sicherheit in der Region brauchen.

IRNA: Aber wie würden Sie diesen Beschluss der Behörde bewerten?

Mützenich: Meiner Meinung nach ist dieser Beschluss im Hinblick auf den vorangegangenen internationalen Druck durchaus verantwortungsvoll getroffen worden. Außerdem enthält er auch Elemente, die es dem Iran ermöglichen, eventuelle Fragen des Beschlusses zu erörtern und positiv auf die Behörde einzuwirken.

IRNA: Wird diese relativ harsche Resolution, die ja von Amerika und Europa gewünscht wurde, ihrer Ansicht nach zu einer Einlenkung Teherans und zur Unterzeichnung des Zusatzprotokolls führen?

Mützenich: Eine Unterzeichnung des Zusatzprotokolls wäre meiner Meinung nach wünschenswert, da eine weitere internationale Unterstützung von Verifikation und Rüstungskontrolle von großer Wichtigkeit ist. Die iranische Seite sagt ja auch zurecht, dass gerade an den Iran im Vergleich zu anderen Ländern hohe Maßstäbe angelegt werden. Sollte der Iran das Zusatzprotokoll unterschreiben, würde ich mir wünschen, dass auch weitere Länder diesem Beispiel folgen werden. Ich weiß um die besondere Situation und das Sicherheitsempfinden auf der iranischen Seite. Aber eine Unterzeichnung des Zusatzprotokolls würde sicherlich zur Vertrauensbildung beitragen, was weiterführende Möglichkeiten einer einvernehmlichen Zusammenarbeit zwischen dem Iran und Europa, und insbesondere Deutschland, eröffnen würde.

IRNA: Die IAEA Behörde hat sich unter anderem auch mit der sehr realen Nuklearwaffenkapazität Israels und die von ihr ausgehende Gefahr für den Nahen und Mittleren Osten beschäftigt. Was bringt die Behörde zum Ausdruck mit solchen Gesprächen, was für ein Ziel verfolgt sie, und kann die Behörde überhaupt Israel zu einem Abbau seines Nuklearwaffenarsenals zwingen?

Mützenich: Ich kann da nicht für die Behörde sprechen. Aber als Parlamentarier, der sich als Mitglied des Auswärtigen Ausschuss und des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle auch mit dieser Frage befasst hat, kann ich sagen, dass ich mir bewusst bin, dass der Iran einen Zusammenhang zwischen der eigenen Situation und dem unterstellten militärischen Aspekt der Nukleartechnologie in Israel sieht. Das ist vollkommen richtig. Ich habe bei meinem Besuch in der vorletzten Woche in Teheran aber auch gelernt, dass das Sicherheitsempfinden des Iran nicht nur von einem möglichen Kernwaffenbesitz Israels geprägt wird, sondern auch von den umliegenden Ländern, wie beispielsweise dem neuen Russland und den regionalen Aktivitäten der USA im Irak und in Afghanistan. Dies ist mir durchaus bewusst. Ich würde mir wünschen, dass es im Mittleren und Nahen Osten, unter Einschluss Israels, zu einem regionalen Rüstungskontrollprozess kommt. Leider scheint mir die Situation zum jetzigen Zeitpunkt aber so verfahren, dass das momentan kaum möglich scheint.

IRNA: In wie fern wird Deutschlands Rolle in der Durchsetzung der IAEA Resolution Einfluss auf die deutsch-iranischen Beziehungen haben?

Mützenich: Ich denke, dass die deutsch-iranische Beziehungen letztlich von Traditionen, aber auch von Vertrauen geprägt sind. Bei Gesprächen im Iran habe ich immer den Eindruck gehabt, dass das deutsche Interesse und die deutsche Rolle wahrgenommen wird. Wir, von unserer Seite aus, beobachten natürlich mit einem ähnlichen Sicherheitsempfinden, wie es die iranische Seite tut, dass sich möglicherweise im Bereich der Trägertechnologie auch für Europa relevante Fragen eröffnen. Ich glaube, dass man dies nur kooperativ wird lösen können. Sollte sich der Iran auf die internationalen Atomenergiebehörde zu bewegen, denke ich, dass es auch weitere Möglichkeiten, insbesondere von deutscher Seite, gibt, sowohl den zivilen Aspekt der Nukleartechnologie mit zu bearbeiten, als auch gleichzeitig in der Frage z.B. der Anreicherung zu weiteren vertrauensbildenden Schritten zu kommen.

IRNA: Wie würden sie ihre Gespräche während ihrer Iran-Reise beurteilen?

Mützenich: Ich glaube, es wäre übertrieben zu sagen, dass ich bei den Gesprächen, die in Teheran im Rahmen der internationalen Organisation Pugwash stattgefunden haben und an denen ich teilnehmen durfte, eine besondere Rolle gespielt habe. Ich habe mir die einzelnen Positionen, insbesondere die des Irans, angehört und dabei auch die Wichtigkeit von solchen Nichtregierungsorganisationen wie Pugwash und ihren Beitrag zur Vertrauensbildung unterstrichen. Es wäre wünschenswert, dass das, was wir hier in Deutschland anbieten können, und auch, was das Parlament im Rahmen seiner Möglichkeiten anbieten kann, von der iranischen Seite auch konstruktiv aufgenommen wird. Ich denke, wir dürfen die Gespräche nicht einschlafen lassen, denn egal, welche Beschlüsse an welcher Stelle getroffen werden ? Deutschland hat eine besondere Verantwortung.

IRNA: Sind sie hoffnungsvoll, dass sich das Problem löst?

Mützenich: Es ist insbesondere wichtig, zu erkennen, dass der Iran sich bedroht fühlt und dass man das auch ernst nehmen muss. Auch wenn ich in diesem Bereich kein Experte bin, empfinde ich es dennoch als wichtig, zu erkennen, dass es viele oder einige innergesellschaftliche Kräfte im Iran gibt, deren Differenzen, insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung der zivilen Nutzung der Nukleartechnologie, meiner Meinung nach nicht groß sind. Aus diesem Grunde würde ich auch all diejenigen, die glauben dass man durch andere Maßnahmen als die der Kooperation hier etwas erreichen kann, davor warnen, dass man dieses, gerade aus innenpolitischen Gründen, nicht unberücksichtigt lassen darf. Letztlich sollten wir gerade auf diese Dinge achten. Aber ich glaube, weitere Gespräche vorausgesetzt, dass man die Hoffnung nicht aufgeben sollte. Allerdings bin ich international gesehen eher skeptisch, gerade was die Proliferation von MVW betrifft. Wenn man beispielsweise einen Blick auf Nordkorea wirft, oder das, was in der Vergangenheit in Indien und Pakistan passiert ist, ist es wichtig, dass auch der Iran zu einer Verbesserung der kooperativen Beziehungen beiträgt.