"Innenpolitischer Erdrutsch"

Interview mit Katrin Schmick
Veröffentlicht: 
WDR 2, 08.06.2015
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Nach mehr als zwölf Jahren an der Macht hat die AKP in der Türkei ihre absolute Mehrheit verloren. Von einem "innenpolitischen Erdrutsch" sprach Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, auf WDR 2.

"Es ist mit Sicherheit ein innenpolitischer Erdrutsch, der ja auch auf die AKP Einwirkungen hat und auf Erdogan", kommentiert Mützenich das Wahlergebnis auf WDR 2. Es werde insbesondere darauf ankommen, wer in Zukunft als Koalitionspartner für die AKP und für den neuen Ministerpräsidenten zur Verfügung stehe. "Offensichtlich hat sich die nationalistische Partei schon indirekt angeboten, und da würde ja auch letztlich das Wahlergebnis für ausreichen." Auf der anderen Seite dürfe man nicht verkennen: "Wenn es dazu kommt, würde ich zumindest vermuten, dass dann der Aussöhnungsprozess mit den Kurden, mit der PKK ins Stocken gerät, weil das ja nicht im Sinne der nationalistischen Partei ist."

Erdogans Stil trifft auf große Ablehnung bei den Wählern

Für Erdogan ist das Wahlergebnis auch eine persönliche Schlappe: Seine Pläne für ein Präsidialsystem sind gescheitert. Der Präsident hatte - obwohl nach der Verfassung zur Neutralität verpflichtet - heftig für die AKP Wahlkampf gemacht. Ziel war eine Zweidrittelmehrheit zum Umbau der Türkei in eine auf den Präsidenten zugeschnittene Demokratie, also auch den Ausbau von Erdogans Macht. Dem erteilten die Wähler jedoch eine Absage. Was diese Niederlage für Erdogan bedeute, sei aber heute nur schwer zu sagen, so Mützenich. "Ich glaube, er muss anerkennen, dass sein Stil, wie er damals Ministerpräsident war und heute Staatspräsident, offenbar auf starke Ablehnung innerhalb der Wahlbevölkerung stößt." Der Wähler habe letztlich sehr klug entschieden und die HDP als neues Korrektiv in die Innenpolitik der Türkei mit eingebracht. Was das alles bedeute, werde sich aber wohl erst innerhalb der kommenden Monate herausstellen. Erdogan müsse anerkennen: "Er hat eine Niederlage erleiden müssen, er hat in dem Wahlkampf ja auch aktiv eine Rolle gespielt, obwohl er das nicht darf."

Auch die wirtschaftliche Entwicklung spielt eine Rolle

Zum Erfolg der pro-kurdischen Partei HDP haben Mützenich zufolge nicht nur die kurdischen Wähler beigetragen, "sondern insbesondere auch Bevölkerungsteile, die auf Stärke, Demokratisierung und Reform gesetzt haben." Auf der anderen Seite stehe die HDP auch für den Aussöhnungsprozess, und an dieser Stelle komme es darauf an, welches Signal dann ein türkischer Ministerpräsident oder auch der Staatspräsident Erdogan in den kommenden Wochen geben werden. "Das wird eine Herausforderung sein. Ich würde auch nicht ausschließen, dass es hier zu weiteren Gesprächen mit der Vermittlung der HDP zur PKK auch kommt." Auf der anderen Seite werde auch die wirtschaftliche Entwicklung eine Rolle spielen. "Es gibt Ausgegrenzte, und die werden natürlich auch gegenüber einer neuen Regierung sehr kritisch eingestellt bleiben."