"Innenpolitischer Einschnitt mit Erdogan als Staatspräsident"
Katrin Schmick: WDR 2 ist hier, am Donnerstagmittag. Heute wird der bisherige türkische Regierungschef Erdogan als neuer Staatspräsident vereidigt und er hat angekündigt, das bisher weitestgehend repräsentative Amt mit sehr viel politischem Leben zu füllen. Für viele klingt das wie eine Drohung. Was das für die zukünftigen deutsch-türkischen Beziehungen bedeutet, die ja schon Mal besser waren, aber was es auch für die Türkei bedeutet, darüber will ich sprechen mit dem SPD-Politiker Rolf Mützenich, er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender für die Bereiche Außenpolitik, Verteidigung und Menschenrechte. Guten Tag, Herr Mützenich!
Rolf Mützenich: Guten Tag, Frau Schmick!
Schmick: Was bedeutet denn nun Erdogans Präsidentschaft für die Zukunft der Türkei?
Mützenich: Man wird es nicht alles voraus sehen können, aber ich glaube schon, dass heute ein innenpolitischer Einschnitt stattfindet. Er ist ja durchaus auch offen gewesen, was er mit diesem Präsidentenamt verbinden will. Ob es dann möglicherweise doch zu einer innenpolitischen Verschärfung über diese in Zukunft nicht nur repräsentative Funktion des Präsidenten kommen wird. Das kommt viel auch auf Erdogan an, ob er das einlöst, was er angekündigt hat, nämlich, nach seiner Wahl auch eine vermittelnde Rolle einzunehmen.
Schmick: Was vermuten Sie denn, was passieren wird?
Mützenich: Ich glaube, er wird direkt sehr deutliche machen - ob direkt ein Präsidialsystem, weiß ich nicht. Er wird wahrscheinlich die Stellung der AKP in der Innenpolitik der Türkei weiter stärken wollen, darauf ist er natürlich auch letztlich angewiesen, um weiterhin Zuspruch zu bekommen. Es sind ja auch immer wieder Wahlen, es sind Kommunalwahlen. Aber es wird ja irgendwann dann auch darum gehen, die Mehrheit im Parlament zu sichern. Und es kommt zum zweiten darauf an, ob er die Verfassung ändern wird und mit wem er das tun wird. Angedeutet war ja, das mal mit den kurdischen Fraktionen im Parlament zu tun, aber dafür braucht er die Aussöhnung.
Schmick: Schauen wir mal ein bisschen Richtung Europa. Das europäisch-türkische Verhältnis, beziehungsweise ein möglicher EU-Beitritt der Türkei - rückt der näher oder ferner?
Mützenich: Man sollte ihn auf jeden Fall weiterhin verhandeln, denn die Messlatte dafür ist ja letztlich - und das sind die Kapitel, die nach meinem Dafürhalten auch geöffnet werden müssen - nämlich die Frage der Menschenrechtsstandards, insbesondere auch die Freiheitsrechte, die gesichert werden müssen und da wird es ja letztlich darauf ankommen, ob er die Worte, die Erdogan gestern gegenüber der Richterschaft gefunden hat, letztlich verwirklich. Das würde aus meiner Sicht einen Rückschritt bedeuten. Aber ich finde durchaus, dass wir weiterhin offen darüber diskutieren sollten, denn es gibt auch immer noch, auch, wenn es nicht mehr eine große Mehrheit ist, die, die noch Hoffnung haben, dass sich die Türkei durch den EU-Beitritt noch demokratischer entwickelt, als sie das in der Vergangenheit getan hat.
Schmick: Aber das mit der offenen Diskussion ist ja immer so eine Sache mit Erdogan. Der ist ja ein bisschen unberechenbar. Manchmal watscht er Politiker ja auch einfach so ab, gerade deutsche Politiker. Ich sag mal, Bundespräsident Gauck, das war ja alles nicht so lustig. Wie wird sich das Verhältnis zu Deutschland, vielleicht auch weiter abkühlen?
Mützenich: Es wird nicht einfach werden, aber wir dürfen natürlich auch nicht verkennen: Er hat eine starke Stellung, aber er ist ja auch nicht alleine im politischen System. Und es gibt auch durchaus innerhalb der AKP, zumindest sind diese Politiker mir begegnet, kritische Geister, auch Reformgeister, die ja auch stark auf Herrn Ghül, den bisherigen Präsidenten gesetzt haben, der aufgrund des Parteitages, weil der gestern angesetzt war, nicht dabei sein konnte, weil er muss ja neutral sein, der Präsident. Und von daher glaube ich schon, dass es eine spannende innenpolitische Debatte gibt, die möglicherweise auch auf die AKP ausstrahlen wird.
Schmick: Wohin geht die Reise der Türkei unter dem neuen Präsidenten Erdogan? Vielen Dank an den SPD-Politiker Rolf Mützenich.