"Wir haben wenig Möglichkeiten"

Interview mit Alexander Schmidt-Hirschfelder
Veröffentlicht: 
rbb Inforadio, 23.12.2015
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MdB Rolf Mützenich (SPD) sieht angesichts des militärischen Vorgehens Ankaras gegen die PKK ein Glaubwürdigkeitsproblem der EU, betont aber die Notwendigkeit des Dialogs mit der Türkei

Schmidt-Hirschfelder: ... Mehr als Sorgen können wir uns wohl nicht machen, wenn die türkische Armee seit Tagen eine Militäroffensive gegen die kurdische Terrororganisation PKK durchführt... Wir sehen nur achselzuckend zu, denn die Türkei ist jetzt unser Partner in der Flüchtlingspolitik...

Mützenich: Ich glaube, es war gut gewesen, dass die EU-Außenbeauftragte und der deutsche Außenminister in der vorvergangenen Woche protestiert haben bei der Verhaftung von Journalisten und auch gegen Verstöße gegen die Medienfreiheit vorgegangen sind. Auf der anderen Seite musste man bei dieser Gelegenheit leider feststellen, dass Erdogan ... achselzuckend darauf reagiert hat und gesagt hat, diese Kritik tangiert uns nicht. Das ist ein gewisser Widerspruch. Und wir haben wenig Möglichkeiten, auf das Regierungshandeln in der Türkei unmittelbar Einfluss zu nehmen. Immerhin hat die AKP auch eine deutliche Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in der Türkei bekommen.

Schmidt-Hirschfelder: Zahlen die Menschen in der Südosttürkei jetzt den Preis dafür, dass Erdogan unser alternativloser Partner ist?

Mützenich: Ich glaube, sie zahlen eher dafür, dass Erdogan - und das war ja auch die Wahlkampfstrategie ... gewesen - durchaus Unsicherheit im eigenen Land für sich gebraucht hat, um auch einen größeren Zuspruch zu bekommen. Und offensichtlich will er das Kurden-Problem erneut mit Gewalt lösen. Das wird nicht funktionieren. Es wird eher Widerstand provozieren.

Auf der anderen Seite muss man feststellen, auch die PKK hat gegen den Waffenstillstand damals verstoßen. Sie hat zwei Polizisten erschossen, was durchaus zur Gewaltspirale mit beigetragen hat.

Schmidt-Hirschfelder: ... Jetzt haben wir gerade erst wieder weitere Beitrittsverhandlungskapitel eröffnet mit der Türkei. Es werden Journalisten unliebsamer Art ins Gefängnis gesteckt. Hat die EU da nicht grundsätzlich jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Mützenich: Insbesondere hat die EU deswegen ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil die Regierungen, die ja die EU unter anderem bilden, in den vergangenen Jahren offensichtlich zu wenig eigentlich dafür getan haben, die Türkei einzubinden in die Schmidt-Hirschfelder der privilegierten Partnerschaft, die vonseiten der CDU/CSU ausging, oder die Franzosen, aber auch in Zypern, wo die Beitrittskapitel eben verhindert wurden. Vielleicht hätte das das eine oder andere besser gestaltet. Zumindest hätten die Sanktionsapparate besser funktionieren können innerhalb der Europäischen Union. Ich weiß, es ist müßig, darüber zu diskutieren. Jetzt müssen wir aus dieser Situation versuchen, das Beste zu machen.

Ich glaube, es wäre falsch, jetzt wieder das Beitrittskapitel, das Wirtschaftskapital zu schließen. Wir brauchen einfach den Dialog. Und wir müssen insbesondere versuchen, uns auch als Partner anzubieten, vielleicht auch als Verhandlungspartner zwischen den Kurden und der türkischen Regierung.

Schmidt-Hirschfelder: ... Die Opposition im Bundestag fordert, dass wir jetzt keine Rüstungsprodukte mehr in die Türkei liefern...

Mützenich: Ich bin sicher, dass die Menschenrechtslage auch in Neugenehmigungen Einfluss finden wird, insbesondere, wie auch der Fortschrittsbericht der Europäischen Union ja vor wenigen Wochen festgestellt hat, dass sich die Menschenrechtslage verschlechtert. Auf der anderen Seite übersieht das Argument auch den Fakt, dass die Türkei mittlerweile stärker autark geworden ist im Rüstungsbereich...

Schmidt-Hirschfelder: Aber für uns gibt es ja Richtlinien zu Waffenexporten. In Krisen- und Kriegsgebiete dürfen wir nicht liefern. Was machen wir da bei dem Fall der Türkei?

Mützenich: Deswegen bin ich auch ganz persönlich immer wieder der Meinung, das muss stärker noch auch in Entscheidungen einfließen. Aber ich bin zum Beispiel auch dankbar, dass der Wirtschaftsminister gerade auch bei Kleinwaffen in den vergangenen Monaten viel restriktiver vorgegangen ist. Bestimmte Lieferungen, die erfolgt sind zur Türkei, waren vor einigen Jahren entschieden worden.