"Im Gespräch bleiben"

Interview mit Katharina Schuler
Veröffentlicht: 
ZEIT online, 31.08.2006
Thema: 
Wie weiter nach Ablauf des Iran-Ultimatums?

Im Irankonflikt muss eine Eskalation vermieden werden, fordert der SPD-Außennpolitiker Mützenich. Die USA seien Teil der Lösung, aber auch des Problems

Katharina Schuler: Der Iran ist nicht bereit, die Forderung nach einer Einstellung der Urananreicherung zu erfüllen. Die USA drängen jetzt auf schnelle Sanktionen. Sollte sich Deutschland dem anschließen?

Rolf Mützenich: Wir müssen darauf achten, dass Deutschland und die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, also die USA, Frankreich, Russland, Großbritannien und China, an einer gemeinsamen Antwort und auch an einer gemeinsamen Strategie arbeiten.

Schuler: Aber die enge Verbundenheit mit den USA, die Deutschland in den letzten Monaten demonstriert hat, könnte für Deutschland weitreichende Konsequenzen haben.

Mützenich: Ohne die USA können sie aber nicht viel machen. Die USA sind Teil der Lösung, aber auch Teil des Problems. Sie müssten sich überlegen, ob nicht ein näherer Kontakt zum Iran hilfreich sein könnte. Außerdem täten sie gut daran, sich von ihrem Gut-Böse-Schema zu lösen, das hat in dem Zusammenhang und nach den Erfahrungen im Irak eigentlich keinen Platz mehr.

Schuler: Die USA haben bereits angedeutet, dass sie Sanktionen notfalls auch ohne UN-Resolution durchsetzen wollen, mit den Ländern, die dazu bereit sind. Sollte Deutschland sich an einer solchen neuen "Koalition der Willigen" beteiligen?

Mützenich: Ich plädiere immer für eine Koalition der Vernunft und nicht der Willigen. Die bedeutet ja, dass man das Instrumentarium der Vereinten Nationen, insbesondere den völkerrechtsverbindlichen Teil, überhaupt nicht nutzt, und die bisherige Koalition der Willigen hat dokumentiert, dass sie internationale Konflikte nicht lösen kann. Im Übrigen: Wenn man Sanktionen befürwortet, die über den Konsens des Sicherheitsrates hinausgehen, braucht man erst mal eine Antwort darauf, was das für Sanktionen sein könnten.

Dieses Regime steht ja seit der letzten Revolution unter einem Sanktionskatalog und Sanktionsdrohungen. Beispielsweise drohen die USA Firmen, die eine Kooperation mit Iran suchen, mit Konsequenzen für den inneramerikanischen Handel. Wenn man allerdings tatsächlich an die Erdöllieferungen heranginge, müsste man natürlich mit einem noch höheren Ölpreis rechnen. Ob das eine Mehrheit tatsächlich in Kauf nehmen würde, ist fraglich.

Schuler: Trotzdem könnten die USA Wege jenseits einer gemeinsamen UN-Resolution  gehen, weil China und Russland blockieren.

Mützenich: Ich hätte die Priorität, das über die Uno zu lösen und glaube auch, dass es da Chancen gibt. Ich hätte vor einem Jahr nicht erwartet, dass Russland und China zusammen mit den anderen Ländern soweit gehen würden, eine verbindliche Sicherheitsratsresolution  mit auf den Weg zu bringen. Ich traue China und Russland durchaus weitere Sanktionen zu. Die haben zwar Handels- und Wirtschaftsaspekte im Auge, Russland hat aber auch kein Interesse daran, an seiner Südflanke einen Staat zu haben, der möglicherweise über Atomwaffen verfügt.

Schuler: Welches Szenario steht bevor, wenn Iran auf die nun zu verhängenden Sanktionen nicht reagiert?

Mützenich: Das negativste wäre  natürlich ein Krieg. Schlecht wäre aber auch die Stufe darunter. Wenn also alle überhaupt noch bestehenden Kontakte zu Iran abgebrochen würden und eine Politik der Eindämmung versucht würde, wie es die früher im Ost-West-Konflikt gab. Stattdessen sollte man sich bemühen, im Iran die Kräfte zu stärken, die weiter an einer internationalen Zusammenarbeit interessiert sind. Die Kompromisslinien müssen ausgetestet werden, und das können sie nur, wenn man weiter im Gespräch bleibt.
Dieses Regime macht es einem nicht leicht. Aber trotzdem muss man diesen Weg gehen, wenn man keine Katastrophe heraufbeschwören will.

Schuler: Haben sich die Amerikaner nichts längst für einen Krieg entschieden?

Mützenich: Ich glaube nicht, dass die Bush-Administration das Gefühl hat, hier sei wirklich Gefahr im Verzug. Zwar findet die Urananreicherung statt. Aber die Iraner haben weder den hohen Anreicherungsgrad noch das Material, das sie bräuchten, um eine Atombombe zu bauen. Gegen eine militärische Aktion spricht aber auch die innenpolitische Stimmung in den USA. Die ist heute ganz anders als vor dem Irak-Krieg.

Schuler: Warum darf  Iran nicht, was man Pakistan und Indien notgedrungen zugestanden hat?

Mützenich: Iran gehört zu den Erstunterzeichnern des Atomwaffensperrvertrages, das wird gerne vergessen. Indien und Pakistan haben dagegen nie unterzeichnet, die Nordkoreaner sind ausgestiegen. Problematisch ist aber auch, dass auch die offiziellen Atommächte sich zum Teil nicht mehr an den Vertrag halten. Sie haben sich nämlich zur Abrüstung verpflichtet, dem kommen sie aber nicht mehr nach. Auch die, die jetzt verhandeln, haben also ein paar unbeglichene Beträge auf ihrer Rechnung.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Abrüstungsfragen.