"Die Führung des Irans hat sich verkalkuliert"

Interview mit Uwe Lueb
Veröffentlicht: 
SWR 2 - Tagesgespräch, 17.06.2009
Thema: 
Iran nach den Wahlen

Uwe Lueb: Haben Sie Kontakt zu Ihren Kollegen, zur Abgeordneten im Iran, und was hören Sie von denen?

Rolf Mützenich: Nun, das habe ich versucht und es gab einen Kontakt. Im Grunde genommen erfährt man von denen dasselbe, was man auch in den Bildern sieht, was man im Internet erfährt, aus der Berichterstattung in den Zeitungen, im Radio. Dass die Situation schon aufgewühlt ist bei den Menschen. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch sehen, das Parlament ist nicht unbedingt von vielen Reformern sozusagen besetzt.

Lueb: Im Iran unterdrückt ein Diktator sein Volk und die Welt schaut zu. Sehen Sie das auch so?

Mützenich: Nein, das sehe ich nicht so. Es ist kein Diktator in dem Sinne in diesem System, was ein ganz besonderes System seit 1979 ist, seit der Revolution von Chomeini. Es gibt eben auch das Instrument der Wahlen und es gibt insbesondere offensichtlich ein politisches System, was auf verschiedene Einflüsse setzt, was auf verschiedene Gremien setzt. Und ich glaube, es passiert hinter den Kulissen immer ein sehr starker Aushandlungsprozess. Und ich glaube insbesondere, dass diese Demonstrationen jetzt dort stattfinden und dass man sich eben nicht traut, auch so massiv möglicherweise mit einem großen Polizeiaufgebot dort gegen vorzugehen, heißt ja schon, dass auch das Regime verunsichert ist.

Lueb: Ihr Parteifreund, Bundesaußenminister Steinmeier, hat die Sicherheitskräfte im
Iran aufgefordert, Gewalt gegen Demonstranten zu beenden. Glaube Sie, dass er im Iran gehört wird?

Mützenich: Das glaube ich schon. Weil die Menschen sind über die Situation in der internationalen Öffentlichkeit informiert. Genauso wie wir über das Internet teilweise Informationen bekommen, so bekommen natürlich auch insbesondere junge Menschen und diejenigen, die überhaupt über dieses Instrument verfügen, diese Informationen aus dem Ausland. Und deswegen ist es gut, wenn wir weiterhin über diese Dinge berichten und auch unsere Forderungen stellen. Insbesondere eben, dass die Wahlen anerkannt werden und insbesondere jede Stimme, die abgegeben worden ist, anerkannt wird.

Lueb: Glauben Sie denn, dass letztlich Deutschland oder die EU die Ereignisse im Iran beeinflussen kann, oder ist die übrige Welt am Ende nicht doch relativ machtlos?

Mützenich: Ja, aber auf der anderen Seite muss man doch sehen, dass überhaupt eine Reaktion darauf international stattfindet, scheint ja auch die dortigen Machthaber beeindruckt zu haben. Und ich glaube, das Kalkül ist eben nicht aufgegangen, dass diese Unregelmäßigkeiten nicht auffallen. Und ich bin doch manchmal etwas verwundert, wie man wohl geglaubt hat, diese Unregelmäßigkeiten, auf die ja sehr frühzeitig hingewiesen worden ist, doch so massiv unternommen hat. Ich glaube, da liegt ein Kalkül vor, was zum Schluss nicht aufgegangen ist.

Lueb: Was muss, was soll von außen weiter passieren. Soll Druck auf den Iran aufgebaut werden. Oder sagen Sie, die symbolische Unterstützung der Reformer sowie bis jetzt, die ist o.k. und mehr ist nicht nötig?

Mützenich: Ich glaube noch nicht mal, dass es nur eine symbolische Unterstützung ist, sondern wir haben ja zum Beispiel darauf gedrungen, dass eine freie Medienberichterstattung stattfindet. Und das ist ja zum Schluss auch wieder geschehen, dass Oppositionelle, die verhaftet worden sind, auch wieder freigelassen werden - auch dies ist teilweise leider nur geschehen. Das ist schon mal wichtig und ich glaube, wir müssen auch weiterhin im Dialog bleiben. Präsident Obama hat die richtigen Worte gefunden. Er hat gesagt, diese Unregelmäßigkeiten müssen aufgeklärt werden. Wir wollen aber insgesamt mit dem gesamten Iran weiter im Dialog bleiben und genau ? glaube ich ? das ist der richtige Ansatz.

Lueb: Der Wächterrat im Iran hat versprochen, die Präsidentenwahl von vergangener Woche zu überprüfen und teilweise neu auszählen zu lassen. Einige befürchten allerdings, dass ist nur eine Farce. Glauben Sie das auch?

Mützenich: Nun, der Wächterrat ist natürlich ein Gremium, was auch diese Kandidaten unter anderem mit ausgewählt hat, eigentlich richtige Reformer im Vorhinein abgelehnt hat. Aber damit waren wir schon immer konfrontiert gewesen bei den Wahlen, auch bei früheren Wahlen, die dort stattgefunden haben. Der Wächterrat ist kein unabhängiges Gremium, aber nach meinem Dafürhalten ist auch diese Methode gewählt worden, um hinter den Kulissen einige Tage Zeit zu haben, um Kompromisse auszuhandeln zwischen den verschiedenen Fraktionen. Und das müssen wir einfach feststellen, es gibt zurzeit ein System, wo man eben sieht, es gibt ganz viele unterschiedliche Gruppen. Und es ist unter anderem ein Machtkonflikt zwischen diesen.

Lueb: Wie schätzen Sie die Zukunft des Iran ein. Werden die Reformer Ahmadinedschad besiegen?

 Mützenich: Die Zukunft des Iran wird sich daran messen lassen, wie die wirtschaftlichen und sozialen Probleme gelöst werden. Und da gibt es unterschiedliche Ansätze. Ahmadinedschad hat in den letzten Jahren sehr stark dazu gegriffen, Einnahmen, die der Haushalt über Erdöleinnahmen zum Beispiel, hat andere Dinge im Land für Wohltaten, insbesondere für individuelle Wohltaten, zur Verfügung zu stellen. Aber das wird nicht ausreichen. Und das sehen wir ja auch an den Fernsehbildern, dass insbesondere im Iran Menschen unterwegs sind, junge Menschen, Frauen unterwegs sind, die Freiheitsrechte einfordern, soziale Rechte einfordern, und sich insbesondere Gedanken um ihre Zukunft machen. Und scheinbar hat die Regierung Ahmadinedschad für einen großen Teil der iranischen Menschen nicht diese Antworten bereit und man will eben auch die Außenkontakte ins Ausland haben, insbesondere auch in die USA.