"Der Friedensprozess hat derzeit keine Chance"
Gerd Breker: Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Bundestagabgeordneten Rolf Mützenich, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für den Nahen Osten. Guten Abend, Herr Mützenich.
Rolf Mützenich: Guten Abend, Herr Breker.
Breker: Die Welt bemüht sich, den ins Stocken geratenen Friedensprozess im Nahen Osten wieder in Gang zu bringen, da genehmigt die Regierung von Netanjahu den Bau von weiteren 900 Wohnungen in Ostjerusalem. Auf diese Art, Herr Mützenich, werden nicht nur die Palästinenser provoziert.
Mützenich: Nein, ich glaube das ist eine Provokation insgesamt an die internationale Gemeinschaft, die sich ja nun in den letzten Jahren wirklich bemüht hat, einen Prozess ? ich will eigentlich gar nicht mehr vom "Friedensprozess" sprechen - wieder anlaufen zu lassen und gerade Präsident Obama hat eine Menge dafür getan. Ich denke schon, das ist eine Ohrfeige auch von Israel in Richtung USA.
Breker: UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nennt diesen Siedlungsbau in Ostjerusalem "illegal". Hat er Recht? Verstößt er gegen internationales Recht?
Mützenich: Nun, er verstößt insbesondere gegen den Oslo-Prozess, der wichtig gewesen ist, um überhaupt ein geregeltes Verhältnis zwischen Palästinensern und Israel auf der einen Seite zu entwickeln, aber auch zur arabischen Welt. Und es war durchaus schon ein großer Fortschritt, als die Arabische Liga, also alle arabischen Staaten, Israel Frieden in den Grenzen von 1967 angeboten haben. Und dies ist mittlerweile nachhaltig zerstört. Es gibt kein Vertrauensverhältnis mehr. Wenn der saudische Prinz gegenüber Präsident Sarkozy davon spricht, dass hier Präsident Obama versagt hat, den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen, ist das durchaus eine schwierige Situation.
Breker: Die Palästinenser haben den Stopp des Siedlungsbaus zur Voraussetzung ihrer Rückkehr an den Verhandlungstisch gemacht. Können sie angesichts dieser Entscheidung von heute überhaupt noch zurück kehren, ohne ihr Gesicht zu verlieren?
Mützenich: Nein, auf keinen Fall. Ich glaube, das kann auf dieser Grundlage nicht gelingen. Präsident Abbas hat das ja auch sehr stark signalisiert, als er gesehen hat, dass Israel den Ausbau von Siedlungen nicht beendet. Er hat gesagt, auf dieser Grundlage kann er nicht zu Gesprächen kommen. Und das ist einfach die entsprechende Reaktion. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf dieser Grundlage in Zukunft weitere Fortschritte erreicht werden können.
Breker: Palästinenserpräsident Abbas will aufgrund von Frustration über den stockenden Friedensprozess möglicherweise nicht mehr als Präsident kandidieren. Werden auf diese Art nicht die radikalen Palästinenser, insbesondere die Hamas, gestärkt?
Mützenich: Ja, auf jeden Fall. Das ist offensichtlich auch intendiert und ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob möglicherweise nicht auch der Eine oder Andere am Kabinettstisch in Israel diese Folge durchaus provozieren will. Das muss man immer mit kalkulieren, gerade in dieser Situation. Ich glaube, die internationale Gemeinschaft wäre gut beraten, weiterhin auf die Kräfte in Palästina zu setzen, die auch versuchen wollen, einen Friedensprozess mit anzuschieben. Aber die Situation ist total verfahren. Insbesondere, wenn es zu weiterem Ausbau von Siedlungen - und das ist ja nicht nur in Ostjerusalem der Fall - kommt, wird es hier überhaupt nicht zu weiteren Erfolgen kommen. Und das ist auch für die europäische Situation sehr schwierig. Ich erwarte auch in den nächsten Tagen eine entsprechende Reaktion von Europa und natürlich auch von der deutschen Bundeskanzlerin.
Breker: Die Vereinten Nationen protestieren, die Europäische Union protestiert. Das muss Netanjahu nicht sehr kümmern, aber Einfluss haben die Amerikaner. Obama, sie haben ihn angesprochen, zeigt sich verärgert. Reicht das denn aus?
Mützenich: Nein, auf keinen Fall. Ich glaube dennoch, unabhängig davon, dass die USA natürlich Einfluss haben, kann Europa auch hier etwas tun. Wir stehen in einem wichtigen Austausch, insbesondere auch Assoziierungsfragen mit der Europäischen Union. Die müssen angesprochen werden. Und ich glaube ,da ist eine deutliche Sprache auch von Seiten Europas erforderlich. Präsident Obama wird nach meinem Dafürhalten das Richtige tun. Er hat natürlich auf der anderen Seite auch ein Problem, weil die Äußerung seiner Außenministerin Clinton, dass man auch auf der Grundlage eines weitern Siedlungsausbaus zu Gesprächen kommen muss, vielleicht die eine oder andere Reaktion in Israel provoziert hat.
Breker: Warum fühlt sich eigentlich der israelische Ministerpräsident Netanjahu so stark? Weiß er darum, dass die USA Israel brauchen, etwa mit Bezug auf das iranische Atomprogramm?
Mützenich: Unter anderem. Er weiß natürlich auch, um starke Interessen, die in den USA existieren. Das sind ja nicht nur jüdische Organisationen, die sich sehr stark für Israel in den innenpolitischen Verhältnissen engagieren. Er weiß auch um die innenpolitische Schwäche des amerikanischen Präsidenten zum jetzigen Zeitpunkt. Darüber ist er nicht nur im Bilde, sondern möglicherweise auch an der einen oder anderen Stelle mit beteiligt. Von daher sieht er sich in einer starken Position. Nur langfristig glaube ich, ist dies überhaupt nicht im Interesse Israels. Israel braucht den Frieden mit den Palästinensern und insbesondere auch mit den arabischen Nachbarn.
Breker: Hat die Zwei-Staaten-Lösung überhaupt noch eine Chance? Die muss doch zur Sackgasse werden, denn die Palästinenser wollten doch Ostjerusalem als Hauptstadt haben.
Mützenich: Ja, das muss man natürlich zum jetzigen Zeitpunkt so sagen. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch keine realistische Alternative zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Israel wird mit Sicherheit kein Interesse daran haben, eine Politik zu verfolgen, wo innerhalb eines Staates auch die Palästinenser gleichberechtigt sind. Ich erinnere nur an den Wahlkampf gegenüber dem arabischen Bevölkerungsteil innerhalb Israels, wo ja zum Beispiel der jetzige israelische Außenminister Liebermann mit sehr harten Tönen rübergekommen ist. Ich glaube, insbesondere von palästinensischer Seite ist eine Zwei-Staaten-Lösung notwendig. Andererseits muss man hier sehen, dass die Palästinenser nicht am gleichen Strang ziehen. Wir haben immer noch die Konfrontation zwischen Hamas und Fatah und auch hier ist dringend eine Verständigung notwendig.
Breker: Also lernen wir daraus, Herr Mützenich, der Friedensprozess hat derzeit keine Chance. Dagegen steht die Uneinigkeit der Palästinenser und dagegen steht diese Regierung Netanjahu.
Mützenich: Es sieht leider so aus.