"Europäer dürfen nicht beleidigt sein"

Interview mit Stefan Sauer
Veröffentlicht: 
Frankfurter Rundschau, 6.1.2012
Thema: 
Die USA ändert ihre Strategie und konzentriert sich künftig mehr auf den pazifischen Raum. SPD-Politiker Mützenich sieht darin auch Chancen für Europa.

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, sieht in der neuen geostrategischen Hauptausrichtung der USA auf den pazifischen Raum eine Chance für die Europäische Union, das außen- und sicherheitspolitische Profil der Staatengemeinschaft zu schärfen.

Stefan Sauer: Herr Mützenich, US-Präsident Obama will den Schwerpunkt der Verteidigungspolitik in den pazifischen Raum verlagern. Spielt Europa für Washington künftig nur noch eine untergeordnete Rolle?

Rolf Mützenich: So würde ich das nicht formulieren. Die USA wenden sich noch stärker als bisher dem asiatischen Raum zu, weil der Kalte Krieg seit 20 Jahren vorüber ist und die asiatischen Länder an Bedeutung in der Weltpolitik stark gewonnen haben.

Obama zieht zugleich die nachvollziehbare und richtige Konsequenz aus politischen Irrtümern und Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre. Die Bush-Administration hat eine Überrüstung betrieben und sich auf militärische Mittel in der Außenpolitik konzentriert. Dieses Vorgehen hat den außen- und sicherheitspolitischen Handlungsspielraum der USA in der Weltpolitik aber nicht gestärkt, dafür aber immens viel Geld gekostet.

Deshalb betont der Präsident, völlig zu recht, wie ich finde, nun Kooperation und Dialog als Mittel der Außenpolitik, um die internationale Führungsrolle der USA wieder zurück zu gewinnen.

Sauer: Am Bedeutungsverlust Europas ändert das nichts.

Mützenich: Europa darf auf die Veränderungen nicht beleidigt reagieren, sondern sollte die politischen Chancen nutzen, die sich daraus ergeben. Die Europäische Union sollte dem amerikanischen Präsidenten zügig Angebote machen, in welchen Bereichen beide Partner gemeinsam agieren können: bei der Bewältigung der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, beim Umbruch in der arabischen Welt, dem Konflikt zwischen Israel und Palästina und im Verhältnis zu Russland und China.

Sauer: Werden die Europäer bei regionalen Konflikten künftig mehr auf sich allein gestellt sein?

Mützenich: Ein klares Ja. Die europäische Außen- und Sicherheitspolitik wird weitgehend allein Krisen im unmittelbaren Umfeld bewältigen müssen. Es wird unsere gemeinsame europäische Aufgabe sein, die friedliche Entwicklung auf dem Balkan zu fördern, Streitigkeiten über die Ausbeutung von Rohstoffen im östlichen Mittelmeer zu regeln und die Türkei angesichts der Entwicklung rund um das Mittelmeer in Europa zu integrieren.

Sauer:Vonseiten der Bundesregierung ist bisher nicht viel zu dem Thema zu vernehmen.

Mützenich: Leider hat die Bundesregierung derzeit nicht die Kraft, diese strategischen Herausforderungen anzunehmen. Der Außenminister ist weder in der Lage, die richtigen Anstöße für die europäische Außenpolitik zu geben, noch die Partnerschaft zu den USA fortzuentwickeln.

Sauer: Vielleicht hört ihm derzeit aufgrund anderer Ereignisse nur niemand richtig zu?

Mützenich: Das mag im Einzelfall so sein, der Hauptgrund aber ist die Sprachlosigkeit von Herrn Westerwelle. Leider findet er keine Antworten auf die Herausforderungen, vor denen die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik steht.

Es ist doch peinlich, dass die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton seit Monaten mit deutlichen Worten die ungarische Regierung vor den Konsequenzen ihrer nationalistischen und demokratiefeindlichen Politik warnt, der deutsche Außenminister aber erst von seinem Parteifreund Graf Lambsdorff zum politischen Handeln aufgefordert werden muss.