"Ich erachte das für unhaltbar"
Thüringer AIlgemeine: Ist es angeraten, einem Land, das gestern noch Schurkenstaat war, morgen ein Atomkraftwerk hinzustellen?
Rolf Mützenich: Ich halte das für problematisch, insbesondere wenn man Libyen an die EU heranführen will. Ob man das gerade mit Atomtechnologie machen kann, ist zu bezweifeln, weil wir ja wissen, dass Libyen unter diesem Staatschef vor einigen Jahren versucht hat, sich eine Kernwaffenoption zu sichern. So wird jetzt die amerikanische Argumentation gegen ein AKW im Iran immer brüchiger.
Thüringer AIlgemeine: Sollten deutsche Firmen einen Wettlauf mit französischen Firmen um Lieferungen von Atomkraftwerken nach Libyen aufnehmen?
Rolf Mützenich: Ich halte das nicht für ratsam. Ich bin überzeugt, dass gerade Deutschland fragen muss, was mit diesem Kernkraftwerk dort passieren kann.
Thüringer AIlgemeine: Die EU-Kommission erklärte, die Lieferung sei eine Angelegenheit zwischen Libyen und Frankreich. Ist diese Position politisch vertretbar?
Rolf Mützenich: Ich erachte das für unhaltbar, insbesondere deshalb, weil wir in der EU von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sprechen. Da sollte die EU-Kommission schon selbstbewusst genug sein, darauf hinzuweisen, dass das eine Angelegenheit der ganzen Union ist.
Thüringer AIlgemeine: Paris heimst die Lorbeeren monatelanger Verhandlungen zur Freilassung der Krankenschwestern ein. Ist von deutscher Seite erkennbar, dass man mit ähnlicher Dynamik in die neue Ära geht?
Rolf Mützenich: Das finde ich schon. Deutschland hat ja relativ gute Kontakte nach Tripolis. Die Frage dabei ist, dass man sie immer mit den Dingen abstimmt, die das Feld der Menschenrechte betreffen und die Frage der atomaren Sicherheit.
Thüringer AIlgemeine: Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass Gaddafi sich mit den 400 Millionen, die angeblich fließen, für die Freilassung der fünf Frauen und des Arztes die Strafzahlungen für den Lockerbie-Anschlag und andere Terrorakte zurückholt.
Rolf Mützenich: Man kann das so sehen, man muss es aber nicht. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass Libyen auch wieder in die Gemeinschaft der Staaten zurückgeholt wird. Da muss man alles dafür tun. Es darf aber aus meiner Sicht nicht so geschehen, wie es der französische Staatspräsident getan hat.