Deutsche Eingreiftruppe nach Afghanistan

Interview mit Cordula Denninghoff
Veröffentlicht: 
WDR 5 Morgenecho, 07.02.2008
Thema: 
Streit um Afghanistaneinsatz in der NATO

Cordula Denninghoff: Deutschland will eine schnelle Eingreiftruppe in den Norden Afghanistans schicken. Aber nicht mehr. Die Aufforderung der USA, auch Soldaten in den umkämpften Süden des Landes zu entsenden, hat die Bundesregierung abgelehnt. Dafür wird Verteidigungsminister Franz Josef Jung heute und morgen wahrscheinlich viel Kritik bekommen beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister im litauischen Vilnius. Rolf Mützenich ist abrüstungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. - Guten Morgen, Herr Mützenich!

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Denninghoff!

Denninghoff: Verdrängt Franz Josef Jung mit seinem Nein die Wirklichkeit in Afghanistan?

Mützenich: Nein, das glaube ich nicht, sondern er reflektiert ja eigentlich eine Aufgabenteilung, die wir seit mehreren Jahren in Afghanistan vorgenommen haben. Es gibt bestimmte Führungsnationen, und Deutschland hat nun mal die Verantwortung dort übernommen. Und ich glaube, es ist richtig, dass wir dort eben, wenn wir Verantwortung übernehmen, auch mit allen Kräften aktiv sind.

Denninghoff: Ist es fair, wenn nicht alle Truppen die gleichen Einsatzregeln haben? Müssen Lasten und Risiken und auch die Verantwortung nicht gemeinsam getragen werden?

Mützenich: Das tun wir ja auch. Und ich glaube, die Einsatzregeln, das ist ja genau der Punkt, müssen eigentlich angepasst werden einer Wirklichkeit, die nämlich manchmal in den letzten Tagen aus meiner Sicht falsch dargestellt worden sind. Dieser Konflikt ist nicht militärisch zu gewinnen, er ist letztlich nur politisch zu lösen. Und es mangelt an einem politischen Konzept, auch der Nato. Ich glaube, es wäre gut, wenn die Bündnispartner, die immer wieder täglich mit neuen Briefen die Bundesregierung zu irgendwas aufrufen, auch an einer gemeinsamen politischen Strategie mitarbeiten. Afghanistan ist durch einen Bürgerkrieg, ist durch eine sowjetische Invasion, aber natürlich auch durch die Invasion internationaler Truppen nach den Anschlägen am 11. September 2001 immer wieder in kriegerische Auseinandersetzungen einbezogen worden. Also wir werden das nicht militärisch gewinnen. Deswegen glaube ich diskutieren wir zurzeit auf dem falschen Feld.

Denninghoff: Heißt das, Deutschland lehnt die Afghanistan-Strategie der Nato ab?

Mützenich: Zumindest lehnt Deutschland, ich kann da auch jetzt nur für meine Fraktion sprechen, es so ab, dass wir alleine mit militärischen Möglichkeiten natürlich auch auf Terroristen einwirken müssen, aber auf der anderen Seite geht es doch sehr stark darum, die lokalen Akteure und Strukturen auch einzubeziehen. Und wenn zum Beispiel der afghanische Präsident Karsai vor wenigen Tagen sagte, er braucht nicht mehr Truppen, sondern er braucht mehr politische Unterstützung für seine Maßnahmen, dann, glaube ich, ist das genau der richtige Ansatz, wo dann auch die internationale Gemeinschaft und wo auch Deutschland mithelfen sollte. Und in
unserem Verantwortungsbereich wird dies ja auch versucht.

Denninghoff: Trotzdem ist es natürlich so, dass im Süden Afghanistans gekämpft wird. Die Nato ist dort im Einsatz. Und kann denn Deutschland dann einfach sagen, na ja, wir lehnen das ab, wir gehen da jetzt nicht hin, wir beharren auf unserer Sonderrolle? Da sagt die Nato natürlich, das ist mangelnde Solidarität.

Mützenich: Wir haben keine Sonderrolle. In ganz Afghanistan wird gekämpft, nur natürlich gibt es unterschiedliche Regionen, auch mit unterschiedlichen Belastungen. Dies ist gar keine Frage. Wir haben uns damals für den Norden entschieden, das hat die Nato auch begrüßt, das wollte sie, dass Deutschland in diese Situation geht. Wir haben als Erste für diese Provinz-Aufbauteams gesorgt, wo sich dann andere Staaten in ihrem Verantwortungsbereich auch angepasst haben, weil eben der zivile und der militärische Bereich so wichtig gewesen sind. Und das heißt, wir haben uns nicht aus dieser Solidarität herausbewegt, sondern wir sind daran interessiert, dass es eine gemeinsame politische Strategie gibt. Die britischen Truppen haben zum Beispiel in ihrem Verantwortungsbereich versucht, auch mit ausstiegsbereiten Taliban zu reden. Dies ist von den USA unter anderem auch militärisch behindert worden. Und das ist, glaube ich, der falsche Ansatz.

Denninghoff: Aus Sicht einiger Nato-Staaten sieht das so aus, als wolle Deutschland sich rausreden. Warum tut sich die Bundesregierung so schwer damit, auch im Süden Soldaten einzusetzen? Vielleicht deshalb, weil sie der Bevölkerung nie offen gesagt hat, dass die Bundeswehr eben kein Technisches Hilfswerk ist, das lediglich Waffen mit sich herumträgt?

Mützenich: Ich habe die Debatten im Deutschen Bundestag in anderer Erinnerung. Wir haben immer gesagt, jedes Jahr bei den Mandatsverlängerungen, dass dies ein gefährlicher Einsatz ist. Wir haben tote deutsche Zivilisten, aber auch Soldaten zu beklagen. Ich glaube, es hat sich nie jemand dort hingestellt und hat gesagt, dies ist ein Spaziergang. Was aber richtig ist, ist, dass wir gesagt haben, wir haben einen Verantwortungsbereich. Und ich glaube, wir müssen natürlich aufpassen in dem Sinne, wenn wir uns auch in Richtung Süden bewegen würden, würden wir uns möglicherweise einer militärischen Strategie verantworten, die nach meinem Dafürhalten der falsche Ansatz für Afghanistan ist.

Denninghoff: Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, befürchtet, dass Deutschland an Einfluss in der Nato verliert, wenn es jetzt nein sagt. Wie sehen Sie das?

Mützenich: Ich glaube das nicht. Es sind einfach Interessengegensätze und manchmal die eine oder andere Überschrift, so dass das eine oder andere Zitat, was gebracht wird, überhöht doch eigentlich einen solche Konflikt. Wenn es unterschiedliche Interessen gibt, müssen sie ausdiskutiert werden. Und ich glaube, wir tun gut daran, auch offen ein Wort in diesen Tagungen zu sagen. Ich appelliere auch an den deutschen Verteidigungsminister auf eine gemeinsame politische Strategie zu kommen. Und insbesondere muss natürlich auch für die Verlängerung insbesondere des so genannten ORF-Mandates, also den so genannten Krieg gegen den Terrorismus wie die USA sie ihn geführt haben, ein völkerrechtliches Mandat her, sonst wird die Verlängerung im Oktober 2008 im Deutschen Bundestag sehr schwierig werden.

Denninghoff: Ja, wie sollte die Bundesregierung denn nun handeln, wenn die Nato kollektiv Druck ausübt?

Mützenich: Sie übt ja nicht kollektiv Druck aus. Ich glaube, das sind ja nur Einzelmeinungen. Natürlich haben die Kanadier aufgrund ihrer hohen militärischen Verluste ein gutes Maß an Hinweisen gegeben, dass sie sagen, hier muss die Nato zu einer anderen Strategie kommen. Aber zum Beispiel sind ja die Niederländer, teilweise auch die Briten mit uns derselben Meinung, dass wir diesen Konflikt nicht militärisch werden gewinnen können. Deswegen ist es allein innerhalb der Nato zu lösen, völlig falsch. Wir brauchen die Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung. Wir brauchen auch eine Diskussion, die der SPD-Vorsitzende Kurt Beck im letzten Jahr nach seinem Besuch in Afghanistan angeregt hat, eben mit den lokalen Akteuren, teilweise eben auch mit so genannten ausstiegswilligen Taliban zu verhandeln. Das muss die afghanische Regierung tun. Und wir müssen sie in diesem Prozess viel stärker noch unterstützen.

Denninghoff: Besten Dank. Rolf Mützenich, abrüstungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zum Druck auf Deutschland, im Süden Afghanistans Soldaten einzusetzen. Heute werden die Nato-Verteidigungsminister in Vilnius über das Problem reden.