"Bestimmte Parteien reflektieren nicht die Werte der Europäischen Union"

Interview mit Rudolf Geissler
Veröffentlicht: 
SWR 2, 13.12.2013
Thema: 
Zu einer EU-Vermittlerrolle in der Ukraine

Zusammenfassung:

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, hält es für wichtig, dass sich die EU in der ukrainischen Innenpolitik nicht "instrumentalisieren" lässt, wenn sie vermitteln soll. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Mützenich, die Europäische Union habe nicht die Aufgabe zu "entscheiden, wer innerhalb der Opposition der bessere Kandidat" sei. Das Beispiel der rechtsradikalen Swoboda-Partei mache allerdings notwendig darauf hinzuweisen, "dass bestimmte Parteien nicht unsere Werte reflektieren, die wir in der Europäischen Union entwickelt haben". Zur Haltung Moskaus gegenüber einem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine sagte Mützenich, die gestrige Rede von Russlands Präsident Putin habe zur "Beruhigung" beigetragen. Putin hatte Kiew erneut zum Beitritt in die Zollunion eingeladen, zugleich aber betont, dass ein solcher Schritt zusätzliche andere Optionen nicht ausschließe. Mützenich sagte, die NATO solle darüber nachdenken, ob sie als Geste der Vertrauensbildung gegenüber Moskau auf den Plan eines Raketenschildes verzichte. Schließlich werde sich dessen "Legitimation etwas verringert" haben, wenn der Iran tatsächlich zu einem langfristigen Kooperationsabkommen mit dem Westen bereit sei.

Interview im Wortlaut:

Rudolf Geissler: Russlands Präsident Putin hat gestern werbende Worte an die Regierung in Kiew gerichtet. Die zeigt sich allerdings ihrerseits wieder offener für ein Assoziierungsabkommen mit Brüssel, und der ukrainische Außenminister schlägt sogar eine westeuropäische Vermittlungsmission vor, um die Opposition auf der Straße an einen runden Tisch zu bringen. Was ist Ihre Prognose vor diesem Hintergrund, welche Entwicklung wird die Ukraine tatsächlich nehmen?

Rolf Mützenich: Wir sind in den letzten Tagen immer wieder überrascht worden, und auch der ukrainische Präsident hat unterschiedliche Nachrichten, unterschiedliche Botschaften, auch genannt. Aber ich hoffe schon, dass in den letzten Stunden alle Akteure erkannt haben, es braucht den Dialog, es braucht insbesondere eine friedliche Möglichkeit zu demonstrieren gegen die Regierung oder auch gegen bestimmte Entscheidungen. Aber auf der anderen Seite müssen auch Kompromisse gesucht werden.

Geissler: Präsident Putin ist gestern so zitiert worden, dass es aus seiner Sicht kein entweder-oder geben müsse, also kein: entweder "Zollunion mit Russland" oder "Assoziierungsabkommen mit der EU", sondern dass in gewisser Weise beides denkbar sein könne. Halten Sie einen Kompromiss in diese Richtung für möglich?

Mützenich: Auch das war eine wichtige Andeutung gewesen, die zumindest zur Beruhigung geführt hat. Und vielleicht nutzen wir ja sozusagen auch diese Möglichkeit, um auch mit Russland ins Gespräch noch vielleicht stärker noch zu kommen im Hinblick auf das, was die Europäische Union mit dem Assoziierungsabkommen plant. Das ist ja nun kein Gegensatz, der zu Russland gefunden werden soll. Sondern es ist sozusagen eine Möglichkeit, auch Russland langfristig auch stärker an Europa zu binden.

Geissler: Der Vorsitzende des deutsch-russischen Forums "Petersburger Dialog", der frühere DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere, hat kürzlich beklagt, die EU verlange praktisch von der Ukraine, dass sie ihre Handelskontakte zu Russland abbreche. Das könne man weder von Kiew noch von Moskau verlangen. Da tauchen also Bedenken auf, dass wir, bei aller Kritik an Putins Innenpolitik, legitime russische Interessen einfach außer Acht lassen. Wie viel Verständnis haben Sie für diese Sorge?

Mützenich: Das sind wichtige Hinweise, weil wir ja eben nicht verkennen dürfen, dass es hier eine lange Geschichte zwischen der Ukraine und Russland nicht nur im Zusammenhang mit der damaligen Sowjetunion gegeben hat, und sich dadurch natürlich auch langfristige Wirtschaftsbeziehungen aufgebaut haben. Und wir dürfen auf der anderen Seite auch nicht vergessen, Russland ist ein wichtiger Energielieferant, bzw. die Ukraine auch Transportland für diese Dinge. Und deswegen ist es schon angesagt, dass auch die Politik nach Russland schaut, auch mit Russland über diese Fragen spricht. Und vielleicht haben wir ja auch Gelegenheit, in den nächsten Monaten hier einen stärkeren Dialog darüber zu führen.

Geissler: Es gibt allerdings auch Einkreisungsängste in Russland, die wir Deutschen wahrlich nicht von der Hand weisen können, mit Blick auf die Geschichte. Nun ließen sich ja Gesten der Vertrauensbildung auch auf westlicher Seite denken, sozusagen parallel zu einer größeren europäischen Einbindung der Ukraine. Die Amerikaner könnten beispielsweise auf den geplanten Raketenschild verzichten, der Moskau so irritiert. Wie sinnvoll wäre das?

Mützenich: Das sind wichtige Hinweise, die innerhalb der NATO gefunden werden müssen. Und in der Tat, wir müssen versuchen, dass es nicht in der russischen Innenpolitik ein Gegensatz, den es damals zur NATO gegeben hat, jetzt zur Europäischen Union aufgebaut wird, auch von interessierten Kreisen. Und es gibt eben auch in der Regierung Leute, die nicht dagegen arbeiten in Moskau. Aber auf der anderen Seite bieten sich durch die Kontakte, die wir jetzt zum Iran aufgrund des sechsmonatigen Interimsabkommen geschaffen haben, auch Möglichkeiten gegenüber Russland zu signalisieren, dass dieser Raketenabwehrschirm dann natürlich auch seine Frage der Legitimation etwas verringert, wenn wir mit Iran langfristig zu Kooperationsabkommen kommen. Und zum Beispiel hat ja Präsident Obama angekündigt, auf die vierte Stufe der US-amerikanischen Raketenabwehr zu verzichten. Deswegen bietet sich innerhalb der NATO auch eine Diskussion über vergangene Beschlüsse an.

Geissler: Wenn wir nochmal kurz auf die innenpolitische Vermittlerrolle schauen, die der EU da offensichtlich zugedacht wird in der Ukraine. Bei mindestens einer der drei Oppositionsparteien sieht es ja besonders düster aus mit der demokratischen Qualität. Die so genannte Svoboda-Partei ist dezidiert rechtsradikal und antisemitisch. Herr Klitschko ist sich nicht zu schade, mit denen zusammen vor die Kameras zu treten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die EU für eine rechtsradikale Partei mit vermitteln will. Halten Sie das für unbedenklich?

Mützenich: Nein. Es ist eben insbesondere deswegen gut, genau auf die so genannte Opposition auch zu schauen und auch sich darüber klar zu werden, dass die ersten Proteste gegen eben, dass man das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterschreiben will, zu Protesten bei jungen Menschen, bei vielen aus dem Mittelstand geführt hat. Und die Opposition sozusagen selbst überrascht war über den Protest. Und heute den Protest nutzt, damit eigene Kandidaten auch sich für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2015 positionieren können. Ich glaube, die EU muss aufpassen, sich nicht in die Innenpolitik hier nicht nur einzumischen, sondern auch instrumentalisieren zu lassen. Und wir müssen eben darauf hinweisen, dass bestimmte Parteien nicht unsere Werte reflektieren, die wir in der Europäischen Union entwickelt haben.

Geissler: Wer könnte denn statt der EU dann vermitteln?

Mützenich: Nein, ich glaube schon, dass die Europäische Union durchaus eine Legitimationsbasis hat, aber sie muss nicht sozusagen entscheiden, wer innerhalb der Opposition der bessere Kandidat ist. Wir haben die Aufgabe gegenüber der Ukraine, aber auch gegenüber Russland, eben darauf hinzuweisen, dass langfristig das Assoziierungsabkommen sinnvoll ist, auch im Hinblick auf politische Bedingungen. Und dass natürlich auch die Werte Europas dann in diesen Ländern auch gelebt werden müssen.