"Afghanistan war nie unumstritten innerhalb der sozialdemokratischen Partei"
Auch wenn sich Teile der SPD nicht für eine Verlängerung des Afghanistanmandats aussprechen würden, sieht Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, kein Problem darin. Afghanistan sei für die SPD immer eine große Belastung gewesen; deshalb stehe man zur kritischen Diskussion.
Silvia Engels: In den vergangenen Monaten haben viele Regierungsmitglieder der schwarz-gelben Koalition die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan besucht: Bundeskanzlerin Merkel, Verteidigungsminister zu Guttenberg, zuletzt Außenminister Westerwelle. Das sollte das Bewusstsein in Deutschland für die Leistung der Soldaten stärken. Das ging nicht immer ohne Kritik ab, wie zum Beispiel, als der Verteidigungsminister seine Frau nach Kundus mitnahm. Sei es wie es sei, nun soll das Mandat für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan erneut verlängert werden. Das Kabinett hat am Vormittag einen entsprechenden Beschluss auf den Weg gebracht.
Mitgehört hat Rolf Mützenich. Er ist der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Kenner der Region. Guten Tag, Herr Mützenich.
Rolf Mützenich: Guten Tag, Frau Engels.
Engels: Wir haben es gerade gehört: Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, stellt sich gegen die SPD-Spitze. Er fordert ganz explizit die SPD-Fraktion auf, gegen die Verlängerung des Afghanistan-Mandats zu stimmen. Wie gehen Sie mit diesem Aufruf um?
Mützenich: Nun, das ist auf jeden Fall ein wichtiger Hinweis. Aber Erwin Sellering hatte auch die Freiheit im Dezember auf unserer Konferenz gehabt, seine Position zu beschreiben, und da steht er durchaus natürlich auch in einem Feld. Afghanistan war nie unumstritten gewesen innerhalb der sozialdemokratischen Partei, und der damalige Kanzler Gerhard Schröder hat das Votum damals für Afghanistan mit einem Vertrauensvotum verknüpft. Also da sehen Sie, diese Frage einer Gleichförmigkeit hat es nie gegeben und Erwin Sellering drückt das dort aus.
Engels: Wie sehen Sie denn derzeit die Stimmung innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion zur Verlängerung dieses Mandates? Wird da der Aufruf zumindest teilweise auf fruchtbaren Boden fallen? Wird es ein knappes Ergebnis innerhalb der SPD-Fraktion?
Mützenich: Nun, das müssen wir noch mal sehen. Wir haben jetzt in Magdeburg unsere Klausurtagung morgen und übermorgen, wo natürlich insbesondere über Afghanistan, über den Antrag der Bundesregierung gesprochen wird. Aber man muss den Abgeordneten natürlich auch erst mal Gelegenheit geben, das Mandat genau zu lesen. Mir liegt es jetzt seit einer Stunde vor, ich konnte es lesen, das haben andere vielleicht noch nicht geschafft. Gestern war es offensichtlich schon mal wieder den Medien zugespielt worden, das fand ich keinen guten Stil.
Aber wir werden eine Debatte haben, wie wir es insbesondere auch im Dezember auf einer Konferenz des Parteivorstandes dort gehabt haben. Das war eine kritische Diskussion. Aber auf der anderen Seite wird das eigentlich wichtig sein, was wir im letzten Jahr bereits versucht haben, auch deutlich zu machen, was vielleicht in der Öffentlichkeit nicht so herübergekommen ist, weiterhin umzusetzen sein.
2011 ist ein wichtiges Datum für den Beginn auch des Rückzugs von Militär, das betrifft ja nicht nur das deutsche Militär, sondern andere auch, insbesondere auch die USA. Und dann eine wichtige Frage des politischen Prozesses, und den nimmt die Bundesregierung offensichtlich ja jetzt auf.
Engels: Auf die Inhalte der angestrebten Mandatsverlängerung kommen wir gleich zu sprechen. Ich möchte noch kurz bei Herrn Sellering bleiben, denn in Mecklenburg-Vorpommern wird wie in sechs anderen Bundesländern gewählt. Sehen Sie das als Anzeichen, dass Afghanistan diesmal ein sehr starkes Wahlkampfthema wird?
Mützenich: Nun, das weiß ich nicht. Meine Erfahrungen insbesondere mit Landtagswahlen aus Nordrhein-Westfalen sind gewesen, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen wollen, was die Landesregierung aus ihrer Sicht, auch aus der Kompetenz einer Landesregierung her machen kann. Da spielt Afghanistan vielleicht nicht die entscheidende Rolle. Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen: Natürlich ist Afghanistan immer eine große Belastung, auch für die SPD gewesen, und deswegen hatten wir auch eine kritische Diskussion, aber zu dieser kritischen Diskussion stehen wir auch.
Engels: Auf der anderen Seite ist ja bekannt, dass das Afghanistan-Mandat, dass der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr mehrheitlich in der deutschen Bevölkerung unbeliebt ist. Kann da die SPD der Versuchung widerstehen, damit zu punkten, indem sie doch radikalere Abzugstermine fordert?
Mützenich: Also ich glaube, wir haben mit Sicherheit andere Gelegenheiten gehabt, um uns da hätten verabschieden zu können, wenn wir es sozusagen nur aus einer innenpolitischen Sicht heraus genommen hätten, aber wir waren doch, glaube ich, sehr verantwortungsvoll bis hinein zu einem einzelnen Risiko auch von Mandatsträgern letztlich gewesen, zu diesem Mandat auch zu stehen, weil ich glaube, insbesondere mit Präsident Obama und der Londoner Konferenz wir eine Chance haben, Afghanistan endlich auch politisch zu bearbeiten, was wir mit den Vorgängeradministrationen in Washington leider nicht schafften.
Engels: Aber Herr Sellering ist ja nicht irgendjemand.
Mützenich: Nein, natürlich nicht. Das finde ich auch ganz wichtig und deswegen hat Erwin Sellering auch die Gelegenheit gehabt, auf unserer Parteikonferenz zu sprechen, und das ist doch auch ganz klar: Diese Stimmen werden zur Kenntnis genommen. Auf der anderen Seite hat bereits im letzten Jahr der Parteirat einen Fahrplan beschlossen und auch jetzt hat der Parteivorstand wieder beschlossen, und diese Diskussion werden wir in der Fraktion auch aufnehmen.
Engels: Herr Mützenich, dann sprechen wir noch kurz über die Inhalte der angestrebten Mandatsverlängerung. Sie haben gesagt, Sie haben das Manuskript des Beschlusses des Kabinetts vorliegen. Da war ja im Vorfeld viel über die Abzugstermine die Rede. 2011, wenn es möglich ist, soll es beginnen, 2014. Wie konkret ist es? Sind Sie damit zufrieden? Muss es konkreter sein?
Mützenich: Nein, ich glaube schon, hier ist ein wichtiger Punkt gemacht worden, der ja eigentlich auch schon in dem letzten Mandat indirekt angesprochen gewesen ist. Ich habe die London-Konferenz erwähnt, ich habe dieses politische Mandat auch der internationalen Gemeinschaft erwähnt, und dies wird jetzt aufgenommen im Antragstext, auch in der Begründung letztlich, und ich glaube, das ist der richtige Weg. Was mich natürlich gewundert hat, war die heftige Debatte, auch heftige öffentliche Debatte, die ja sehr ungewöhnlich ist, zwischen zwei Ministern, die dieses Afghanistan-Mandat zu verantworten haben, und da hat mir eigentlich auch die Stimme der Bundeskanzlerin gefehlt, die nach meinem Dafürhalten hier von ihrer Kompetenz auch hätte Gebrauch machen können und für eine klare Politik hätte auch eintreten müssen.
Engels: Das Gegenargument gegen ein konkretes Abzugsdatum lautet ja immer, dass sich die Taliban darauf einrichten könnten und damit einfach warten würden, bis dann die Truppen fort sind. Teilen Sie das?
Mützenich: Nein. Also ich glaube, wer nach Afghanistan schaut und wer sich die Situation in Afghanistan vor Ort auch anschaut, weiß ganz genau, dass die Aufstandsbewegung nicht davon geführt wird, was möglicherweise hier in Berlin beschlossen wird, oder was auch in Zeitungen steht. Da spielt eine andere Frage eine viel größere Rolle, und dieses Abzugsdatum ist insbesondere auch ein Datum, was der politischen Diskussion geschuldet ist. Wir haben innerhalb der internationalen Gemeinschaft einen klaren Fahrplan verabredet, der ein Signal zur afghanischen Regierung, zu Präsident Karsai natürlich insbesondere ist, aber auch für das regionale Umfeld, und dieses regionale Umfeld hat durchaus aufgrund auch einer Akzeptanz, dass die internationale Gemeinschaft nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag in Afghanistan bleibt, auch klar gemacht, dass sie auch in der Region Verantwortung tragen muss. Das betrifft Pakistan, das betrifft aber auch China, das betrifft den Iran. Und ich glaube, da haben wir auch mit diesem Abzugsfahrplan eine Diskussion initiiert.
Engels: Das heißt, Sie können diesem Entwurf, wie er Ihnen jetzt vorliegt, ohne Vorbehalte zustimmen?
Mützenich: Also wir werden innerhalb der Fraktion darüber zu diskutieren haben. Ich habe ja gesagt, mir liegt das jetzt seit einer Stunde vor, ich muss das auch ein bisschen auswerten. Offensichtlich haben andere längere Zeit für die Interpretation bereits gehabt. Aber wenn die Bundesregierung dies so tut, das Parlament offensichtlich erst in einer zweiten Linie informiert, ist das deren Stil. Wir werden am Donnerstag und am Freitag in der Fraktion darüber zu diskutieren haben.
Engels: Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Wir sprachen mit ihm über die vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachte Verlängerung des Afghanistan-Mandats. Vielen Dank für das Gespräch.
Mützenich: Danke, Frau Engels. Schöne Grüße.