Plenarrede anlässlich der Regierungserklärung zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Deutschland und Europa
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Fraktion unterstützt die vorsichtigen und verantwortbaren Schritte, die die Bundesregierung zusammen mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in der vergangenen Woche auf den Weg gebracht hat. Es waren richtige und auch notwendige Schritte, die eine Stärkung der Eigenverantwortung, aber auch des Zusammenhalts dieser Gesellschaft abbilden. Sie reflektieren etwas, was immer noch der dringenden Beachtung bedarf, nämlich dass wir es schaffen, am Beginn einer Pandemie ein intaktes Gesundheitswesen aufrechtzuerhalten und nicht in der Mitte oder am Ende dieser Pandemie.
Worauf es mir und meiner Fraktion insbesondere ankommt, ist – ich vermisse oft diese Hinweise –: Es geht um den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Geschäften, in den Betrieben,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
und das wird man nicht von heute auf morgen schaffen können. Insofern sage ich sehr deutlich: Ja, diese Schritte sind verantwortbar, und sie sind eben auch angemessen.
Auf der anderen Seite, finde ich, müssen wir – und wir haben hier im Deutschen Bundestag jetzt des Öfteren darüber gesprochen – es als beachtlich empfinden, wie stark die Bürger seit Wochen Solidarität üben, aber auch den Anforderungen an den Selbstschutz nachkommen. Vielleicht erinnern wir uns dann später auch an die kleinen Geschichten der Nachbarschaftshilfe. In meinem Wahlkreis geht jemand mit einem Leierkasten durch die Straßen und spielt einfach Musik für die Menschen, die sich zurzeit in ihren Wohnungen aufhalten und nicht bewegen können. All das sind, glaube ich, Dinge, die Mut machen.
Sie haben recht, Frau Bundeskanzlerin: Man muss sich mit den demokratischen Zumutungen auseinandersetzen. Deswegen ist es richtig, dass sich viele in diesem Land, viele Organisationen, letztlich auch viele Vereine, aber auch der Ethikrat, Juristinnen und Juristen, Medienvertreter, die berechtigte Frage stellen, ob die Einschränkungen der Rechtsgüter verhältnismäßig sind. Diese Diskussion erreicht auch dieses Parlament. Vor diesem Hintergrund sage ich: Ja, dieses Parlament ist notwendig, um diese Schritte zu gehen, um darüber zu sprechen, aber eben auch Entscheidungen zu treffen. Die Kontrolle und das Selbstbewusstsein sind Voraussetzungen dafür, dass dieser demokratische Staat in seiner Gestalt erhalten bleibt. Insofern sage ich sehr selbstbewusst: Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind die Ansprechpartner vor Ort. Wer, wenn nicht wir, wird darauf angesprochen, wo vielleicht etwas noch nicht richtig funktioniert?
Ich nenne zum Beispiel ein Hamburger Unternehmen, das erblindeten Menschen eine Berufsperspektive gibt, die Sehende an die Hand nehmen und durch ihre Welt der Erblindeten führen. Sie bekommen keine Hilfe von der KfW, weil wir zurzeit eben nur gewerbliche Unternehmen dazu ermächtigt haben, diese Hilfen auch in Anspruch zu nehmen. Und deswegen sage ich: Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind notwendig, um Korrekturen auf diesem Weg vorzunehmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zum Zweiten: Wir erleben vor Ort, dass junge Menschen uns darauf ansprechen, dass sie jetzt ihren Praktikumsplatz verloren haben, den sie angenommen haben, um im Herbst dieses Jahres ihre Ausbildung zu beginnen. Sie vermuten, dass sie jetzt keinen Ausbildungsplatz bekommen. Hier sage ich sehr klar: Wir müssen alles dafür tun, dass die gemeinschaftliche Aktion für die jungen Menschen, die wir in der Schule gut ausgebildet und für eine Ausbildung gewonnen haben, gelingt und wir in Zukunft zur Not auch mehr außerbetriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Dafür brauchen wir das Parlament. Ich bin sehr dankbar, dass wir sehr selbstbewusst diese Fragen stellen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das ist auch eine Voraussetzung dafür, dass Demokratie gelingt. Denn ich glaube, die Menschen erleben, was dieser soziale und demokratische Rechtsstaat leistet: in seiner großen Gemeinschaft, in diesem Raum, aber auch darüber hinaus. Einparteienregierungen, Einpersonenregierungen schaffen das eben nicht. Alle warten sozusagen auf die Entscheidung der Machtzentrale; wir haben es erlebt. Autoritäre Herrschaft ist nur an Eigennutz und letztlich am Zurückdrängen der Opposition interessiert. Deswegen bin ich stolz, dass dieses Deutschland, dass diese Gesellschaft keine antidemokratischen Reflexe zeigt, sondern im Gegenteil hinter diesem sozialen Rechtsstaat steht, und Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen daran weiterhin mitwirken, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In diesem Zusammenhang – das muss ich auch sagen – bin ich irritiert, dass einige doch immer wieder – das haben Krisen offensichtlich so an sich – die Krise nutzen, geplante Vorhaben oder eigene Interessen in den Vordergrund zu stellen. Hier sage ich: Es ist empörend und überhaupt nicht nachvollziehbar, dass Unternehmen, die um öffentliche Hilfe nachfragen, auf der anderen Seite Dividenden oder Boni ausschütten wollen. Das ist nicht akzeptabel, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Marco Buschmann [FDP]: So ist das halt!)
Ich erinnere zum Beispiel an ein Unternehmen wie die Lufthansa, die im Schatten dieser Krise einen kleinen Zweig, nämlich die Germanwings, liquidiert hat. Ich finde, das ist ein Weg, den wir genauso öffentlich anprangern müssen wie manches Fehlverhalten oder antidemokratische Reflexe, die teilweise leider auch aus diesem Hause hier kommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zum Dritten – das werde ich meinem Koalitionspartner nicht ersparen können –: Dass wir in dieser Woche nicht über die Grundrente sprechen können, ist für uns nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir werden das weiterhin einfordern. Sie können nicht auf der einen Seite Balkonreden für die systemrelevanten Berufe halten, die eben nur kleine Einkommen haben und für die wir die Grundrente auf den Weg bringen wollen, ihnen aber auf der anderen Seite eine gesetzliche Beratung dieses Vorhabens vorenthalten. Deswegen sage ich: Wir wollen, dass der Gesetzentwurf für diese Grundrente in der nächsten Sitzungswoche hier im Parlament gelesen wird, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch wenn wir wissen, dass uns diese Pandemie noch einige Zeit im Griff haben wird, lohnt es sich trotzdem, über die Zukunft nachzudenken. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben über die Konjunkturprogramme und vieles andere gesprochen. Ich sage: Ja, wir müssen zurzeit auf die aktuelle Krise reagieren, aber bereits darüber nachdenken, was wir in den nächsten Wochen und Monaten tun werden, um sozusagen den Motor wieder anlaufen zu lassen. Angesichts der alten, altmodischen Diskussion über Steuersenkungen, die wir gerade erleben, frage ich mich manchmal: In welcher Welt leben diejenigen, die diese Frage ansprechen?
(Lachen bei der FDP – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Haben Sie doch heute Morgen beschlossen!)
Denn Menschen stellen sich zurzeit überhaupt nicht die Frage, ob sie mit einer niedrigeren Einkommensteuer vielleicht besser über die Runden kommen, sondern sie fragen: Habe ich noch Arbeit, um überhaupt Einkommensteuer zahlen zu können?
(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Marco Buschmann [FDP])
Und deswegen sage ich: Wir müssen uns auf den Weg machen, um unter diesen Bedingungen auch in Zukunft eine Förderung innovativer Techniken und Geschäftsmodelle auf den Weg zu bringen. Ein weiterer Punkt ist – auch darauf möchte ich meinen Koalitionspartner und die Bundesregierung ansprechen –: Wir reden über die Verletzbarkeit bestehender Wertschöpfungsketten. Wir wollen, dass das Risikomanagement offengelegt wird. Ja, in der Tat, wir erleben, dass diese Lieferketten auf existenzielle Krisen offensichtlich keine Antwort geben. Deswegen bitte ich Sie: Lassen Sie uns zusammensitzen und überlegen, wie wir das, was wir schon im Koalitionsvertrag niedergelegt hatten, nämlich das Lieferkettengesetz, auf den Weg bringen.
(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])
Möglicherweise bietet dieses Lieferkettengesetz auch die Chance, dieses Risikomanagement und die Frage besserer Lieferketten gesetzlich zu regeln. Ich glaube, meine Damen und Herren, darauf kommt es an.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Frau Bundeskanzlerin, meine Fraktion unterstützt Sie in den Aussagen, dass es Deutschland nur gut geht, wenn es Europa gut geht. Deswegen sind die ersten Schritte, die gemacht worden sind, genau die richtigen Schritte, die eben auch wirken können. Aber das heißt nicht, dass wir aufhören dürfen. Das heißt, dass wir weitere Antworten geben müssen. Und ja, es wird ein schwieriger, ein herausfordernder Prozess sein. Wenn die Gemeinschaftsbildung und die Fiskalunion gelingen, werden wir natürlich auch über neue Instrumente nachdenken müssen und darüber, wie wir sie auf den Weg bringen. Ich glaube, insbesondere in einer Krise, wo es nicht darum geht, ob man falsch gewirtschaftet hat, sondern in der man eben durch diese Pandemie unverschuldet herausgefordert ist, ist der richtige Zeitpunkt, diese notwendigen Fragen zu stellen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD)
Zum anderen will ich sagen: Die Pandemie hat auch gezeigt, dass es reale Feinde gibt – für die ganze Menschheit. Deswegen lohnt es sich vielleicht auch mal, innezuhalten und darüber nachzudenken, ob es überhaupt noch angemessen ist, diesen wahnwitzigen Rüstungswettlauf, diese unglaublich großen Milliardensummen an Euro für Militärausgaben zu akzeptieren.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ch sage: Wenn sich der demokratische und soziale Rechtsstaat in dieser Krise als die richtige Regierungsform beweist, warum können dann nicht Demokratien gleichzeitig den notwendigen Impuls für das friedliche Miteinander geben? Ich bin überzeugt, dass eine soziale und gesunde Zukunft nur dann gelingt, wenn wir gleichzeitig Feindschaften abbauen. Um Gutes zu tun, müssen wir beides schaffen: die aktuelle Krise bewältigen und unseren Grundsätzen treu bleiben.
Vielen Dank!