INF-Vertrag: SPD warnt vor völligem Zusammenbruch der internationalen Rüstungskontrolle
Es spricht einiges dafür, dass sowohl die USA als auch Russland kein Interesse mehr am INF-Vertrag haben. Die Geister sind zurück, die einen Atomkrieg für gewinnbar halten. Jetzt muss Europa einem neuen nuklearen Wettrüsten entschieden entgegentreten.
Am 2. Februar endete die Frist von 60 Tagen, die der amerikanische Außenminister Pompeo der russischen Regierung gesetzt hatte, um den INF-Vertrag durch Beweise ihrer Vertragstreue zu retten. Noch am selben Tag kündigte Präsident Trump an, den Vertrag auszusetzen. Die russische Reaktion folgte prompt. Am 3. Februar erklärte Präsident Putin ebenfalls die offizielle Kündigung des Vertrages.
Herber Rückschlag für Rüstungskontrolle
Der Abrüstungsvertrag von 1987, der Washington und Moskau den Besitz und die Stationierung landgestützter Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern verbietet, gilt zu Recht als Meilenstein und als wesentliches Kernelement kooperativer Sicherheit in Europa. Mit ihm wurde erstmals eine ganze Kategorie gefährlicher Raketensysteme komplett beseitigt. Sein drohendes Ende bedeutet einen herben Rückschlag für die vertragsbasierte Rüstungskontrolle.
Zusammen mit der bereits erfolgten Kündigung des Iran-Abkommens und der im Jahr 2021 womöglich ausbleibenden Verlängerung des noch wichtigeren sogenannten New START-Abkommens, das die Anzahl der strategischen Atomwaffen begrenzt, droht ein völliger Zusammenbruch der internationalen Rüstungskontrollarchitektur mit unabsehbaren Folgen für die globale Sicherheit. Sollte New START tatsächlich nicht verlängert werden, gäbe es zum ersten Mal seit 1972 keine rechtlich bindenden und überprüfbaren Begrenzungen der amerikanischen und russischen Nukleararsenale mehr. Es droht ein nukleares Wettrüsten in Europa und Ostasien. Damit geriete auch der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) unter Druck, da die dort vereinbarten Abrüstungsverpflichtungen der Atommächte sich endgültig als das erweisen würden, was sie bislang waren: leere Versprechen.
Maas warb in Washington und Moskau
Außenminister Heiko Maas hat sich bei seinen Gesprächen in Moskau und Washington bis zuletzt dafür eingesetzt, den INF-Vertrag zu erhalten. Und selbst die offizielle Kündigung bedeutet noch nicht zwangsläufig das Ende des Vertrages. Es bleibt noch ein halbes Jahr Zeit, um für eine Lösung. Erst ab dem 2. August 2019 wären die Vereinigten Staaten nicht mehr an den INF-Vertrag gebunden.
Diese Zeit sollten die Europäer dazu nutzen, um die Vorwürfe aufzuklären und die Vertragspartner vom Sinn des Abkommens zu überzeugen. Voraussetzung bleibt, dass beide Seiten die Vorwürfe der Vertragsverletzung glaubhaft widerlegen bzw. rückgängig machen. Dies kann nur funktionieren, wenn man auch die russischen Besorgnisse wegen der US-amerikanischen Raketenabwehrsysteme in Rumänien und Polen ernst nimmt und Moskau eine gesichtswahrende Lösung anbietet. So muss Russland die Standorte seiner vermuteten INF-vertragsverletzenden Systeme offen legen und für Inspektionen öffnen. Im Gegenzug müssten auch die USA belegen, dass ihre derzeit in Rumänien stationierte und für Polen geplante Raketenabwehrbasis nicht offensiv genutzt werden kann.
Multilateraler Nachfolgevertrag nötig
Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Vereinigten Staaten und Russland das gemeinsame Ziel haben, sich aus den Fesseln des INF-Vertrages zu befreien. Denn mittlerweile entwickeln immer mehr Länder ballistische Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper, von denen viele Atomwaffen tragen können. Die rasante technologische Entwicklung immer neuer Waffensysteme (wie Hyperschallraketen), für die es noch keinerlei Regelwerke gibt, und das Verschwimmen der Grenzen zwischen konventionellen und nuklearen Bedrohungen stellen uns vor vollkommen neue rüstungskontrollpolitische Herausforderungen. Hier könnte ein modifizierter INF-Vertrags oder ein multilateraler Nachfolgevertrag ansetzen, erweitert um die zehn Staaten, die mittlerweile über entsprechende Mittelstreckenraketen verfügen.
Die Bedrohung der internationalen Rüstungskontrollregime und der regelbasierten internationalen Ordnung ist real. Die Geister sind wieder zurück, die glauben, ein atomarer Krieg sei führ- und gewinnbar. Sowohl Putin als auch Trump prahlen mit den Fähigkeiten ihrer Streitkräfte und versuchen, nukleare Drohungen in politisches Kapital umzumünzen. Allein für die Modernisierung des amerikanischen Atomwaffenarsenals sind für die nächsten 30 Jahre unglaubliche 1,7 Billionen US-Dollar vorgesehen. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 2019/2020 seinen Sitz dazu nutzen wird, eine Diskussion über die Stärkung der nuklearen Rüstungskontrolle und Abrüstung anzustoßen. Bereits im März dieses Jahres wird das Auswärtige Amt zu einer großen internationalen Abrüstungskonferenz nach Berlin einladen.
Europa muss Widerstand leisten
Europa muss der Gefahr eines neuen nuklearen Wettrüstens entschieden entgegentreten. Sonst droht die Rückkehr einer Aufrüstungs- und Stationierungsdebatte, wie wir sie aus den Hochzeiten des Kalten Krieges kennen. Deutschland und Europa dürfen niemals wieder zum Austragungsort atomarer Kriegsspiele werden.