Mützenich: Syrienpolitik der USA ist unberechenbar

Interview mit Florian Rudolph
Veröffentlicht: 
SWR Tagesgespräch, 10.04.2017
Thema: 
"Weitere Eskalation verhindern"

Baden-Baden: Der SPD-Außenpolitiker Mützenich wirft den USA Unberechenbarkeit in ihrer Syrienpolitik vor. Noch kurzem sei ihnen die Zukunft von Machthaber Assad egal gewesen, jetzt forderten sie seine Absetzung. Eine solche 180-Grad-Wende sei ohne eine zu Grunde liegende Strategie nicht hinnehmbar. Vor allem dann, wenn man Partner daran mitwirken lassen wolle, sagte Mützenich im SWR-Tagesgespräch.

US-Außenminister Tillerson müsse dazu heute beim Treffen mit seinen G7-Kollegen Antworten im italienischen Lucca liefern. Mützenich begrüßt den Vorschlag Russlands, den mutmaßlichen Giftgas in der nordsyrischen Provinz Idlib von unabhängiger Seite untersuchen zu lassen. Moskau habe nach wie vor ein Interesse, einen politischen Ausweg aus dem Konflikt zu finden, weil es merke, dass es sich gegenüber Assad und dem Iran ausgeliefert hat.

Europa müsse jetzt alles unternehmen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Das könne aber nur gelingen, wenn diese Rolle von allen gewünscht sei. Man könne sich nicht aufdrängen, dafür sei Europas Einfluss zu klein.

Interview im Wortlaut:

Florian Rudolph: Vergangene Woche erst der Gasangriff in Idlib, dann in der Nacht zum Freitag der Militärschlag der USA gegen einen Luftwaffenstützpunkt der syrischen Armee – was hat sich mit den Ereignissen dieser Woche im Syrienkonflikt verändert?

Rolf Mützenich: Ich glaube insbesondere, dass die USA ein aktiver Akteur mittlerweile in diesem Konflikt sind, nicht mehr nur alleine gegen den IS, sondern insbesondere in der Auseinandersetzung eines Bürger- und Regionalkrieges. Ich glaube, das ist die qualitative Veränderung.

Rudolph: Russland als Verbündeter Assads hat die US-Aktion erwartungsgemäß scharf verurteilt, hat ein Abkommen aufgekündigt, hat ein bisschen mit den Muskeln gespielt, aber die befürchtete Konfrontation hat Moskau bislang zumindest nicht gesucht. Wie erklären Sie sich das?

Mützenich: Ich glaube, dass Russland immer noch ein Interesse hat, nachdem Aleppo zurückerobert worden ist, zu versuchen – und das zeigt der Prozess in Astana, wo neben Russland die Türkei und der Iran Garantie macht für ein politischen Prozess - einen Ausweg aus diesem Konflikt zu finden. Ich glaube, es wäre gut, wenn Außenminister Tillerson zumindest diesen Eindruck versucht, morgen bei seinem Besuch in Moskau nochmal herauszufinden, dann gibt es einen gemeinsamen Weg, weil Russland mehr und mehr merkt, es hat sich gegenüber Assad, aber auch gegenüber dem Iran sehr ausgeliefert.

Rudolph: Russland hat ja jetzt zugesagt, den Giftgasvorfall untersuchen zu lassen, aber kann man da wirklich allzu große Hoffnung hineinlegen?

Mützenich: Wir haben dies ja schon einmal gehabt, dass unter dem Dach der Vereinten Nationen die Organisation für die Überprüfung des Chemiewaffenverbotes, auch solche Tests durchführen können in dem Raum, aber insbesondere auch noch an Verletzten und auch möglicherweise durch forensische Maßnahmen - dies ist schon wichtig, weil wir brauchen unabhängige Untersuchungen. Die Türkei hat ja behauptet, es gäbe von den Verletzten den Hinweis, dass Sarin verwendet worden ist, eine 100 %ige Sicherheit bringt nur eine unabhängige Untersuchung.

Rudolph: Die USA sehen jetzt den Sturz Assads als oberste Priorität an und das verwundert dann doch, denn vor kurzem war Präsident Trump ja Wurst, ob Assad bleibt oder geht. Was also ist von der neuen Position zu halten, die UNO-Botschafterin Haley, da ja gestern in einem ausgestrahlten CNN-Interview erklärt hat, aber die laut Außenminister Tillerson gar keine ist?

Mützenich: In der Tat, das ist sehr verwirrend, und deswegen auch heute bei den Gesprächen in Lucca in Italien, bei dem G7-Außenministertreffen. Hier muss Klarheit geschaffen werden, gibt es eine neue Strategie oder ist sie sozusagen aus der Situation heraus geboren. Im Grunde genommen kann die internationale Gemeinschaft nicht akzeptieren, dass eine Macht wie die USA innerhalb von wenigen Tagen ihre Strategie um 180 Grad verändert – insbesondere dann, wenn sie ein Interesse hat, Partner an dieser Strategie mitwirken zu lassen. Ich glaube, das sind sehr wichtige Gespräch heute.

Rudolph: UNO-Botschafterin Haley hatte ja im Weltsicherheitsrat am Freitag erklärt, die USA seien notfalls zu weiteren Militäraktionen gegen das Assad-Regime bereit. Sie hofften aber, dass dies nicht nötig sei, und dass alle gemeinsam eine politische Lösung suchten. Jetzt also heißt es, eine politische Lösung mit Assad ist aus US-Sicht undenkbar. Heißt das im Umkehrschluss, man muss davon ausgehen, dass die USA da weiter militärisch eingreifen werden?

Mützenich: Das muss man unter Umständen auch befürchten, deswegen sollte Europa, und darauf hat Außenminister Gabriel hingewiesen, alles unternehmen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Ein solcher militärischer Schlag ist nach meinem Dafürhalten natürlich dann nur akzeptabel, wenn man auch ganz konkret weiß, in welche politische Strategie es eingebunden ist und daran mangelt es. Sie haben ja selbst darauf hingewiesen, innerhalb der Administration sehr widersprüchliche Aussagen zu der gleichen Frage und von daher glaube ich, muss Europa auf jeden Fall heute sehr deutlich machen, dass wir alles dafür unternehmen müssen, unter dem Dach der Vereinten Nationen eine Lösung zu finden. Das ist jetzt dringend erforderlich und daran muss insbesondere auch der amerikanische Präsident ein Interesse zeigen.

Rudolph: Europa als derjenige, der vermittelt, vielleicht zwischen Russland und den USA, die wieder an einen Tisch bringt. Wie kann denn diese Rolle aussehen, denn im Moment ist die EU ja relativ außen vor?

Mützenich: Das ist richtig und das Ganze kann auch nur gelingen, und ich will darauf hinweisen, Frau Mogherini, die hohe Beauftragte ist ja heute in dem Gespräch in Lucca auch mit dabei, wenn das von allen auch gewünscht wird. Man kann sich nicht aufdrängen, dafür ist auch die Rolle Europas viel zu klein. Wenn aber die Möglichkeit sich andeuten würde, hier kann eine diplomatische Rolle von Seiten der europäischen Union oder einzelner Länder auch gewünscht sein, dann müssen wir das tun. Dazu gibt es gar keine Alternative, aber das muss man einfach abwarten. In den nächsten Stunden wird sich das zeigen.

Rudolph: Sehen Sie da für Deutschland da vielleicht eine besonders günstige Position? Welchen Beitrag kann die Bundesrepublik da leisten?

Mützenich: Ich weiß nicht, ob die Rolle Deutschlands an dieser Stelle günstig wäre. Wir können uns davor nicht verstecken, muss ich ganz einfach sagen, wenn es sozusagen in diesen Gesprächen – das wir ja dann nicht öffentlich erfolgen – auch der Eindruck entsteht, Deutschland könne hier eine Rolle spielen. Wie zum Beispiel im Ukraine-Konflikt, wo wir eine aktive Rolle eingenommen haben, auch zur Verhinderung einer weiteren Konfrontation im unmittelbaren Umfeld, dann müssen wir das im Interesse auch eines Versuchs der doch noch dann diplomatisch friedlichen Lösung auch unternehmen.