Hindernisse und Chancen einer regionalen Friedensordnung für Europa

Auch wenn wir in Europa dringend wieder ein gemeinsames kooperatives Sicherheitssystem brauchen, sind wir derzeit leider weit davon entfernt. Der deutsche OSZE-Vorsitz konnte zumindest eine weitere Verschlechterung verhindern, graduelle Fortschritte erzielen (Stichwort Transnistrien) und im Bereich der konventionellen Rüstungskontrolle einen diplomatischen Vorstoß initiieren.

Vor allem drei Hindernisse blockieren ein Vorankommen:

  • die komplexen militärischen Ungleichgewichte zwischen der NATO und Russland,
  • die russische Strategie der "Sicherheit durch Instabilität" und
  • das offen antagonistische Verhältnis zwischen Moskau und Washington.

Die Notwendigkeit konventioneller Rüstungskontrolle

Russland und „der Westen“ befinden sich in einer Art neuen Kalten Krieg. Fast täglich kommt es zu gefährlichen Zwischenfällen mit russischen Kampfjets. Gleichzeitig droht der Kreml offen mit seinem Nuklearpotential, verlegt nuklearwaffenfähige Systeme nach Kaliningrad, hält Großmanöver mit bis zu 120.000 Soldaten ab und kündigt wichtige Rüstungskontrollverträge mit den USA auf. Raketenabwehrpläne, Modernisierung der Nukleararsenale und die Stationierung von russischen Mittelstreckenraketen (Verletzung des INF-Vertrages) drohen zu einer weiteren Erosion der globalen und europäischen Rüstungskontrollarchitektur zu führen. Hinzu kommt die Ankündigung Trumps einer massiven US-amerikanischen Aufrüstung, welche auf russischer Seite wiederum entsprechende Befürchtungen auslöst, da es sich einen Rüstungswettlauf mit den USA nicht leisten kann.

Die NATO wiederum reagiert zunächst so, wie man es aus dem Kalten Krieg kennt: Unterstützung der östlichen Mitgliedsstaaten, verstärkte öffentliche Sicherheitszusagen und die Konzentration auf die Abschreckung Russlands. Weil beide Seiten sich vor allem der gegenseitigen Abschreckung widmen, wächst die Gefahr einer unbeabsichtigten oder zufälligen Eskalation.

Wir brauchen Geduld, Frustrationstoleranz und einen langen Atem. Nicht vergessen: Auch dem KSE-Vertrag von 1990 gingen 15 Jahren erfolglose Gespräche und Verhandlungen voraus.

Russlands Strategie der „Sicherheit durch Instabilität

Ein wichtiges Hindernis für eine kooperative europäische Sicherheitsordnung ist Russlands Strategie der "Sicherheit durch Instabilität".

Gegenüber seinen post-sowjetischen Nachbarstaaten verteidigt Russland seinen Machtanspruch mit allen Mitteln und schreckt dabei auch vor dem Einsatz militärischer Gewalt nicht zurück (siehe Georgien und die Ukraine). Gegenüber den NATO-Staaten agiert der Kreml geschickt unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt und sucht die Allianz, als auch die westlichen Gesellschaften, wo immer möglich, zu verunsichern (Cyberwar, Medienkrieg, Unterstützung rechtspopulistischer Parteien). Daraus ergibt sich ein "Korridor der Instabilität" entlang der russischen Grenzen bzw. der Grenzen des post-sowjetischen Raums. Dieses Vorgehen soll jegliche Aussicht auf eine weitere Ausdehnung der NATO nach Osten im Keim ersticken.

All dies zeigt, dass der Wille der russischen Führung zur Umsetzung gemeinsamer kooperativer Sicherheit seine Grenzen hat. Diese Grenzen verlaufen dort, wo Russland die Bedrohung seines eigenen geopolitischen Macht- und Einflussbereichs wittert. Moskau ist derzeit offenbar davon überzeugt, dass es aus der selbstverantworteten Instabilität und Unsicherheit entlang seiner Grenzen ein höheres Maß an politischem Gewinn und Sicherheit zieht, als aus gemeinsam verhandelten Rüstungskontrollabkommen mit dem Westen. Dies ist ein Irrglaube. Russland ist auch künftig auf Kooperation mit dem Westen künftig angewiesen (Stichwort Modernisierungspartnerschaft).

Diese Politik ist für Europa nicht nur tragisch, sie ist vor dem Hintergrund der zunehmenden Spannungen zwischen der NATO und Russland auch brandgefährlich.

Der russisch-amerikanische Antagonismus

Das größte Hindernis für die Wiederbelebung der konventionellen Rüstungskontrolle und eine kooperative Sicherheitsordnung in Europa ist das inzwischen offen konfrontative Verhältnis zwischen Russland und den USA.

Vor dem Hintergrund der höchstwahrscheinlich von russischen Hackern durchgeführten Cyberattacken auf den Parteivorstand der US-Demokraten, des Abbruchs der Syrien-Gespräche und der russischen Aufkündigung von zwei Abkommen zur Plutoniumkonversion ist es sehr wahrscheinlich, dass die künftige amerikanische Administration einen (noch) härteren Kurs gegenüber Moskau einschlagen wird. Die Leidtragenden wären einmal mehr die europäischen Staaten. Statt ein wenig mehr kooperativer Sicherheit werden die kommenden Jahre mit hoher Wahrscheinlichkeit ein deutliches Mehr an Abschreckung und militärischer Aufrüstung bringen.

Inseln der Kooperation

Um eine weitere Eskalation zu verhindern, hat sich der „Westen“ auf eine Politik der kleinen Schritte verlegt:

  • Wiederbelebung des NATO-Russland-Rates.
  • eine neuer KSE-Vertrag: Initiative Frank-Walter Steinmeier zur Wiederbelebung der konventionellen Rüstungskontrolle. Er bringt letztlich die Idee regionaler Begrenzungen, wie sie im KSE-Vertrag vereinbart waren, wieder ins Spiel.  Obwohl die ersten Reaktionen aus Moskau zumindest nicht ablehnend waren, erteilte Washington der deutschen Initiative bei den OSZE "Security Days" im Oktober 2016 in Wien eine klare Absage.
  • Modernisierung des "Wiener Dokuments" der OSZE. Dieser politisch verbindliche Mechanismus sieht die vorherige Meldung und Überprüfung von Manövern und Übungen vor.
  • Ebenfalls auf deutscher Initiative die Wiederbelebung des Roten Telefons, des direkten Drahtes zwischen Moskau und Brüssel.
  • NATO-Russland-Dialog zur Verhinderung gefährlicher militärischer Zwischenfälle über der Ostsee und dem Luftraum ihrer östlichen Mitglieder. Brüssel und Washington wollen vor allem die bedenkliche russische Praxis der Ad-hoc-Manöver an den eigenen Bündnisgrenzen unterbinden oder zumindest transparenter gestalten.

Ausblick

Von einer Friedensordnung ist Europa weiter entfernt denn je. Krise der EU, Ukraine-Krieg, Türkei-Krise, Brexit, Vormarsch der Autoritären, Putin und Trump mögen als Stichworte genügen.

So lange Russland weiter die zentralen Prinzipien der Organisation (Dekalog von Helsinki) und damit die Stützpfeiler der europäischen Friedensordnung infrage stellt, kann die OSZE allenfalls als ein Instrument zur weiteren Schadensbegrenzung dienen. Ein neues "Helsinki" für Europa erscheint unter den gegebenen Umständen unwahrscheinlich.

Die deutsche OSZE-Präsidentschaft hat alles versucht, um Gesprächskanäle zu etablieren bzw. offenzuhalten und Fortschritte auf den Gebieten zu erzielen, wo man gemeinsame Interessen vermutet. Vertrauen und Transparenz lassen sich aber nur schwer durchsetzen, wenn an beidem kein Interesse besteht. Auch wenn "miteinander reden" per se noch keine diplomatische Spitzenleistung und auch kein Wert an sich ist, darf der Dialog zu diesen Themen gerade in der OSZE nicht abreißen

Da es auf absehbare Zeit nicht möglich sein wird, den bestehenden Grundkonflikt zu lösen, kann es nur darum gehen, den daraus entstehenden Schaden zu begrenzen, negative Entwicklungen einzudämmen, wenn möglich zu stoppen, Konflikte zu isolieren und neue Konflikte zu verhindern. Kurz: eine weitere Verschlechterung der Lage abzuwenden, Inseln der Kooperation und Voraussetzungen für eine längerfristige Verbesserung zu schaffen und auf bessere Zeiten zu warten.

Hier kann die OSZE wertvolle Unterstützung leisten. Sie ist eine der wenigen Plattformen, auf denen ein Dialog mit Russland überhaupt noch möglich ist. Deshalb ist es uneingeschränkt zu begrüßen, dass die FES am Sitz der OSZE in Wien unter bewährter Leitung von Reinhard Krumm (der als ehemaliger Leiter der FES in Moskau und Leiter des Referates Mittel- und Osteuropa in Berlin mit seinen umfangreichen Kontakten hierfür geradezu prädestiniert ist) ein Regionalbüro für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa eingerichtet hat. In enger Zusammenarbeit mit der österreichischen OSZE-Präsidentschaft in diesem Jahr sollen auf neutralem Boden Konzepte für die europäische Sicherheit entwickelt, Netzwerke aufgebaut, nach Lösungen im Ukraine-Konflikt gesucht, der multilalterale und regionale Sicherheitsansatz gefördert und vor allem der Frage nach neuen, tragfähigen Sicherheitsstrukturen nachgegangen werden.

Dabei wünsche ich der FES und ihrem Team viel Glück und Erfolg in schwierigen und herausfordernden Zeiten. Wir alle werden ihn brauchen können.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Wien, 07.03.2017
Thema: 
Gedanken zur Eröffnung des Wiener FES-Büros für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa