Sorge um zweite Reihe hinter Donald Trump
Dr. Rolf Mützenich glaubt als SPD-Fraktionsvize natürlich an die Kraft der Sozialdemokratie, aber mehr noch als Wahlergebnisse treibt ihn die Sorge über ein „Nach-Obama-Amerika“ und nationalen Populismus um. Ein „Politik und die Welt“-Gespräch.
Eine ordentliche Portion Optimismus hat sich Dr. Rolf Mützenich (58), der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, beim Besuch des Wichelhovenhauses für den Schluss aufgehoben. Nach deutscher Sicherheitspolitik, Europa und Amerika geht es beim spontanen Themen-Ritt mit dem Sozialdemokraten, der in seiner Fraktion inhaltlich zuständig für Außenpolitik, Verteidigung und Menschenrechte ist, zum Schluss noch kurz um das Thema „Jugend und Politik“. Mützenich sagt: „Ich finde ja, dass Jugendliche heute durchaus politisch sind. Ob sie ein so großes Interesse an den politischen Jugendverbänden haben, wage ich zu bezweifeln. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass es viele Jugendliche gibt, die die Menschenrechte achten, die individuellen Freiheiten wollen und bereit sind, Werte auch zu verteidigen. Ich glaube, dass junge Menschen noch immer hoffnungsvoll auf eine demokratische Gesellschaft blicken“. Im Gespräch über „Politik und die Welt“ halten sich jedoch Skepsis und Hoffnung eher die Waage.
Thomas Reunert: Herr, Dr. Mützenich, fangen wir in Deutschland und mit einer einfachen Frage an, denn dann haben wir die ja auch für heute hinter uns. Wer wird denn nun Kanzler?
Rolf Mützenich: Das ist natürlich eine interessante Frage, die Sie da an einen Sozialdemokraten stellen. Wir werden Ende Januar einen Kanzler-Kandidaten nominieren und davon ist natürlich auch dann der Name des nächsten Kanzlers abhängig.
Reunert: Hätte Rolf Mützenich denn einen Wunsch? Oder dürfte man den derzeit auch nicht sagen?
Mützenich: Die SPD ist eine demokratische und freie Partei. Aber Parteien und Vereine haben es natürlich an sich, dass man solche Fragen zunächst intern diskutiert.
Reunert: Haben Sie denn dennoch einen Wunsch?
Um den geht es hier aber nicht, sondern es geht um die gemeinsame Entscheidung und die Disziplin, am vereinbarten Zeitplan festzuhalten.
Reunert: Zurück auf dem harten Boden der politischen Realität: Wie wichtig ist zu einer deutschen Bundestagswahl 2017 der jeweilige Kandidat oder die Kandidatin überhaupt in Relation zu dem Programm der jeweiligen Partei?
Mützenich: Ich glaube, man muss beides mitdenken. Wir haben natürlich auch gesehen, dass Personen Wahlen mehr und mehr entscheiden, zum Beispiel in Rheinland Pfalz. Frau Dreyer wurde unterstellt, dass sie mit einem großen Abstand zur CDU-Kandidatin liegt und am Ende ist sie Ministerpräsidentin geworden. Das spornt natürlich an. Von daher glaube ich, dass die richtigen Personen für die SPD auch viele Stimmen gewinnen können.
Reunert: Kann es gelingen, im aktuellen thematischen Populismus-Geschreie zu allen möglichen angeblichen oder tatsächlichen Bedrohungsthemen Menschen in diesem Land überhaupt noch für andere Themen - wie zum Beispiel Ihr beschlossenes Kernanliegen „Gerechtigkeit“ - zu sensibilisieren, zu öffnen?
Mützenich: Das muss man tun. Unsere Erfahrungen aus Veranstaltungen und Gesprächen sind, dass nicht nur das eine Thema gesucht wird, sondern dass die Menschen auch in der Lage sind, ganz unterschiedliche Interessen zu artikulieren. Dazu gehören sowohl Dinge, die die Parteien für den Einzelnen tun können, aber wir treffen eben auch auf viele Menschen, die zum Beispiel am Zusammenhalt der Gesellschaft interessiert sind. In diesem Zusammenhang spielt auch die soziale Gerechtigkeit eine große Rolle. Nicht zuletzt, weil man erkennt, dass diese Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet. Was man auch nicht nur an der ökonomischen Frage festmachen kann, sondern auch im Bereich der Kultur und der politischen Teilhabe.
Reunert: Das noch junge Jahr wird reich an bedeutsamen Wahlkämpfen sein. Wie wird Ihre Partei im Wahlkampf mit der AfD umgehen? Sie werden ja mit Sicherheit keine Brandreden schwingen, aber suchen Sie - wo möglich - die sachliche Auseinandersetzung? Oder werden Sie jede Wahlkampf-Berührung ablehnen?
Mützenich: Die sozialdemokratische Partei ist die älteste Partei in Deutschlands und wir wissen aus unserer langen Geschichte seit dem Kaiserreich, dass wir um die Demokratie kämpfen müssen. Das liegt sozusagen in unseren sozialdemokratischen Genen. Das heißt, wir setzen uns natürlich auch mit antidemokratischen Kräften auseinander, auch mit Mitgliedern in der AfD. Aber es gibt da natürlich auch Wählerinnen und Wähler, vielleicht auch Mitglieder, die andere Interessen im Vordergrund haben, zum Beispiel das konservative Familienbild oder aktuell in NRW der von der AfD diskutierte Vorschlag, den Rentenbeitrag der Arbeitgeber zu stunden und damit die Arbeitnehmer voll zu belasten. Das sind Auseinandersetzungen, die wir mit der AfD gern auch inhaltlich führen wollen. Aber antidemokratisches Verhalten und inhaltliche Positionen sind in dieser Partei dennoch nur schwer voneinander zu trennen.
Dankbar für Polizeiarbeit in der Kölner Silvesternacht
Reunert: Vieles wird sich natürlich in Deutschland mit und ohne AfD-Begleitmusik um die innere Sicherheit drehen. Glauben Sie an einen möglichen Spagat zwischen Erhöhung der öffentlichen Sicherheit auf der einen Seite bei gleichzeitiger Beibehaltung größtmöglicher Freizügigkeit auf der anderen? Stichwort: Videoüberwachung gerne, aber nicht bei mir?
Mützenich: Sie haben Recht, es ist ein Spagat und man muss abwägen. Auf der einen Seite die Interessen und Rechte des Individuums betrachten, auf der andere Seite das gesamtgesellschaftliche Interesse an Sicherheit. Aber das sind ja keine neuen Erfahrungen. Die haben wir bereits in der Terrorismus-Diskussion mit der RAF gemacht. Ich bin sicher, dass die SPD und unser Justizminister diesen Spagat auch durchaus schaffen werden. Wir müssen aber, wie Sigmar Gabriel es getan hat, auch deutlich machen, dass Sicherheit nicht nur eine Sicherheit für den Einzelnen ist, sondern eben auch eine gesellschaftliche Sicherheit bedeutet. Das ist ein Gesamtkonzept und ich glaube, dass wir in diesem Punkt der Union da einiges voraus haben. Wir sagen, Rechtsstaatlichkeit hat etwas mit Demokratie zu tun, aber eben auch mit Wohlfahrt.
Reunert: Zwischenfrage: Was löst eine Diskussion über den Polizeieinsatz in Köln in der Silvester-Nacht bei Ihnen aus?
Mützenich: Wir waren in der Tat entsetzt über einzelnen Reaktionen aus anderen Parteien. Ich kann natürlich auch sprechen für jemanden, der in Köln seinen Wahlkreis hat und dort auch groß geworden ist. Wir waren in der Stadt alle sehr dankbar, dass die Polizei eine so gute Arbeit gemacht hat.
Reunert: Zu Ihrem politischen Arbeits-Schwerpunkt gehören auch die Menschenrechte. Und zumindest in der Theorie haben diese auf der Welt ja höchste Schutz-Priorität. Lässt sich Flüchtlingspolitik in Deutschland, in Europa oder in der Welt überhaupt so anlegen, dass sie den berechtigten Interessen der Flüchtenden ebenso gerecht wird wie den Menschen in den Flucht-Ziel-Ländern, die sich unter Umständen um ihre Freizügigkeit gebracht fühlen?
Mützenich: Für uns sind Menschenrechte nicht nur deklariert, sondern etwas, auf das die Sozialdemokraten allein schon aufgrund ihrer Geschichte eingeschworen sind. Wir wissen natürlich, dass die Auswirkungen der unterschiedlichen Fluchtbewegungen für die Ziel-Gesellschaften ein hohes Maß an Solidarität erfordern, aber eben auch eine Belastung sind. Deswegen sagen wir auf der anderen Seite: Flucht hat unterschiedliche Gründe und Ursachen. Flucht vor Krieg und Verelendung wie in Syrien und im Irak, aber und dann eben auch die Flucht aus wirtschaftlichen Gründen. Dafür müssen wir das, was das Grundgesetz bereits richtig angelegt hat, über eine organisierte Einwanderung von qualifizierten Zuwanderern erweitern.
Reunert: Gehen wir nach Europa. Hat Sie die an vielen Orten aufkeimende Re-Nationalisierung in verschiedenen Mitgliedsstaaten am Ende doch eher überrascht?
Mützenich: Ich habe nicht alles kommen sehen. Wir haben zurückliegend natürlich bereits chauvinistische Tendenzen in einzelnen Ländern erlebt. Zum Beispiel hat man in unserem Nachbarland Niederlande frühzeitig solche Tendenzen erkennen können, bis hin zu einer Brutalisierung in der Gesellschaft selbst. Aber natürlich sind die Entwicklungen in Teilen auch der Globalisierung und der Überforderung des Einzelnen und/oder auch der Gesamtgesellschaft geschuldet. All das macht uns eben auch große Sorgen und in dem Punkt suchen wir auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD. Ich finde, dass ein Land angesichts der globalen Herausforderungen von über sieben Milliarden Menschen auf der Welt nur im Zusammenschluss mit anderen Ländern seine kleinteiligen Interessen souverän geltend machen kann. Der Nationalismus geht hier mit seiner Abschottung und seinen vermeintlich einfachen Rezepten genau in die falsche Richtung.
Reunert: Sind wir bei der Nationalismus-Bewegung noch im Steigflug oder haben wir den Zenit erreicht oder gar bereits wieder überschritten? Bekommen Verstand und Vernunft die Oberhand zurück?
Mützenich: Man muss aufpassen. Ich würde gerne eine positive Antwort geben, aber ich fürchte, dass in 2017 dieser Zenit noch nicht überschritten ist. Wir stehen vor Wahlen in den Niederlanden und Frankreich, bei denen vieles darauf hindeutet, dass rechte Parteien, die die nationale Karte spielen, Auftrieb bekommen. Wir haben im März den Beginn der Brexit-Verhandlungen. In der Türkei steht ein autokratisches Präsidial-System unmittelbar vor der Tür. All das sind Tendenzen, die in Verbindung mit dem Machtwechsel in den USA dafür sprechen könnten, dass das Thema „Nationalismus und Populismus“ uns auch 2017 beschäftigen werden.
Reunert: Hat Europa überhaupt noch eine realistische Chance, noch einmal ein neues Gemeinschaftsgefühl zu erlangen?
Mützenich: Das glaube ich schon, weil wir auch nach 2016 gesehen haben, dass gerade die junge Generation bestimmte Schritte nicht mitgehen wollte. Zum Beispiel beim Brexit. Wir wissen, dass gerade diese junge Generation in England sehr für Europa eingetreten ist, aber die Mehrheit der älteren Menschen hat sich eben wieder mit dem nostalgischen Rückzug auf ein Inselleben konform gemacht. Die jungen Menschen wissen nicht nur die Freizügigkeit zu schätzen, sondern sie wissen auch, dass sich Europa in einer großen Welt nur gemeinsam wird behaupten können. Eben durch den Auftritt mit gemeinsamen Interessen.
Ein ungebrochener Wille zum Dialog mit Russland
Reunert: Und jetzt müssen wir natürlich auch nach Amerika. Beschreiben Sie mal Ihr Gefühl, wenn Sie an den Tag der Machtübergabe von Obama auf Trump denken.
Mützenich: Man kann es vielleicht an der Abschiedsrede von Präsident Obama in dieser Woche in Chicago deutlich machen. Ich denke schon, dass wir nach dieser Rede noch einmal haben erkennen können, was Ehrlichkeit, Beständigkeit, Verlässlichkeit in diesen acht Jahren unter Präsident Obama bedeutet haben. Und vor welchen Herausforderungen wir möglicherweise in den nächsten Jahren vor diesem Hintergrund stehen werden. Wir werden es – so glaube ich – nicht nur mit einem Präsidenten Trump zu tun haben, der eine Politik des „America first“ betreiben wird. Das hatten wir ja schon einmal. Er wird wahrscheinlich zudem „business first“ zuerst für sich praktizieren und Außenpolitik auch als Frage des Preises begreifen. Das widerspricht eigentlich unseren Überzeugungen und Werten und das ist schon eine beklemmende Situation. Zumal man erkennen muss, dass die Mannschaft, die er sich jetzt aussucht, darauf hindeutet, dass er die eine oder Bemerkung im Wahlkampf, die man vielleicht noch als flapsig einstufen könnte, sogar ernst zu meinen scheint.
Reunert: Hätten Sie im Vorfeld im Amerika des Jahres 2017 die Trump-Wahl für möglich gehalten?
Mützenich: Zunächst müssen wir uns natürlich noch einmal klar machen, dass Hillary Clinton die meisten Wählerstimmen auf sich vereinen konnte. Aber natürlich will ich diesen Erfolg nicht klein reden. Wir hatten schon im Vorfeld durch unsere politischen Kontakte in die USA Stimmungs-Hinweise, die gesagt haben: Unterschätzt die Wirkung Donalds Trumps durch seine Medienpräsenz, aber auch durch die Wirksamkeit seiner Rede nicht. Am Ende war ich aber doch überrascht.
Reunert: Halten Sie so ein Protest-Ergebnis auch in Deutschland für möglich?
Wir wählen ja anders. Wir wählen immer noch in einer Parteienlandschaft. Wir haben zwar Spitzenkandidaten, die auch im Fokus stehen, aber wir haben auch Institutionen, die das eine oder andere abfangen können. Aber vor dem Hintergrund, wie sehr eben auch Medien und insbesondere das Internet so eine Entscheidung beeinflussen können, müssen wir uns darüber schon Gedanken machen.
Reunert: Sie sind Außenpolitiker, halten Sie Donald Trump auf seine Art für gefährlicher als Wladimir Putin?
Mützenich: Ich glaube, dass beide unkalkulierbar sind. Das ist ihre Gemeinsamkeit. Aber ich mache mir weniger Sorgen um Trump, als vielmehr um die, die in der zweiten und dritten Reihe stehen und in nächster Zeit wahrscheinlich auch die amerikanische Außenpolitik mitbestimmen werden. Wenn sich durchsetzt, was sich im Moment als Trend herausbildet, dass Trump die Auseinandersetzung mit der Volksrepublik China sucht – - und die eine oder andere Besetzung im Kabinett deutet auch stark auf einen anti-chinesischen Reflex hin –, werden wir uns durchaus auf besondere Herausforderungen gefasst machen müssen.
Reunert: Wie sollte deutsche Außenpolitik in den nächsten Monaten unterwegs sein? Eher abwartend und auslotend? Oder doch eher offensiv und initiativ?
Mützenich: Wir müssen natürlich das Gespräch suchen. Das tun wir ja auch bereits die ganze Zeit. Wir legen aber auch nicht unseren Willen ab, weiterhin mit Russland im Dialog zu bleiben. Trotz der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland. Russland ist aber zu mächtig, zu wichtig, um es zu ignorieren. Deutschland ist in der Weltpolitik – obwohl wir Wahlen haben – in 2017 noch einer der wichtigsten Akteure. Es darf also kein Abwarten geben, sondern ein Herantasten an die Dinge, die vor uns liegen.
Reunert: Da passt das Stichwort „Noch-Außenminister Steinmeier“: Weiß Frau Kraft auch schon, wer der Nachfolger von Herrn Steinmeier als Außenminister wird?
Ich weiß nicht, was Frau Kraft weiß.
Reunert: Sie weiß ja immerhin seit Wochen, dass Gabriel Kanzler-Kandidat wird.
Mützenich: Ich glaube, wir sind aus Respekt vor der Bundesversammlung gut beraten, wenn Sozialdemokraten nicht sofort springen, wenn von außen diese Frage an uns herangetragen wird.
Reunert: Nicht wenige, vor allem ältere Bürgerinnen und Bürger sagen: die mühsam errungene Weltordnung war nach dem zweiten Weltkrieg noch nie so in Gefahr wie im Moment. Panikmache, Lust an schlechter Stimmung oder am Ende doch die Wahrheit?
Mützenich: Es ist auf jeden Fall so, dass wir eine Menge regionaler Krisen haben, die sich zur Zeit einer friedlichen Bearbeitung entziehen. Dennoch brauchen wir die Diplomatie. Ich möchte aber auch ein wenig vor der Illusion warnen, dass die Zeiten ‚damals‘ so viel besser gewesen sein sollen. Nehmen Sie das Jahr 1979. Das begann mit der Invasion Chinas in Vietnam, dann hatten wir die Revolution im Iran und in Nordirland erreichten die terroristischen Anschläge der IRA ihren Höhepunkt. Auch da war die Welt aus den Fugen. Was wir aber jetzt sehen, ist eine strukturelle Veränderung im internationalen System. Beginnend mit der wachsenden Weltbevölkerung und, einer unkontrollierten Rüstung. Wir haben Mega-Cities, haben den Kampf um Ressourcen. Wahrscheinlich erleben die Menschen auch durch die Medienpräsenz diese neuen Entwicklungen Dinge viel stärker und unmittelbarer als früher.