Irak unterstützen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Situation im Irak ist in den letzten Wochen im Gegensatz zu anderen Schauplätzen im Nahen und Mittleren Osten in der Berichterstattung, in der Aufmerksamkeit etwas in den Hintergrund getreten. Dennoch, glaube ich, ist es wichtig, dass wir uns mit der Situation, mit dem Land, mit den Verhältnissen in der Region insgesamt befassen; denn genau dort wird über die Existenz, über die Stärken und Schwächen des „Islamischen Staates“ mit entschieden werden. Der IS ist im Irak entstanden. Er hat dort seine historische Genese. Er ist dort weiterhin ein Sammelbecken für sunnitische Kämpfer, für alte Gruppen des Baath-Regimes, aber eben auch immer wieder für Kämpfer aus Europa und leider eben auch aus Deutschland. Aus dieser Situation heraus, aus einer sehr breiten Betrachtung haben wir große Verantwortung im Hinblick auf den Irak.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich glaube, wir alle hier sind der gleichen Meinung – das erhoffe ich mir zumindest –, dass allein eine militärische Antwort für die Bewältigung dieser Herausforderung nicht genügt. Dennoch sind die territoriale Zurückdrängung und insbesondere die Begrenzung der Ressourcen für den IS ein wesentlicher Bestandteil, um die Situation dort zu ändern und dafür zu sorgen, dass der Irak und auch die gesamte Region eine Zukunft ohne Krieg, ohne eine militärische Auseinandersetzung haben und dass dort wieder Frieden einkehrt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist richtig gewesen, dass Deutschland mit Ausbildung und mit Material dort hilft; denn es sind insbesondere – darüber bestand Einigkeit, als wir über das Syrien-Mandat gesprochen haben; ich glaube, darüber besteht auch weiterhin Einigkeit – die kurdischen Kräfte und die Peschmerga, aber auch – das sage ich klar – die PYD und in anderen Situationen an anderer Stelle andere kurdische Kräfte, die den IS massiv bekämpft haben.
Aber politisch – es ist wichtig, auch dies in dieser Debatte zu betonen – ist es richtig gewesen, dass sich die Bundesregierung auf diese Region konzentriert hat. Sie hat klargemacht, dass wir am Einheitsstaat Irak ein großes Interesse haben und dass diese Hilfen nur mit Zustimmung der irakischen Regierung geleistet werden. Über Bagdad wollen wir mit anderen europäischen Partnern eine Ausbildungs- und Sicherheitssituation herbeiführen, die das Überleben in dieser Region erst möglich macht. Es kommt also darauf an, mit der Regierung in Bagdad, mit den europäischen Partnern und – das ist immer der dritte Bestandteil dieses Mandats gewesen – in Tranchen vorzugehen. Wir haben immer wieder überprüft und uns auch rückversichert: Was passiert mit den Dingen, die wir geliefert haben? Denn es geht ja nicht nur um Waffen und Ausbildung, sondern auch um Sanitätsmaterial und Schutzausrüstung; auch dies sind Bestandteile des Mandats. Es geht also um militärische Teile, aber sehr stark auch um die zivile Komponente. Ich glaube, darüber müssen wir öffentlich diskutieren.
Wir sind, weil der Deutsche Bundestag dieses Mandat erteilt, dazu berechtigt, in diesem Zusammenhang auch kritische Fragen zu stellen. Das hat gestern in der Fragestunde, aber auch in der Berichterstattung der letzten Wochen eine Rolle gespielt, als es darum ging, wie kurdische Kräfte in den Dörfern, die befreit wurden, vorgegangen sind. Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung mit den Partnern im Nordirak und mit der Regierung in Erbil nicht nur darüber spricht, sondern dass auch die Verantwortung von Erbil deutlich gemacht wird. Wir alle haben die Briefe der Vertretung der Kurden im Nordirak bekommen, in denen klargemacht wurde, dass sie diesen Dingen nachgehen will. Das muss getan werden. Ich glaube, es ist eine sehr unübersichtliche Situation.
Aber entscheidend wird sein, dass es keinen weiteren Konflikt im Irak gibt; ich habe eben über den „Islamischen Staat“ gesprochen. Es darf nicht erneut zu einem Konflikt zwischen Kämpfern der kurdischen Streitkräfte und möglicherweise arabischen Streitkräften oder solchen der irakischen Armee kommen. Es gibt schon genügend Konflikte. Deswegen sind wir angehalten, über die kritischen Fragen mit den Verantwortlichen in Erbil zu diskutieren. Genauso verhält es sich bezüglich der offensichtlich geringen Zahl unerlaubter Waffenverkäufe, die in den vergangenen Tagen Aufmerksamkeit bekommen hat. Ich unterstütze das, was die Bundesregierung bzw. der Außenminister gesagt und getan haben. Der Außenminister hat nämlich einen Vertreter der Regierung in Erbil ins Auswärtige Amt einbestellt und um Aufklärung gebeten.
Wir bitten Sie, Herr Bundesaußenminister, die entsprechenden Erkenntnisse mit dem Deutschen Bundestag zu teilen. Gerade weil die Bundesregierung die Risiken dieses Mandats im letzten Jahr nicht verschwiegen hat – wir wussten um die Risiken –, ist es ein Abwägungsprozess gewesen, und es ist richtig, dass nach diesem Abwägungsprozess, bei dem es um die Vor- und Nachteile der Situation im Irak selbst, aber auch um die Bekämpfung des „Islamischen Staates“ ging, heute die Mehrheit meiner Fraktion genau wie die Bundesregierung zu der Überzeugung gekommen ist, der Verlängerung dieses Mandats zuzustimmen. Es ist verantwortbar, und es ist verfassungsrechtlich und völkerrechtlich abgefedert. Ich glaube, auch die internationale Gemeinschaft hat ein großes Interesse daran, dass Deutschland an dieser Komponente mitwirkt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn wir über dieses Mandat diskutieren, finde ich, gehört zu einer ehrlichen Debatte dazu, auch darauf hinzuweisen, dass unser Engagement weit darüber hinausgeht. Es beinhaltet nämlich einen politischen und einen humanitären Ansatz. Wenn wir in Deutschland und Europa über die Flüchtlingssituation sprechen, sollten wir uns vor Augen führen: 1 Million Flüchtlinge sind im Nordirak in Flüchtlingslagern, Dörfern und Städten untergekommen, und das bei einer Gesamtbevölkerungszahl von 5,4 Millionen Menschen, die im Nordirak leben. Was das für dieses Land bedeutet, kann sich jeder von uns ausmalen, weil wir eine solche Situation mittlerweile auch in Deutschland kennen.
Es ist richtig gewesen, mit diesem Mandat politisch und humanitär zu verknüpfen, dass wir mit deutscher Finanzhilfe den UNHCR, das Rote Kreuz, aber auch den Roten Halbmond – wir verschließen nicht die Augen vor den Problemen – in die Lage versetzen, der dortigen Administration dabei unter die Arme zu greifen, mit der Flüchtlingssituation im Nordirak umzugehen. Deswegen bin ich dankbar, dass der Deutsche Bundestag beschlossen hat, dass Deutschland im Hinblick auf den Nordirak der drittgrößte Geber bilateraler Hilfe ist, und zwar mit den Schwerpunkten Ernährung, Wasser, Winterhilfe und Gesundheit. Dabei – dieser Punkt gehört genauso zur Debatte – wollen wir uns auf die Gebiete konzentrieren, die vom IS befreit sind; denn Voraussetzung dafür, dass der IS nicht zurückkehrt, ist, dass die Bevölkerung von einer indirekten Unterstützung des IS ablässt. Deswegen ist es richtig, dass im Jahr 2016 das Außenministerium 5 Millionen Euro und das BMZ 10 Millionen Euro für die Unterstützung in die Hand genommen haben. Dennoch könnte ich mir vorstellen, dass das BMZ aufgrund der Situation noch mehr Geld in die Hand nimmt; denn es ist politisch entscheidend, dies zu tun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Weil wir ein Interesse an der Verbesserung der Situation haben, müssen wir auch über die politischen Verhältnisse im Irak insgesamt sprechen. Wir machen uns Sorgen über das Verhältnis der unterschiedlichen politischen Gruppierungen im Nordirak zueinander. Das diskutieren wir nicht nur in Deutschland, sondern auch an anderer Stelle. Natürlich geht es auch um die Legitimation der nordirakischen Führung. Ich finde, das gehört zu einer ehrlichen Debatte. Die Situation in der Hauptstadt Bagdad bietet keine Aussicht darauf, dass diese Gruppen in den nächsten Wochen und Monaten endlich wieder zusammenkommen. Obwohl Ministerpräsident al-Abadi alles unternimmt, mehr Gruppen in seine Regierung aufzunehmen, ist es nicht gelungen, diese Spaltungen entlang ethnischer und konfessioneller Grenzen, die sich im Parlament und in der Regierung zeigen, zu überwinden. Gleichwohl – das ist mein Eindruck, und ich hoffe, die Bundesregierung sieht das ebenso – wollen die Menschen diesen Spaltpilz im Irak nicht mehr. Auch dafür müssen wir politisch eintreten, und auch das ist indirekt mit diesem Mandat verbunden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sage es sehr deutlich: Den politischen Verhältnissen in Bagdad muss Aufmerksamkeit geschenkt werden, umso mehr, weil wir immer noch damit konfrontiert sind, dass die dortigen Streitkräfte sehr korrumpierbar sind und viel stärker an einem solchen Zuwachs interessiert sind als an einem Macht- oder Sicherheitszuwachs. Deswegen lautet mein Appell: Ja, wir sollten die irakischen Streitkräfte ausbilden und in die Lage versetzen, den einheitlichen Irak abzubilden. Ich warne aber davor, über weitergehende Material- und insbesondere Militärhilfe bereits jetzt zu entscheiden. Das wäre zu früh. Die Situation in Syrien hat gezeigt, dass es auswärtige Mächte wie Saudi-Arabien oder auch der Iran sind, die dieses gebeutelte Land in den vergangenen Jahren immer wieder belastet und leider wenig dazu beigetragen haben, dass eine Versöhnung möglich ist. Ich finde, umso mehr muss der Westen, muss auch Deutschland daran arbeiten, dass sich eine junge zukunftsversprechende Generation herausbildet, die in Zukunft politische Verantwortung übernimmt und sich von den alten Traditionen des Konflikts entfernt. Ich glaube, die Situation im Irak geht uns etwas an. Wir müssen die Entwicklung aufmerksam verfolgen. Ich sage aber auch ganz offen, dass das noch lange Zeit dauern wird und wir an dieser Stelle wahrscheinlich noch öfter über den Irak sprechen müssen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.