SPD-Politiker warnt vor vorschnellen Konsequenzen
Nach den Terroranschlägen in Paris hat der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich im DLF "verantwortliche Politik" gefordert und davor gewarnt, vor dem Hintergrund des Schocks "politisches Kapital zu generieren". Eine Diskussion über Konsequenzen für Deutschland müsse zuerst intern geführt werden, so Mützenich.
Er glaube nicht, dass die Sicherheitsbehörden "irgendwelche Dinge vernachlässigt" hätten, betonte der SPD-Fraktionsvize im deutschen Bundestag im Interview mit dem Deutschlandfunk. Forderungen nach Konsequenzen so kurz nach den Anschlägen bezeichnete er als "zynisch".
Die Politik müsse analytisch versuchen, zwischen den Terroranschlägen und der Flüchtlingskrise zu trennen, unterstrich Mützenich. Der deutschen Bevölkerung sei klar, dass die meisten Menschen, die aus Syrien kämen, ja genau vor diesem Terror fliehen würden. Natürlich habe man auch schon vor den Anschlägen ein Auge darauf gehabt, dass unter den Flüchtlingen möglicherweise auch "Gefährder" seien. Verstärkte Maßnahmen, zum Beispiel an den Grenzen, müssten jetzt gut abgewogen werden.
Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Am Ttelefon begrüße ich Rolf Mützenich. Er ist SPD-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag und dort zuständig für die Außenpolitik. Schönen Guten Tag, Herr Mützenich.
Rolf Mützenich: Guten Tag, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Mützenich, zunächst einmal: Was waren Ihre Reaktionen, als Sie in der vergangenen Nacht von den Anschlägen erfahren haben?
Mützenich: Ich war geschockt, wie alle. Und ich habe überhaupt nicht das Ausmaß dieser Angriffe sofort realisiert. Und im Grunde genommen glaube ich, wirkt dieser Schock, wie für viele andere auch, bis heute hin fort.
Armbrüster: Haben wir denn in Deutschland und in Europa die Gefahr durch den Islamischen Staat in den vergangenen Wochen und Monaten genügend auf dem Schirm gehabt, wenn jetzt alle geschockt und überrascht sind?
Mützenich: Doch, das glaube ich schon. Die Sicherheitsbehörden sind ja doch durchaus immer sehr vorsichtig gewesen in der Einschätzung. Aber wenn der Innenminister sagt, die Anschlagsgefahr ist hoch, verbergen sich dahinter ja auch konkrete Informationen. Und wir nehmen ja auch sehr ernst, dass möglicherweise auch Rückkehrer aus Syrien oder dem Irak, auch eben geneigt sind, hier erneut zu Gewalt zu greifen. Das ist durchaus gegeben und ich glaube nicht, dass hier irgendwelche Dinge bisher vernachlässigt worden sind. Herr Clement hat ja nochmal darauf hingewiesen, die Situation in Frankreich ist ein bisschen anders als in Deutschland. Aber wir sind schon alarmiert und ich glaube, dass gerade auch jetzt die Dienste und die Polizei versuchen müssen, das herauszufinden, was sich möglicherweise auch an Konsequenzen für Deutschland ergibt.
Armbrüster: Aus der CSU werden ja jetzt schon Stimmen laut, dass sich die Sicherheitsgesetze bei uns ändern müssen. Der bayerische Finanzminister Markus Söder hat gesagt: "Paris ändert alles." Reichen unsere Anti-Terror-Gesetze aus?
Mützenich: Ja, wissen Sie, das finde ich immer so... Ich finde es schon ein bisschen zynisch, dass schon nach wenigen Stunden, wo uns auch die wenigen Informationen erst erreichen, sofort nach Konsequenzen gerufen wird. Ich glaube, wir müssen jetzt erstmal mit den französischen Diensten unsere Erkenntnisse abgleichen. Wir müssen schauen, was hat sich möglicherweise auch in den letzten Stunden auch in der islamistischen Szene hier auch in Deutschland getan. Und ich kann wirklich nur davor warnen, denn das ist ja auch wirklich eine Situation, wo eben vor dem Hintergrund des Schocks etwas politisches Kapital versucht wird zu generieren ? und davor kann ich nur warnen.
Armbrüster: Wie läuft denn in diesen Stunden die Zusammenarbeit mit den Behörden in Frankreich?
Mützenich: Zumindest wissen wir, dass ein Austausch stattfindet. Der ist auch dringend notwendig. Das ist aber nichts Neues, sondern immer wieder haben Geheimdienste und auch die Polizei ihre Erkenntnisse ausgetauscht. Ich glaube, es kommt jetzt sehr stark darauf an, eben auch die Wünsche, die Frankreich möglicherweise auch an Deutschland äußert, Erkenntnisse, wenn es denn notwendig ist, zu teilen, dass das dann auch sofort geschieht.
Armbrüster: Herr Mützenich, wir befinden uns ja in Deutschland ja jetzt gerade mitten in einer Debatte über Flüchtlingszahlen und die Frage, ob und wie man die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, wie man diese Zahl begrenzen kann, oder könnte. Bekommt diese Debatte durch die Anschläge in Paris noch einmal eine neue Richtung?
Mützenich: Das glaube ich schon. Das will ich auch nicht kleinreden. Umso mehr habe ich ja eben doch sehr deutlich gemacht, dass gerade verantwortliche Politik analytisch auch versuchen muss zu trennen. Denn ich glaube der Bevölkerung bei uns in Deutschland muss auch klar sein: Die meisten, die zu uns kommen, fliehen ja gerade vor diesen Terrorattacken, die wir in Paris gesehen haben. Deswegen finde ich, gebietet es schon der Respekt gegenüber den Opfern, gegenüber den Schwerstverletzen im Grunde genommen diese Debatte, wenn sie denn notwendig ist, auch erstmal intern zu führen. Und ich glaube, innerhalb der Großen Koalition ist es klar, dass wir nicht innerhalb von wenigen Stunden zu irgendwelchen Konsequenzen greifen sollten, sondern wir müssen eben das austauschen, was eben an Erkenntnissen vorliegt, und da, wo es notwendig ist, auch nachsteuern.
Armbrüster: Also keine verstärkten Kontrollen an den Grenzen, um Flüchtlinge stärker auf ihre Papiere, auf ihre Herkunft zu kontrollieren?
Mützenich: Ich glaube, jetzt kommt es insbesondere darauf an, zu schauen, ob es möglicherweise eben und das ist ja auch immer wieder vom Bundeskriminalamt und auch von anderen Diensten darauf hingewiesen worden, man kann nicht ausschließen, dass unter diesen Flüchtlingen möglicherweise auch Gefährder sind. Aber da ist ein Auge drauf gehalten worden, schon bereits vor den Anschlägen von Paris. Und wenn es jetzt notwendig ist, hier auch verstärkte Maßnahmen zu unternehmen, muss das abgewogen werden: Das Sicherheitsinteresse geht natürlich dann vor.
Armbrüster: Rolf Mützenich, der SPD-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag, dort zuständig für die Außenpolitik. Vielen Dank, Herr Mützenich, für diese Einschätzung.